Dieter Meier - Pokerface/Mastermind

13.10.2014; Text/Bilder: Monthy
Jeans, Kapuzenpulli und Turnschuhe. Als ich im Grandhotel Kronenhof zu Pontresina auf meinen leicht verspätet angereisten Interviewgast wartete, wusste ich schon, dass ich diesmal eindeutig underdressed sein würde. "Das ist doch ein sportliches Hotel, da bist du absolut im Rahmen", beruhigt mich Dieter Meier vor seinem Dinner-Konzert, für das ich dann kleidertechnisch doch nicht ganz genügen würde. Er sitzt mir - keine Viertelstunde nach der Ankunft und einer stressigen Reise - im Anzug gegenüber. Zwar fehlt zu diesem Zeitpunkt der Schal, der sich sonst meistens um seinen Hals schlingt. Dennoch spreche ich ihn auf seine elegante Erscheinung und damit auf eines seiner Markenzeichen an. Dieter Meier relativiert: "Ich habe einfach meine Art, mich zu kleiden und ein paar vernünftige Schneider. Aber ich ziehe mich nicht so an, um irgendwelche Leute zu beeindrucken. Ich trage so etwas wie jetzt auch, wenn ich alleine in Patagonien bin. Es muss einfach für mich bequem sein..." Für mich ist der ehemalige Yello-Sänger auch deshalb der Inbegriff des Ausdrucks "weltmännisch". Wenn ich irgendjemandem diesen Begriff erklären würde, hielte ich ihm einfach ein Bild von Meier hin. "Das kann man vielleicht so sagen. Ich bin viel unterwegs und mache viele verschiedene Dinge in verschiedenen Ländern. Aber es gibt viele Leute, die weltmännischer sind - und auch bedeutender als ich. Ich bin vielleicht eine eigenartige Figur, die auf verschiedensten Bühnen auftritt - als Unternehmer, als Künstler, Musiker, als Landwirt..."
Dieter Meier im Kronenhof Pontresina am Voices on Top 2014

 
 
Wer dazu etwas mehr Informationen braucht, dem sei der Wikipedia Eintrag von Dieter Meier ans Herz gelegt. Dort liest man über schier unglaubliche Aktionen, die der Künstler Dieter Meier in seiner Laufbahn realisiert hat. Weil sein Schaffen so vielfältig war und ist, wage ich zu fragen, ob er sich denn als ganz normalen Musiker sehe. Insbesondere Yello war ja alles andere als handfeste Musik, dazu noch zu einer Zeit, in welcher der Begriff "Elektro" fast nur Haushaltsgeräte beschrieb. "Ich weiss nicht, was ein normaler Musiker ist", antwortet Meier lapidar und weist auf die verschwommenen Grenzen heute hin. Ausserdem sei er ja Sänger und müsse nicht einmal ein Instrument mitschleppen.Ungewöhnlicher sei da schon, wie er eigentlich dazu gekommen sei. Dieter Meier: "Ich habe damals meine ersten sogenannten Experimentalfilme live vertont. Dazu sass ich mit allerlei Ausrüstung im Studio, auch mit einer Gitarre und kam über diesen Weg zum Sound. Musik würde ich es jetzt nicht nennen. Erst als ich dann Boris Blank kennen gelernt habe, hat sich das dann mit Yello konkretisiert. Zuvor war es eher ein unstrukturiertes Geschrei. Man hat auch nicht geübt, kam eigentlich dafür erst auf die Bühne." Anarchie gilt seither im Werk Meiers als ein Leitfaden, dem ich natürlich bei dieser Gelegenheit nachspüre: "Natürlich waren diese anfänglichen Auftritte mit Punkbands ziemlich anarchisch. Dass sich daraus überhaupt etwas entwickelt hat, ist vor allem Glück. Anfangs hatte ich halt einfach kein Geld für Musiker und habe das deshalb archaisch selbst vertont."
Dieter Meier im Kronenhof Pontresina am Voices on Top 2014

 
 
