Annakin/Weyermann/Etter - Drei im Einklang

14.10.2011; Text/Bilder: Monthy
Voices on Top, Pontresina heisst, dass die Stimme im Vordergrund steht und die Musik eher gedämpft daher kommt. Zudem mag der lange Weg ins Engadin dafür mitverantwortlich sein, dass - zumindest in den Bars und im Smalltalk-Zelt vor dem Kongresszentrum - selten ein "normal" ausgestattetes Schlagzeug zum Einsatz kommt. Neben den akustischen Performances hat sich Pontresina schon im zweiten Jahr einen Namen hinsichtlich spezieller Performances gemacht, was übrigens vom Publikum mit Zuschauerzuwachs in genau der Form gewürdigt wurde, die sich die Organisatoren gewünscht hatten. Darbietungen wie die von Marc Sway und Fredda Goodlet letztes Jahr oder wie die Lockstoff - reduziert auf ein Duo - in diesem. Auch der Auftritt der Zürcher Kultfiguren Annakin und Adi Weyermann, komplettiert von Tom Etter, muss man zu diesen zählen. Die drei Musketiere wurden dem Motto des Events ganz besonders gerecht, weil sie aus jeglichen Schnickschnack verzichteten und quasi als Troubadouren-Trio daher kamen.
Annakin strahlte im silbergrauen Glitzerkleid
Man sollte nun meinen, dass die zwei Langhaarigen am längsten vor dem Spiegel stehen würden, auch wenn es sich nur um ein Interview handelt. Aber Annakin und ich waren als einzige pünktlich vor Ort, was mein Fragekonzept gehörig durcheinander wirbelte. Nach über drei Jahren hatte ich Adi zu Beginn fragen wollen, was er denn so getrieben habe. Das kann ich zwar auch auf Annakin anwenden, doch wir zwei beide hatten uns letztmals ziemlich genau vor einem Jahr zu einem Interview über ihr 2011er Album hingesetzt. Also nehme ich nun an, sie hat die Zeit mit Werbung dafür verbracht? - Annakin: "Nicht nur in der Schweiz sondern dieses Mal auch in England. Das war schon sehr cool. Und jetzt steht noch Österreich an. Im November ist ein Konzert in Wien und im Februar steht eine Tour an, mit Band und Promo und allem was dazu gehört." - Warum bloss wundert's mich nicht, dass Annakin ausgerechnet in England auf offene Ohren stösst. Der Vergleich mit Björk stand ja eh schon im Raum und auch wenn die Isländerin ist, hatte sie ihren durchschlagenden Erfolg auf der anderen Insel und dann in der ganzen Welt. Zudem ist auch etwas spezifisch englisches an Ann-Kathrin und ihrer Singsprache. Heinrich Müller, den ich später beim Konzert treffe, meint zwar, es sei irisch... "Überall ausser in London", habe es ganz gut angeschlagen, präzisiert sie auf meine Nachfrage, wo genau, während im Hintergrund Adi eintrifft und für Unruhe sorgt. Annakin: "Bis nach Belfast wurden wir am Radio gespielt. Die Promo habe ich von hier aus gemacht, aber es wurde gut aufgenommen, auch von Printmedien. Es macht von daher auch Sinn, weil ich schon immer in England produziert habe und auch die feine Musik passt wohl dorthin."
Hat was von James Dean - Adi Weyermann
Ich beziehe Weyermann ins Gespräch ein, indem ich anrege, er könne sich ja Annakin zum Vorbild nehmen. "Ja, du hast immer gesagt, ich müsse ins Ausland...", erinnert sich Adi an unsere früheren Interviews, "- ich habe deinen Rat bis heute nur ein ganz klein wenig befolgt." Na immerhin - wenn aber nicht im Ausland, wo hat er sich die letzten Jahre über versteckt? Nach dem zeitlich nahen Doppel-Release "Pool"/"Wood" kommen keine neuen Weyermann CDs mehr. Jemand hat mir gesagt, der Adi müsse Geld verdienen, deshalb. "Das ist etwas simpel ausgedruckt", reagiert Adi und verweist auf die Verantwortung, die er als Musiker mit Familie halt mal trägt, "Und dann bin ich in die eine oder andere Sache reingerutscht, die mir sehr Spass machen, und so spiele ich mittlerweile sehr viel für andere." Unter anderem spielt er nicht nur in Pontresina mit Annakin, sondern fix in ihrer Band. Ich frage ihn, ob denn Auftritte mehr einbrächten als Tonträger, was er mit "Viel mehr" beantwortet. Adi: "Ich lebe vom Konzerte Spielen und vom Produzieren anderer Bands - und noch ein wenig von den Tantiemen..."
