Pÿlon - das Gute Gewissen des CH-Metals
9.1.2012; Text: Monthy, Bilder: Pÿlon
Sei es aufgrund der mythischen Welten, die die Protagonisten ein bisschen als Träumer und Spinner erscheinen lassen. Sei es wegen der Texte, die nur ganz selten ein Sprachstudium voraussetzen. Oder sei es, weil im traditionell absolut nicht kommerziellen Genre Metal überdurchschnittlich viele Feierabend-Bands zuhause sind - das Vorurteil, Metal sei dumm, lässt bis heute Leute die Nase rümpfen, wenn es um etwas brachialere Art von Musik geht. Dabei entbehrt dies zu grossen Teilen der Grundlage. Einer der es besser wissen muss, ist Matt Brand. Der Kopf einer der intelligentesten Metal-Bands des Landes ist ausserdem noch Herausgeber der unzweifelhaft wichtigsten Metal-Compilation der Schweiz, der "Heavy Metal Nation"-Reihe. "Ich schätze den Anteil an weniger intelligenten und intelligenten Metal-Bands etwa als 50:50 ein", meint er im längst fälligen Interview zwischen Weihnacht und Neujahr im Family-Home im Aargau auf meine provokative Frage. Sich selbst und die eigene Band Pÿlon hingegen definiert er auch nicht "nur" als Metal: "Wenn ich so zurückschaue, dann muss ich sagen, dass ich die wirklichen wilden Sachen nicht mehr sooo gerne mag. Ich mache einfach die Musik, die ich eben mache. Das ist sicher immer rockig, dazu versuche ich immer, nicht allzu fette Produktionen zu machen. Meine Lieblingsära waren die Siebziger und Achtziger und daran orientiere ich mich, was unseren eigenen Ton angeht. Es muss eben auch im Metal nicht immer nur hart zugehen." Matt setzt auf Atmosphäre, wo andere Tempo bolzen.
So erklärt sich auch die Einteilung des letzten Pÿlon-Werks "Armoury of God" unter Doom-Metal, der sich von den übrigen Sub-Genres stark unterscheidet. Das Album ist teilweise düster und von enormer Tiefe - "Emotionen sind mir ganz wichtig", erklärt Matt das Phänomen und bekräftigt, dass er eigentlich keine Wahl hat dabei, "die Songs ergeben sich halt so. Es ist oft nicht unbedingt gewollt... Wenn ich könnte, würde ich sicher auch schneller spielen!" Nach ein paar veröffentlichten Alben, beantwortet sich die Frage, wer man ist, eigentlich von selbst. Kollege Jan Thomas hat unter anderem die Pressetexte der Do-it-yourself-Band mit eigenem Label verfasst und musste sich deshalb bewusst damit auseinander setzen. "Bei unserem ersten Album, das wir gar nicht richtig heraus gebracht haben, war die Frage noch gar nicht zu beantworten", gibt er Einblick in die Historie, "Erst mit 'Th' eternal Wedding Band' kam die Idee von Doom-Rock auf. Damals spielten wir als Trio. Die Songs entstanden im Bandroom und blieben meist so roh, wie sie eingespielt wurden. Beim nächsten Album - es hiess auch einfach 'Doom' - waren wir eigentlich nur zu zweit und hatten dazu ständig wechselnde Drummer, die wir oft damit verdutzten, dass Songs geprobt und danach gleich aufgenommen wurden. Vom Sound her gingen wir in Richtung Epic Doom oder Traditional. Jetzt haben wir wieder einen festen Schlagzeuger, der auch etwas Punch hat und öfter mit Double Basses arbeitet. So langsam kann ich mich daher auch mit der Einteilung Doom Metal anfreunden."
Während viele beim Thema Stil Reissaus nehmen, spielt Jan richtiggehend mit den Einteilungen und zeigt so auch die Entwicklung der Band auf. Muss man das Thema heute nicht genau so offensiv behandeln? - Jan: "Man muss nicht... Es macht aber eben Spass, gerade weil wir nicht konstant den gleichen Sound machen. Es eröffnet gewissermassen den Dialog mit den Fans. Den meisten gefällt ja eines der Alben besser als die anderen. Die entstehenden Diskussionen sind danach meist Geschmacksache - wie auch die Stile und Sub-Stile." Matt schaltet sich mit einem Einwand ein, der auch zeigt, dass Pÿlon wohl nur als bi-polige Band funktioniert: "Man wird ja heute mit dem Internet und nach vier Alben automatisch immer ein bisschen bekannter. Und manchmal möchte man dann diese Leute, die man unterwegs aufgepickt hat, nicht wieder verlieren." Die Lösung dafür ist ein Kompromiss, sich immer ein bisschen, aber nie zuviel auf einmal zu entwickeln und damit nicht zu riskieren, die abzuschrecken, die einem in Vergangenheit gut leiden konnten. Ich frage nach, ob es eher eine fortschreitende Entwicklung sei oder ob sie den Bereich "Doom" nach und nach ausleuchteten und verschiedene Einflüsse ausprobierten. Matt holt etwas aus: "Die meisten Songs, die ich schreibe, habe ich eigentlich schon lange im Kopf. Bis zu zwanzig Jahre... Deshalb wird auch immer dieser rote Faden mit drin sein. Aber natürlich gibt es immer mal wieder Sachen, die ich ausprobieren will. Es muss zum Beispiel nicht immer langsam sein - man kann schnelle und langsame Elemente auch parallel laufen lassen. So färbt man immer wieder den einen oder anderen Song speziell ein." Herausfordernd sei dies durchaus - "...es kommt aber nur darauf an, ob's dir gelingt", zwinkert Matt, der mir ein Musiker aus Berufung zu sein scheint. Einer der sich alles erarbeitet hat und noch heute lieber sein lässt, was er nachweislich nicht kann. Diese Ehrlichkeit prägt natürlich auch seine Band. Jan als Bassist hate diesen Luxus anfangs nicht: "Für mich war es überhaupt einmal eine grosse Herausforderung, den Bass nicht mit Akkorden sondern mit Riffs, also kleinen Melodien, zu spielen. Heute kann ich es mir kaum mehr anders vorstellen. Und so sind dann jedes Mal ein paar Dinge dazu gekommen." Er, der ein bisschen wie der ewige Student aussieht und für einen Metaller äusserst feinfühlig ist, zählt mir auch noch auf, wie Pÿlon ihren Sound genau shapen - sei dies nun mit Tonhöhen, Gegenstimmen, verschiedenen Tempi usw - die LIste liesse sich fast beliebig verlängern...
