Andra Borlo: „Leidensdruck führt zu Kreativität“

Text: Ko:L
Bilder: musicbild.li
Andra Borlo live on stage
Wenn Andra Borlo ihre Stimme erhebt, wird’s meistens trist. Trennung, Unsicherheit, Verzweiflung und Verwirrung sind ihre Themen; Titel wie „Scared“, „Let's say goodbye“ oder „Since we left“ die logische Folge. Und dann lacht sie einfach auf die Frage, ob sie ein unglücklicher Mensch sei. „Nein!“, sagt sie. „Ich greife zur Feder, wenn mir etwas am Herzen liegt. Sonst bin ich immer auch Achse, lustig und so. Ich ziehe mich meistens zurück, wenn ich nicht so gut drauf bin. Viele Songs entsehen aus dem Leiden.“ Aha. Und Andra erklärt weiter, es sei ihr bei ihrer früheren Band K'daar viel zu gut gegangen. „Deshalb waren meine Songs damals nicht wirklich gut.“ Heute sind ihre Songs geballte Emotionen, Momentaufnahmen aus einem Leben mit vielen Hochs und Tiefs – einem „Roller Coaster“. Mal im Duo mit Pianist Mik Keusen, mal im Quartett mit Keusen, Ivo Schmid am Kontrabass und Perkussionist und Drummer Adrian Christen entführt sie ihr Publikum jedesmal von neuem ins Minenfeld zwischen Spass, seelischen Abgründen und Augenzwinkern. „Ein gewisser Leidensdruck führt zu Kreativität“, sagt Andra.
Andra Borlo live on stage
„Wenn ich einen Song singe, bin ich wie in einem Film. Ich sehe genau, was ich sah, als ich den Song schrieb. Ich versuche jeweils, den total in mich hinein zu gehen und wenn ich den Song mit jeder Faser des Körpers fühle, kehre ich mich um, wie ein Handschuh.“ Und weil es oft Schwermut und Zweifel sind, die sich aus diesem Handschuh ergiessen, versucht Andra Borlo jeweils, die drohende inhaltliche Schwere mit musikalischen Elementen aufzulockern. In „Roller Coaster“ etwa geht es um eine Dreiecksgeschichte, die einen ziemlich durchrüttelt. Aber zur Achterbahn gehört nicht nur Unwohlsein, sondern auch die Euphorie. „Das versuche ich mit dem ziemlich seltsamen Tango-Teil in der Mitte des Songs zu zeigen, die positiven Gefühle wenn du wie high bist, abgehoben in einer andren Welt.“ Überhaupt versucht Andra Borlo bei aller Schwermütigkeit auch immer eine Form von Aufbruchstimmung zu vermitteln, wie sie selber sagt: „'Es ist Zeit' ist im ersten Moment ein Song, der von Abschied handelt. Aber es ist kein schwerer Song – irgendwann realisierst du ' Hey, das Leben geht weiter', egal was kommt.“
Andra Borlo mit Band
So richtig offensichtlich wird der Wert des musikalischen Teppichs in Andra Borlos emotionsgeladenen Songs, wenn man Auftritte als Duett oder Quartett einander gegenüber stellt. Naturgemäss ist eine Show mit Gesang und Piano weniger dynamisch, als ein Konzert mit Gesang, Piano, Bass und Drum. „Zu zweit zu spielen ist eine enorme Herausforderung für mich, back to the basics“, erklärt Andra, „und es hat ein paar Konzerte gebraucht, bis ich mich wirklich wohl gefühlt habe und bis Mik und ich uns auf der Bühne gefunden hatten.“ Und die Power-Sängerin bestätigt den Eindruck, Duo-Shows seien emotional etwas weniger geladen. „Mit der Band kannst du extrem spielen, mit Zwischenteilen oder Soli, da fliesst über die Arrangements sehr viel ein.“ Dafür sei's „wahnsinnig entspannt“, zu zweit aufzutreten. „Du kommst hin, hast den Soundcheck nach 20 Minuten hinter dir, hast viel Zeit zum Nachtessen und kannst vor der Show noch einen Spaziergang machen.“ Und dieses Relaxed-Sein wirke sich auch auf die Bühne aus. „Doch auch wenn das ganze vielleicht emotional weniger dynamisch wirkt, so kommt von mir doch immer genau die gleich Hingabe“, versichert Andra.
Bassist streicht Bass - nicht alltäglich im Pop
„Ich bin jemand, der das Leben umarmt, ab und zu total auf die Schnauze fällt und extrem leidenschaftlich ist“ , sagt Andra Borlo über sich selber. Genauso romantisch und leidenschaftlich ist Andras musikalisches Setting – nirgends einzuordnen und ständig in Bewegung irgendwo zwischen Pop, Latin-Tradidtionals, Blues und Jazz. „Um in der Musikwelt, wahrgenommen zu werden, ist das grossartig“, freut sich Andra, wohl wissend, dass sie mit ihrem eigenwilligen Stilmix ihrer Bookering Carmen von Melowdee.ch das Leben nicht leichter macht. „Weil es so schwierig ist, unseren Sound einzuordnen, ist es nicht leicht, zu Konzerten zu kommen“, weiss Andra Borlo. Der Entscheid für diese – und gegen andere, „gewöhnliche“ - Instrumente sei auch sehr bewusst gefallen, sagt sie. „Ich konnte zum ersten Mal in meinem Leben genau die Songs machen, die ich wollte – und genau so wie ich wollte. Ich konnte meine musikalische Vision voll umsetzen.“ Und deshalb sei so „wahnsinnig glücklich“, wenn sie ihre CD „New York Diary“ höre oder die Songs ab dem Album singe.
Talking to Ko:L
Und weil Andra gerne Sachen etwas anders macht, als andere diese Sachen machen, hat sie für ihre „SwissMiss-Tour“, die sie im September zusammen mit Eliane Amherd durch die USA geführt hat, den grossen Depro-Klassiker „Stets i Truure“ zu einer Power-Bluesnummer uminterpretiert. „Ich habe keine Ahnung, wie die Originalversion tönt“, gibt sie zu. „Eliane wollte einfach, dass ich mit meiner Stimme aus 'Stets i Truure' – Always suffering – einen Blues mache.“ Und damit – und zusammen mit Elianes Latin-SingerSongwriter-Mix – konnten die beiden beachtliche Erfolge feiern, „drüben“ und viele positive Feedbacks einheimsen, wie Andra berichtet. Dabei haben sie alles gemacht – von Shows mit (einigermassen) eingespielten Formationen bis hin zu Auftritten mit einem befreundeten Musiker, der vor dem Konzert nie mit den beiden gespielt hatte. „Der Qualitätsanspruch, auch an technisches Equipment und so weiter, ist hier in der Schweiz viel höher“, ist Andra überzeugt. Im Gegenzug hat sie in New York und den weiteren Orten in den USA, in denen sie auftrat, festgestellt, dass „du dort Künstler hast, die zu 100 Prozent bei der Sache sind und einfach für die Musik und nichts anderes leben.“ Wohl gebe es diese Musiker in der Schweiz auch, „aber wenn du in New York von der Musik leben willst, musst du das Ding so extrem durchziehen, dass es nichts anderes mehr gibt in deinem Leben.“ Und das „Nein“, auf die Frage, ob sie selber das auch könnte, kommt sofort. „Ich muss zwischendurch anstrengende Bücher lesen und komplizierte Diskussionen führen. Ich kann nicht nur Musik machen. Ich bin genauso leidenschaftlich in meinem politischen Engagement.“
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