Mit Sina in den Wolken fischen
Text: Monthy
Bilder: Rolf Schlup/Booklet
Böse Zungen mögen nach dem Release von Sina's "In Wolkä fische" behaupten, dass die Wallisserin künstlerisch auf der Stelle trete - jeder muss allerdings zugeben, dass dies wenn schon auf hohem Niveau geschieht. Der Grund für meine eröffnende Frage im Talk allerdings ist ein anderer. Steve Lee hatte mir letzten Sommer gesagt: "Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Band nach 15 Jahren noch neue Alben herausgibt." Bei Sina sind es dreizehn Jahre. Meine Frage lautet: Was hast du überhaupt noch zu beweisen? Sina lacht und lässt die Wolken auf meine ketzerische Frage nicht ihr strahlendes Antlitz verdunkeln: "Wahrscheinlich nichts... Musik machen gibt mir einfach ein gutes Gefühl. Und so alle zwei, drei Jahre bin ich jeweils soweit, eine Auswahl an Liedern zu präsentieren. Ich wundere mich selbst darüber, was nach zwei Jahren jeweils übrig bleibt. Das ist dann wie bei einem Schriftsteller, der einen 700seitigen Schunken auf 200 Seiten reduzieren muss. Was übrig bleibt, ist dann das, was er wirklich zu sagen hat. Dieses Herausschälen der Songs, das Auf-den-Knochen-Runter-Arbeiten war auch dieses Mal die grösste Herausforderung. Die Aufgabe etwas zu machen, was mir entspricht setzt sich fort. Sie ist ungebrochen seit dem ersten Album."
Sina's Dialekt und ihre Stimme sind ein Markenzeichen. Das gesangliche Können wird von einem Laien wie mir seit jeher als perfekt wahrgenommen und eingestuft. Aber wie man so sagt, lernt man ja nie aus. Wo könnte sich Sina allenfalls noch verbessern? - "Was mich antreibt ist das Herz, das Gefühl für die Musik. Wenn man es von der technischen Seite her anschaut, kann ich mich überall noch verbessern. Ich empfinde aber kein Bedürfnis danach. Auch diese CD ist für mich eine Momentaufnahme. Die habe ich irgendwann abgeschlossen und lasse sie jetzt sein wie sie ist. Jetzt geht wieder etwas Neues los. Die nächste Zeit wollen wir Spass daran haben, die Songs live zu spielen und irgendwann kommen dann wieder neue Songs. Ich lasse mich da gar nicht mehr unter Druck setzen. Von da her gesehen gefällt es mir nicht, gefragt zu werden, was ich zu beweisen habe. Da geht's dann gleich wieder darum, die Beste zu sein und Leistung abzurufen. Und mir geht es nicht um Leistung sondern um Gefühl."
Sina ist Sina. Das erklärt sich - wie bei anderen arrivierten Mundart-Ikonen - hierzulande selbst. Die Wahrnehmung der Masse reduziert Sina teils bis auf den gecoverten "Son of a preacher man". Verspürt sie da nicht besonders das Bedürfnis als Künstlerin über sich selbst hinaus zu kommen? Sina: "Das tue ich für meine Begriffe schon, nur merkt der gepflegte Hörer das nicht unbedingt. Und er muss auch nicht. Er kennt Songs von mir, die ihn beschwingen. Vielleicht die aktuelle Single. Dann freut er sich über den Frühling, öffnet das Fenster und ich habe mein Ziel schon erreicht. Ich empfinde es als rechte Veränderung seit dem letzten Album. Was vor allem auch auf Medienseite langsam realisiert wird, ist, dass Sina nicht mehr die Rocksängerin mit der Löwenmähne ist, die breitbeinig da steht und ein knappes Oberteil trägt. Darauf wurde ich lange reduziert. Seit der vorletzten CD drifte ich aber ab und zu in Singer/Songwriter-Gefilde ab und das kommt bei den Leuten jetzt langsam an. Für mich ändert sich von Album zu Album immer relativ viel. Das liegt auch an den parallelen Nebenprojekten. Wenn ich beispielsweise nicht beim Swiss Jazz Orchestra dabei gewesen wäre, hätte es auf 'In Wolkä fische' wohl auch keine Bläser."