Den "Heavy Metal Nation" Sampler klassieren die Jungs lapidar als "unsere Tracklist, die wir halt als CD heraus geben". Chancen, dort berücksichtigt zu werden, hat man natürlich vor allem mit gutem Sound, aber auch weiche Faktoren gelten. Quamlibet Records, das "kleine" Label von Matt und Jan, ist führend im Metal-Bereich, jedenfalls solange die Bands noch nicht zu Geld gekommen sind. "Wenn wir eine CD heraus geben, dann heisst das übersetzt: Diese 18, 19 Songs gefallen uns sehr gut und es stehen anständige Leute dahinter.", fasst Jan die Prinzipien kurz zusammen. Durch ihre Szene-Tätigkeit sind Matt und Jan natürlich ganz stark in der Szene verwurzelt und verlinkt. "Ohne es jetzt dermassen zu pflegen", relativiert Matt sein Engagement, gibt aber auch zu, "wir sind schon enorm vernetzt. Erstaunlich- und erfreulicherweise finden wir so auch immer wieder Leute, die gerne Doom mögen, was für unsere Band quasi ein Bonus ist. Insbesondere lernen wir so viele Musiker kennen, die wir beispielsweise als Gastmusiker bei uns einbinden können. Andere Leute bringen zumeist auch einen anderen Sound mit ein und das kann zu ganz interessanten Mischungen führen." Dass die Band wächst, hängt damit aber nicht zusammen. "Wir haben jetzt zwar auch noch einen Rhythmus-Gitarristen eingebunden, aber vor allem, damit ich mich beim Komponieren im Bandraum vollkommen auf die Melodie konzentrieren kann. Schlussendlich will man gewisse Dinge aber auch selbst machen und das wäre bei einer grossen Band viel komplizierter", lässt Matt durchblicken, dass er die Kontrolle doch ganz gerne bei sich behält...
Spezifisch an Pÿlon ist, dass sie im Gegensatz zu den meisten Metal-Bands, White Metal machen, wenn auch nicht sehr missionarisch. Dieser ist eigentlich noch viel mehr von Vorurteilen geplagt als der böse, der satanistische Metal. Die harte Musik gehört ganz klar den Bad Guys und denen, die sich auf der Seite des Herrn sehen und trotzdem Metal mögen, haftet der Verdacht an, Weicheier zu sein. Dabei ist es für Matt wohl ein simples Muss, weil er die Sache eben so sieht, wie ich unschwer schon am Spruch über der Tür bei ihm zuhause feststellen kann. Faszinierend am aktuellen Pÿlon-Werk "Armoury of God" ist für mich, dass Matt und Jan ihr Album in die Zeit des Armageddon stellen und als weisse Engel über die Bösen Armeen herfallen. Dieser Twist ist dann schon irgendwie grosses Kino, vor allem weil die "bösen" Kriegerwelten mit zunehmender Masse auch immer stereotyper und ähnlicher werden. Pÿlon dagegen stechen aus der Masse hervor. Da das letzte schon einjährig ist, frage ich allerdings bereits nach dem nächsten. "Das ist etwas apokryph ...", schickt Jan voraus, "es heisst 'The Harrowring of Hell' und erzählt davon, wie Jesus zwischen Karfreitag und Ostersonntag in die Hölle hinunter steigt und dort die Tore aufreisst. Damit können die Seelen derjenigen, die ihn nicht kannten, eine Wahl treffen und sich befreien lassen." Trotz solcher Themen - es tönt in meinen Ohren mal wieder sehr vielversprechend - sieht Matt die Band nicht als spezifisch 'white' - "weil in so einer Band üblicherweise alle ganz bewusste Christen sind und das auch leben. Bei uns ist es dagegen mehr mit der Musik verknüpft." So hat Matt zum Beispiel Psalm 139 fürs neue Album wortwörtlich in einen Metal-Song konvertiert. Da fragt man sich doch, ob es keine Berührungsängste gibt in der Szene? - Jan: "Wir spüren wenig, aber ich bin mir sicher, dass es sie sehr wohl gibt. Die Leute, denen das zu klebrig ist..." Wir kommen überein, diese als kleingeistig zu bezeichnen - und Pÿlon als das Gute Gewissen des Schweizer Metals!