Mehr Sein als Schein: 69 Chambers
Ninas Decoltée ist tief, die Pfiffe laut und die Zurufe anzüglich, als sie die Bühne des Openair Lumnezia in Degen für den Soundcheck betritt. „Damit muss du umgehen können, wenn du als Frau Metal machst“, sagt die Frontfrau und Gründerin von 69 Chambers. „Und frag jetzt bloss nicht, wie wir auf unseren Namen gekommen sind...!“ Also lassen wir das und sprechen über Metal, Männer und Machismo. „Ich glaube, dieses Mann-Frau Ding, diese Unterscheidung gibt es nicht mehr“, sagt Nina, und beteuert: „Bei uns auf jeden Fall bestimmt nicht! 69 Chamber war früher ein Trio von mir und zwei Männer. Aber das hat nicht wirklich funktioniert, deshalb habe ich neue Leute gesucht, die bereit sind, für die Musik aufs Ganze zu gehen. Dass ich eine Frau für den Bass gefunden habe, ist völliger Zufall!“
Und trotzdem weiss die Blondine mit der bisweilen beängstigend kräftigen Stimme: „Wenn du als Frau richtig auftrittst, kannst du viel Aufmerksamkeit kriegen.“ Kriegt eine Band diese Aufmerksamkeit, öffnen sich ihr Türen. „Aber“, betont Nina, „trotzdem gehört viel, viel harte Arbeit dazu, wenn man vorwärts kommen will. Wenn du nur hart arbeitest, und niemand auf dich aufmerksam wird, verschwindest du in der Masse von Millionen anderer Bands, die das selbe Ziel haben, wie du. Wenn du aber nur Aufmerksamkeit erhaschen willst, und keine Leistung oder Qualität bieten kannst, führt das auch zu nichts.“ Dass 69 Chambers tatsächlich mehr sind, als nur sexy Ladies, die mit tiefen Decoltées Effekthascherei betreiben, bewies die Band am Openair Lumnezia eindrücklich. Druckvoll donnerte ihr Sound durch das Tal des Lichts – ein veritables Gewitter, einfach ohne Regen und Sturm.
Seit kurzem steht neben Fronterin Nina, Bassistin Maddy und Trommler Diego auch Tommy Vetterli als zweiter Gitarrist mit der Band auf der Bühne – ein Mann, der mit Bands wie Coroner oder Kreator bereits im In- und Ausland Metal-Geschichte geschrieben hat. „Eigentlich ist Tommy 'nur' unser Produzent“, erklärt Nina, „aber wir haben ihn seit kurzem auch als Gitarrist mit auf der Bühne, weil man mit einer zweiten Gitarre schlicht viel mehr Druck erzeugen kann, als nur mit einer.“ Ein Mann mit einer solchen Biografie und einem solchen Renomée „nur“ als zweiter Gitarrist...? „Natürlich können wir viel von Tommys Erfahrung profitieren“, sagt Nina. Dass Vetterli aber fixes Bandmitglied wird, ist derzeit nicht geplant – auch wenn die „Chefin“ sagt, es sei alles offen. „Primär ist er unser Produzent. Deshalb will er sich auch nicht zu sehr vom Songwriting und dem Band-Alltag einnehmen lassen. Ein guter Produzent braucht eine gewisse Distanz.“
Und trotzdem: So sehr man sich bemüht, die Regeln des Business zu befolgen, so eigenartig sind die Wege, die dieses manchmal nimmt. 69 Chambers können davon ein Lied singen. „Wir sind bei einem Deutschen Label unter Vertrag und die Crew dort hat in Deutschland wirklich gute Promo-Arbeit geleistet“, sagt Nina. „Aber erstaunlicherweise läuft es für uns im Welschland und in Frankreich derzeit fast besser als in Deutschland.“ Hat das mit dem Metal-Publikum zu tun, das in Deutschland sehr straight ist, um nicht zu sagen konservativ, und 69 Chambers' Bereitschaft, auch mal grungige Elemente einzubauen, oder gar Melodie, nicht goutiert? „Möglich wärs“, sinniert die Sängerin und Gitarristin, „Metal ist halt tatsächlich eine Szene, die nicht dafür bekannt ist, gross nach links oder rechts zu schauen und fremde Einflüsse nicht immer goutiert.“ So seien sie schon an Metal-Festen als „kommerzielle Pop-Softies“ angeschaut worden – während dem das Publikum im Bündnerland den Eindruck machte, dass es den Auftritt des Quartetts als ziemlich deftig empfunden hat. „Aber das ist halt nun mal unser Ding“, sagt Nina, und ist überzeugt: „Wenn wir hart weiter arbeiten und unseren Weg konsequent gehen, werden wir auch vorwärtskommen.
Wobei sie durchaus weiss, dass „vorwärtskommen“ nicht zwingend mit dem Traum, ein gefeierter Star zu werden, gleichzusetzen ist. „Im Moment legen wir mit dem Musik machen drauf“, gesteht sie frank und frei. „Wenn wir unser Hobby selbsttragend betreiben und unsere Kosten decken könnten, wäre das schon toll.“