Die Diskografie der übrigens immer schöner werdenden Femme fatale aus dem nationalen Wintergarten, die mittlerweile längst im Aargau wohnhaft ist, umfasst in der Tat nicht nur Sina's Platten. Ihre Nebenprojekte umspannen eine breite Palette von Aktivitäten mit so bekannten und nahestehenden Grössen wie Polo, aber auch unkonventionellere wie "Sina und Stucki", das sie mit Erika Stucki am Laufen hat. Davon erzählt mir Sina: "Wir zehren vor allem von unserer Vergangenheit als Wallisserinnen. Es geht oft um Geistergeschichten, verlorene Seelen, Katholizismus, das Leben im Tal. Wir filmen uns selbst mit Super8-Film. Meistens sind wir als grüne Frauchen unterwegs und suchen den Absynte, also die grüne Fee oder irgend so etwas. Zuletzt waren wir in Einsiedeln stigmatisieren. Das sind meist sehr schräge Geschichten, die wir mit einem Tubisten aus New York musikalisch umsetzen. Das Projekt liegt mir sehr am Herzen. Aber Gott sei Dank sagen die Leute 'Das ist Sina, die Mundartsängerin mit dem Pfarrersohn' und nicht 'Das ist Sina, die Hühnerfrau mit dem Stigmata'..."
Besonders gelungen finde ich das Erscheinungsbild von Sina's jüngstem Werk. Die Fotos mit Malereien im Hintergrund sind gleichzeitig neu und frisch, trotzdem zeigen sie auch Sina's Verbundenheit mit ihrer Heimat. Wie kam es dazu? Sina: "Es bezieht sich natürlich auf den Titel 'In Wolkä fische' - träumerisch und surreal. Das wollte ich in den Vordergrund rücken. Ich korrespondiere mit den Bildern. Das Wallis gehört da unbedingt mit hinein. Ich finde halt, es ist ein Ganzes. Deshalb habe ich diesmal auch mehr mitgeredet dabei. Grafiker und Fotografin sind selbstgewählt, wir haben das Erscheinungsbild zusammen entwickelt und eine Eiheit mit den Songs geschaffen. Ich bin äusserst glücklich darüber."
Beim ersten Durchhören der am 29. Februar erschienenen CD stechen für mich einige Songs sogleich wieder heraus (siehe unten). Bei "Platz miis Härz" beispielsweise konversiert Sina mit ihrem eigenen Herzen, was ich als Rahmen für einen Song ganz toll finde. Vor allem aber öffnet sie mir das Fenster, zu fragen, ob sie öfter Selbstgespräche führe? Sina lacht und gibt mit entwaffnender Ehrlichkeit zu: "Ja, das ist wirklich so. Vor allem im Alltag. Ich rede mit meinen Pfannen, mit meinem Risotto. Genauso wie mit meinen Nachbarn oder einfach mit mir selbst." Meine Komplimente will Sina an Milena Moser weitergeben. "Ich bin nämlich nur mit einem Satz zu ihr gegangen", erklärt mir Sina, "und zwar dem ersten. 'is nit äso'. Ich hatte aber keine Idee und normalerweise bringe ich die Textideen ein. Sie hat ihn dann geschrieben. Voll in meinem Sinn." Obwohl ich nun eigentlich Milena Moser - oder Adi Stern, der den Sound dazu geschrieben hat, fragen sollte - wie arbeitet es sich mit Sina? - "Ich bin eine absolute Zicke...", lacht sie mich an, "Nein... natürlich eine ganz tolle Teamworkerin. Ich liebe es, mit Leuten zusammen zu arbeiten und es ist immer anders. Mit dem einen setzt du dich sofort ans Klavier, mit dem anderen gehst du erstmal ein Bier trinken... Man sendet sich Rohmaterialien zu und lässt den anderen etwas daraus entwickeln. Dann trifft man sich und knüpft dort an. Das finde ich toll. Bei Adi war's so, dass ich einfach jemanden wollte, der Gitarre spielt, weil ich die Nase vom Elektropiano voll hatte. Wir sind ja mittlerweile beide Aargauer, also habe ich angerufen..."
Sina's "In Wolkä fische" - verträumt und surreal
1 - "Hinnär diär" - Blues mit Zuversicht
2 - "Wänn nid jetz wänn dä" - Ode an den französischen Abschied - Single
3 - "Königin in rot" - Hommage an eine Träumerin mit abruptem Ende - Geheimtip
4 - "Ich ha an der Port glost" - orchestrales Liebeslied
5 - "Schnee" - Fräulein Sina's Gespür für...
6 - "Platz miis Härz" - swingendes Zwiegespräch mit eigenem Herzen - Geheimtip
7 - "Inslu" - genügsame Akustiknummer für Klimageschädigte
8 - "Riich" - musikalische Nacht ohne thematischen Morgen
9 - "Egoischt" - kickende Lebensweisheiten für Egomanen - Geheimtip
10 - "Värmissu di" - Schattenspiel mit abwesendem Liebhaber
11 - "Liäbi Wält" - Basslastiges Variété mit kommunikativer Ironie