Andra Borlo schreibt: Goldschürfen in New York

Text/Bilder: Andra Borlo
Sobald ich in die Stadt eintauche, kann auch ich mich nicht von der Goldgräbermentalität bewahren. Denn in New York ist man umgeben von Berichten und Geschichten über Menschen, die ganz zufällig zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort waren, über Stars, die auf den Fotos immer grade aus ihrem NY-Town House kommen und mit Anekdoten über die Leute die im grossen Apfel irgendwann mal das Goldstück gefunden haben. So mache ich mich auf die Suche nach dem Gold.
Andra Borlo unterwegs in NY
Nachdem ich mich wieder mal davon überzeugt habe, dass auch lokale und gestandene MusikerInnen meist nur vor ihren FreundInnen für Trinkgelder spielen, komme ich von der Idee weg, monatelang als Bardin durch die New Yorker Clubs zu tingeln. Obwohl ich sehr gebauchpinselt war, kurz nach dem Aufschalten meiner myspace Seite Angebote von Bookern für New Yorker Clubs zu kriegen. Vorläufig genoss ich es, als Gastsängerin bei befreundeten Bands aufzutreten und halte Ohren und Augen offen für weitere Möglichkeiten.
U-Bahn ist nicht Andras Ding
Mein „New York Diary“ findet gefallen in New York. Alle sind von der Qualität der Aufnahmen und von den Arrangements begeistert. Das hat viel damit zu tun, dass sich in NY kaum jemand eine professionelle Aufnahme leisten kann, der nicht von einem Label gepusht wird. Erstaunt sind alle darüber, dass ich trotz des Deals mit Universal Music noch mit dem Fahrrad und nicht mit der Limo unterwegs bin. In den USA laufen diese Geschichten eben ganz anders. Kein Problem, Fahrrad fahren ist eh gesund!
Andra liebt New York
Um auf weitere Ideen zu kommen, wie ich mich in den USA als Musikerin sichtbar machen kann und vielleicht mal ein Nugget finde, treffe ich mich mit der Managerin einer viel versprechenden jungen Sängerin. Sie sieht, dass meine Studiomusiker mit Leuten wie Cassandra Willson, Joe Jackson, Björk, Paquito d’Riviera oder Elvis Costello auf der Bühne standen. Ich soll den Musikern sagen, sie sollen meine CD an diese Leute geben – wer weiss, vielleicht geben diese sie dann einem Produzenten und mein nächstes Album wird von einem Starproduzenten gemacht – oder ich werde zufälligerweise einmal als Vorband für Elvis Costello oder Joe Jackson auserwählt - da kommt die Goldgärberin ins Träumen. Wer weiss, vielleicht covert Cassandra ja bald einen meiner Songs....
Eliane Amherd und Andra Brolo
Angesteckt von der Idee, trage ich fortan immer eine Kopie der CD bei mir, um sie irgendwelchen Stars in die Hände zu drücken. Im B.B. Kings Club besuche ich das Konzert von Tony Levin, dem Ex-Bassiten von Peter Gabriel. Ich stehe nach der Show in der Schlange mit AutogrammjägerInnen und drücke einem ziemlich erstaunten Tony meine CD mit Widmung in die Hand, statt ihm seine CD zur Widmung hinzustrecken. Der nächste unfreiwillige Abnehmer wird Moby, der in Nublu im East Village auflegt. Ihm muss ich die CD zwei Mal in die Hand drücken, weil er sie erst hat liegen lassen, autsch! Aber ich höre schon einen Moby Remix von „Lullaby“ , dem ersten Song auf meinem Album und höre die Tantiemen klingeln.
So mag sie's: Andra mit dem Radl
New York ist voller Goldsucher. Meine Freundin Eliane Amherd, eine tolle Gitarristin und Sängerin aus dem Wallis, die seit Jahren in New York wohnt und spielt, schreibt mir ein Mail mit dem Subjekt „Stevie Wonder hört meine Songs“ – ich greife sofort zum Telefonhörer. Sie hat ihn im Dining Room eines Hotels erspäht, seinem Bodyguard dezent die CD mit einem Text in die Hand gedrückt und sich dann in die Hotelbar verdrückt, weil sie Stevie nicht stören wollte. Nach einigen Minuten stand der Bodyguard ausser Atem vor ihr und fragt, warum sie denn so schnell verschwunden war, Stevie würde sie gerne kennen lernen. So kam sie zu einem kurzen Schwatz mit Stevie Wonder, der ihr gesagt hat, er freue sich darauf, ihre CD zu hören. Da schimmert es schon ein bisschen golden....