Tom Etter im plötzlich eingeschneiten Pontresina
Die beiden aus dem illustren Trio, die mittlerweile vor mir sitzen, sind Exponenten einer Generation Zürcher Musik - Stichworte Swandive und Crank, die kultigen Bands meiner Generation, als die hoffnungsvollen Schweizer noch spärlich waren. Die Frage, ob sie sich eigentlich schon damals kannten, muss natürlich gestellt sein. "Die Bekanntschaft ist eigentlich aus neurer Zeit - wir kennen uns seit...", beginnt Adi die Antwort und Annakin übernimmt fliessend, "...2003 glaub ich. Wir haben für sein Album damals ein Duett gemacht, waren auch schon mit Tom auf der Bühne." Adi erinnert sich präzise, wie das damals war: "Wir nahmen ein Duett für mein Album auf, dass es dann nicht aufs Album schaffte. Und dann nahmen wir ein Duett für dein Album auf, dass es auch nicht aufs Album schaffte. Dann waren wir quitt und konnten richtig loslegen." Obwohl sie beide dann aufeinander einreden, sie hätten doch so ein schlechtes Gewissen gehabt, lässt Annakin den Schluss, dass sie sich aus schlechtem Gewissen heraus kennen gelernt hätten, nicht ganz gelten. "Was bei Adi und mir cool ist - es passt stimmlich und menschlich kommen wir sehr gut miteinander aus. Wir sind gute Freunde geworden, die Vibes stimmen und ich finde die Frequenz der beiden Stimmen spannend." Ich wende ein, dass wir zwar alle drei noch sehr jung aussehen, aber eigentlich gar nicht mehr die jüngsten sind. Annakin will nicht jammern, aber Adi hat mich verstanden und fragt gleich reihum die Jahrgänge ab und wir stellen fest: 74, 75, 76 - die Verteilung lassen wir mal offen. Aber es sagt vielleicht etwas darüber aus, warum man sich versteht...
Ein Trio Vollprofis - alle mit geschlossenen Augen...
Oder wie in meinem Fall sich zumindest bemüht. Ein nächster Ansatz geht auf die Eindrücke zurück, die ich von den beiden über die Jahre gewonnen habe. Annakin stellt für mich eher das Dunkle, Geheimnissvolle dar. Sie hat eine Stimme, so klar wie ein Gebirgsbach, der unvermittelt zu einem reissenden Strom anschwellen kann. Und Adi ist in meinen Augen ganz einfach die - vielleicht leider verkannte - Lichtgestalt der Schweizer Szene. Ich verstehe bis heute nicht, wie mich Leute, die an und für sich schon einiges über Schweizer Musik wissen, mit unwissendem Blick anschauen können, wenn ich mal seinen Namen erwähne. Im Zusammenspiel - oder eben vielmehr im Einklang der Stimmen - verhält es sich aber eigentlich umgekehrt. "Ich verstehe die Frage, weil ich schon von Swandive her, etwas Düsteres mitbringe. Adi finde ich, vom Punk her, aber auch... Und man sagt mir auch oft, dass die helle Stimme im Gedächtnis geblieben sei. Deshalb gibt es auch bei mir helle Stellen. Texte und Melodien sind dagegen eher dunkel." Adi reagiert auf mein Kompliment hocherfreut, auch er weiss aber auf eine Hell/Dunkel-Diskrepanz hinzuweisen: "Bei mir haben die Leute ja - vor allem bei La Poeta - immer gesagt, ich mache so traurige Musik. Dabei bin ich ein total fröhlicher Mensch..." Es sei auch auf der Bühne ganz wichtig, die Waage zu halten zwischen den schweren und den leichten Momenten.
Immer mit vollem Ausdruck am Singen - Annakin
Tom Etter hat sich unserer umgekehrten Proportionalität von Haarlänge zu Pünktlichkeit untergeordnet und ist als Letzter auch irgendwann eingetroffen - er hat die kürzestesten Haare... Seither sitzt er so dabei, ohne gross was zu sagen. Und ich habe so den Verdacht, dass er ganz gern im Hintergrund bleibt. Mir ist jedenfalls kein Interview des ZüriWest-Gitarristen bekannt, bei dem er sich gross hervor getan hätte. Tom Etter ist einer Marke Top-Musiker, der lieber andere ins Rampenlicht rückt als sich selbst. Einer, der eigentlich das Rückgrat der Stars ist. Am Auftritt mit Annakin und Adi, bei dem alle drei singen und einzig von zwei akustischen Gitarren begleitet werden, gefällt ihm besonders: "...dass man sonst oft vergisst, wie gern man eigentlich singt. Ich habe vorhin im Hotelzimmer diese Chöre noch ein bisschen geübt und dabei ist mir wieder einmal aufgefallen, wie gut das tönt. Man muss gar nicht darüber reden - wir verstehen uns mit den Stimmen fast blind..." Am Konzert werden zwar Annakins Songs gespielt und sie ist auch sonst der Boss, aber die Songs sind nach ihrer Aussage auch für Männerstimmen gemacht. Da ich in einer Runde von Leuten bin, die in verschiedenen Formationen mit verschiedenen Musikern zusammen spielen, nutze ich die Gelegenheit und frage zum Abschluss, wie schnell man sich eigentlich an jemanden gewöhnt? - Tom: "Adi ist einer der ganz schnellen... Ich habe anfangs recht lange gebraucht dafür. Aber dann gibt's auch immer wieder Pausen und wenn man sich wieder sieht, funktioniert's plötzlich. Das Problem ist, sich einmal in die Materie einzuarbeiten. Wenn du das mal hast, dann geht es immer besser." Annakin wirft ein, dass es zum Teil halt auch komplexe Songs seien. Adi ist mit seinem Montagslokal, wo er immer wieder mit anderen Musikern spielte, ein Spezialist dafür und wohl auch deshalb so schnell. "Ich hab's mir antrainiert", stellt er denn auch ganz nüchtern fest.
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