Zum Glück haben 77 Bombay Street ihr „Oko Town“
2.10.2012/Text: Ko:L, Bilder: Promo by Herbert Zimmermann
Nach dem Start, den 77 Bombay Street mit “Up in the Sky” hingelegt haben, ist es eigentlich nicht erstaunlich, dass ihnen zwischenzeitlich schier die Luft ausgegangen ist. Sie haben unzählige Preise angehäuft, anderthalb Jahre praktisch ununterbrochen im In- und Ausland getourt und dabei manchen Veranstalter mit ihrer riesigen Fanschar an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht, und ihr Debut-Album hielt sich schier endlos 83 Wochen in den Schweizer Albumcharts – ohne Re-Relase oder Neuauflage, wohlgemerkt . Und jetzt – nur anderthalb Jahre nach diesem Debut, das definitiv Schweizer Musikgeschichte geschreiben hat, kehren die vier Brüder Esra, Joe, Simri-Ramon und Matt zurück mit “Oko Town”.
Im ersten Moment könnte man erschrecken. “Hier gibt es nichts, wofür es sich zu leben lohnt”, lautet die Übersetzung der ersten Textzeile des neuen Albums von 77 Bombay Street. Und dann besingen sie den Clown, der hinter seiner Maske gar nicht so glücklich ist, singen davon, wie sie lieber abtauchen als im grauen Alltag verharren würden, singen davon wie sie sich in einer zerbrochenen Welt zu verlieren drohen. Hinzu kommt das Artwork des Albums, das zwar auf die bekannten Farben setzt – aber dezenter, matter möchte man schreiben. Jungs – hat euch euer Erfolg depressiv gemacht – oder zumindest schwermütig? Esra und Joe lachen. “Nein, keiner von uns ist depressiv geworden”, sagt Joe. Esra fügt an: “Es ist halt wie es ist: Wir leben in keiner perfekten Welt. Wir schreiben Lieder über Themen, die uns beschäftigen.” Und: In der Pop-Welt sei halt auch nicht immer alles Gold, was glänzt.
“Versteh uns nicht falsch”, beschwichtigt Joe, “wir beklagen uns in keiner Art und Weise. Was uns passiert ist mit unserem ersten Album ist grossartig, ja gigantisch. Wenn ich mich erinnere, dass wir vor anderthalb Jahren im selben Lokal am Tisch nebenan davon gesprochen haben, dass wir möglichst viele Platten verkaufen möchten, um vielleicht irgendwann von der Musik leben zu können...” Vieles, von dem die vier Brüder Anfang 2011 noch träumten, ist heute Realität. Seit einem Monat sind 77 Bombay Street nicht nur eine Band, sondern eine eigene Firma. “Der Business-Teil wird einfach immer wichtiger, das ganze Geschäftliche und Administrative”, sagt Esra. “Ich werte das in keiner Weise. Es ist einfach ein Faktum, an das man nicht im ersten Moment denkt, wenn man davon träumt, ein erfolgreicher Musiker zu werden.”
So ist der Eindruck, der Zweitling von 77 Bombay Street sei eine eher trübe und blasse Geschichte den auch nur die halbe Wahrheit. Selbstverständlich gibt es noch Songs wie “Indian”, in dem ebendieser von der grossen weiten Welt und Freiheit träumt; “Planet Earth”, diese herzliche Huldigung an ebendiesen; “Gotta get home”, in dem das wohlige Gefühl der Geborgenheit auf dem Weg zurück nach Hause beschreibt. Und es gibt eben “Oko Town” - dieses Utopia, in dem der Krieg besiegt und alles gut ist – auch wenn es vorerst nur ein Traum ist. Verpackt haben die vier Brüder die insgesamt 14 Tracks in ihren bekannt süffigen und von grossen Melodien geprägten Folkpop – wenn auch dieses Mal etwas wohlig-wärmer, vielleicht auch erdiger und eben am Ende doch weniger schwerelos anmutend als noch auf “Up in the sky”. 80 Song-Ideen hätten sie zur Auswahl gehabt, sagt Esra. “Rund zwanzig davon waren sehr ähnlich wie die Songs auf dem ersten Album. Dem Management hätten sie sehr gut gefallen. Aber wir haben uns entschieden, dass wir einen Schritt vorwärts machen wollen.” - “Drei Dinge wollten wir unter einen Hut bringen: Songs schreiben, die uns nicht verleiden, wenn wir wieder so lange touren; wir wollten uns weiterentwickeln, um nicht zu sagen neu erfinden – und wir wollten trotzdem 77 Bombay Street bleiben.”
Optisch bedeutet das, dass die Farben Rot, Blau, Grün und Schwarz weiter dominieren – einfach in neuen Gewändern und anderen Nuancen. Einfach ist das freilich nicht immer. Denn: “In Deutschland und Frankreich wurde jetzt erst gerade 'Up in the Sky' physisch veröffentlicht – da treten wir noch in den 'alten' Farben auf”, erklärt Esra. Auch das sei halt so ein Business-Aspekt... Aber eben: Andere Musiker würden solche “Probleme” zweifellos als Luxus-Probleme bezeichnen. 77 Bombay Street hingegen hoffen, dass auch “Oko Town” die Herzen der Leute wieder erobert, “und wir unseren Traum, von der Musik leben zu können, weiterleben können”, sagt Joe. “Wenn nicht, müssten wir nämlich wieder arbeiten. Und wenn wir arbeiten müssten, hätten wir weniger Zeit für die Musik. Das wäre sch....ade!”