Andra unterwegs ans Meer
So ist man umgeben von all diesen Geschichten und lässt sich schnell anstecken vom „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Ich vergesse dabei nie, dass diese selbstdefinierte Unbegrenzheit fatale Folgen im weltpolitischen Sinne hat und sehe die Vorzüge der Schweizer Bescheidenheit, dank der der Welt zumindest erspart wurde, Schweizer Kolonien in der Welt zu verteilen.
Andra unterwegs in NY
Das bringt mich zu meinem Ausflug in die Hamptons, der Ort der Unbescheidenheit schlechthin. Die Hamptons sind als die reichste Gemeinde an der Ostküste bekannt. Auf diesem Inselstück von Long Island finden sich diese idyllischen kleinen Dörfer, die umgeben sind von fetten Villen. Dort treffen sich Mr und Mrs Big Dollar und immer wieder liest man mal in den Klatschzeitungen, welcher Star sich dort wieder ein Haus zu völlig überrissenem Preis gekauft hat. Als mich eine Freundin fragt, ob ich sie und ihre Band zum Gig in den Hamptoms begleiten soll, sage ich sofort ja. Sicherheitshalber packe ich Proviant und eine Thermomatte ein. Wir sitzen im alten Klapperbus der Band, einige der Scheiben sind durch Holzbretter ersetzt und die Sitze quietschen. Meine Freundin erzählt mir, dass einer der Bandmembers der Sohn von Meryl Streep sei. Jetzt wo ich’s weiss, sehe ich im Rückspiegel eindeutig die Augenpartie der Schauspielerin vor mir. Sympathisch, da er sich scheinbar nicht mit ihrem Namen oder Geld ein Leben macht. Der Abend endet damit, dass uns sein Cousin zu einem Haus fährt, in dem wir alle pennen können. Ich habe noch nie ein so grosses Haus ausserhalb von Filmen gesehen. Und schon stehe ich in einer riesen Villa à la Denver Clan mit mindestens 20 Zimmern, wunderbar eingerichtet, der beleuchtete Pool fehlt nicht. Auf der Toilette lachen mir die Präsidenten Ford, Nixon, Carter, Bush sen. auf Fotos entgegen, die sie für ihren treuen Freund William E. Simon signiert haben. Ich bin im Haus des ehemaligen Finanzministers der USA gelandet. Der Gastgeber ist sein Enkel. Ich brauche weder mein Picknick noch meine Schlafmatte für diesen Ausflug.
Andra daheim
Kurz vor meiner Abreise ist endlich die US-Version meines Flyers fertig. Inmitten von Goldgräbern muss man etwas anders kommunizieren. Ich überwinde mich am letzten Tag vor meinem Abflug in der Schweiz, am Time Squares Flyers zu verteilen. Einer netter „Kollege“ vom B.B-King überlässt mir die beste Ecke für eine Stunden – zu mehr kann ich mich auch nicht überwinden. Sie gehen weg wie frische Semmeln. Mein Glück ist, dass ich mir überhaupt nicht ähnlich sehe auf dem Coverbild, so dass ich für die Leute einfach eine von Universal angeheuerte Promoterin bin. Denn in den USA würde eine „Universal signed artist“ nie und nimmer Flyers verteilen. Und wieder denke ich, dass vielleicht gerade ein Produzent, eine Clubbesitzerin, ein Filmemacher oder der Manager von Fiona Apple vorbei kommt. Tagträumen kostet zum Glück nichts und es gibt auch Schoggitaler die golden glänzen.
Immer dabei: Der I-Pod
Im September machen Eliane und ich eine US-Tour im Mittleren Westen und an der Ostküste. Selbstverständlich organisieren wir in New York auch ein Show Case, zu dem wir die Labels, Bookers und Management einladen, die uns dann für die US entdecken. Und wer weiss, vielleicht sitzen ja Stevie Wonder und Moby auch im Publikum.
Andra Borlo, Juli 2006
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