Yello ist Kult und irgendwie dünkt es mich, im Ausland noch mehr als in der Schweiz. Analog etwa zu den Young Gods, die man hier auch nicht so hoch einschätzt wie im Ausland. Dieter Meier teilt hier aber meine Ansicht nicht. - "Wir haben proportional nirgendwo so viele Alben verkauft wie in der Schweiz. Hier haben wir eigentlich immer Gold oder Platin-Status erreicht. Und 50'000 Platten sind für ein kleines Land wie die Schweiz doch beachtlich. Relativ hatten wir den grössten Erfolg also doch zuhause, auch wenn die Verkaufszahlen aus Deutschland und den USA natürlich etwas anderes suggerieren." Den Pionierstatus zweifelt Meier nicht an, reicht aber den Grossteil der Lorberen weiter: "Boris hat den ganzen Elektro ja eigentlich erfunden, bevor es ihn gegeben hat. Er hat schon mit Tapes geloopt und sich seine Spuren auf Tonband aufgenommen. Er war ein Klangerfinder, wenn auch aus der Not geboren, weil er kein Instrument spielen konnte. Trotzdem war er der geborene Musiker." Heute heisst es nicht mehr Yello sondern Dieter Meier. Was die Leute wahrscheinlich kaum kümmert. Ihre Erwartung dürfte sein: Wo Meier draufsteht, ist Yello drin. Die Erwartungen seiner Zuschauer tritt Meier - vollkommen zu Recht - mit Füssen. Dieter Meier ist etwas: "völlig anderes... Es sind Songs, die ich in den letzten Jahren geschrieben habe. Ich habe auch gelernt, ein bisschen Gitarre zu spielen. Zwar bin ich nicht der verbissene Songschreiber, der jeden Tag am Reissbrett sitzt. Die Songs sind eigentlich nur entstanden, weil ich einem Promoter versprochen hatte, auf Tour zu gehen, ohne das wirklich ernst zu nehmen. Ich wollte ihn nicht enttäuschen, habe diese Lieder aber aus der Not erfunden. Ich habe das dann meinen jetzigen Musikern vorgespielt, die eher aus dem Jazz kommen und sehr versiert sind. So hat sich das ergeben. Wir machen so etwas wie Alternative Pop
mit akustischen und elektronischen Instrumenten. Das ganze hat einen ganz eigenen Sound." Sagt der Mann mit dem - O-Ton Meier auf der Bühne - "showbizness-untauglichen" Namen.
Wer sich nun immer noch fragt, wie das denn töne, dem sei hier noch etwas geholfen. Erstens mal hat Dieter Meier den ursprünglichen Punk immer noch in sich. Seine Band spielt für mich so etwas wie analogen Elektro, obwohl ja eben auch Synthesizer drin sind. Es tönt aber so, als ob sich eine Jazzband vorgenommen hätte, Computermusik als Handwerk neu zu interpretieren. Auch der Künstler Meier spielt da mit hinein - etwa im Song "Schüüfele", den er mehr spricht als singt und der dem fantastischen Brunnen von Jean Tinguely gewidmet ist. In anderen Songs tritt eine erfrischende Rock-Attitüde an den Tag, für die Meiers charimatisch tiefe und irgendwie etwas rauchige Stimme hervorragend passt. Zudem punktet der Weltenbummler mit reichlich Erfahrungsschatz dort, wo andere Musiker eine schöpferische Pause einlegen - nämlich zwischen den Songs. Meier hat eben immer eine Anekdote auf Lager und weiss sie auch an den Mann oder die Frau im Publikum zu bringen. Überhaupt wirkt seine Erscheinung - und vielleicht noch mehr seine Gestik - auf der Bühne. Dieter Meier - das mussten sogar die eingestehen, die etwas anderes erwartet hatten - hat ganz einfach Stil.
Dieter Meier im Kronenhof Pontresina am Voices on Top 2014

 
 
Dazu passt die Tätigkeit, die ich zum Abschluss des Gespärchs anspreche. In jungen Jahren war Dieter Meier eine Zeitlang professioneller Pokerspieler. - "Weil ich nicht wusste, was ich mit mir anfangen soll, habe ich damit angefangen. Poker ist eine Verführung. Du bist wie ein Boxer im Ring und es ist ziemlich sucht-bildend. Ich habe rund zwei Jahre lang nicht viel anderes gemacht als jede Nacht zu pokern." Meinen Spruch, ob Verluste bei professionellen Spielern einfach Spesen seien, übergeht Meier, widerspricht mir aber als ich es ein Glücksspiel nenne. "Glück hat damit nichts zu tun. Im Poker gewinnt immer der bessere Spieler. Du kannst Glück haben, wenn du mit jemandem 10 Minuten spielst, aber in einer ganzen Nacht ist es selten, dass der schlechtere die besseren Karten hat." Dies metaphorsich gesprochen. Und wenn wir schon dabei sind - man kann daraus wohl auch viel fürs Leben lernen. Jedenfalls zwingt sich mir der Eindruck geradezu auf, dass ich hier mit einem Pokerspieler am Tisch sitze. Nie durchschaubar, man weiss nie, woran man gerade ist. Meier: "Man lernt natürlich die Leute gut kennen in diesem Psychoterrorspiel. Man lernt schnelle Entscheide zu treffen. Und man lernt, dass die Karten, die man in Händen hält nichts Absolutes sind sondern immer nur relativ zu den Karten der anderen gut oder schlecht sind."
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