Anshelle lassen die Hosen runter

16.4.2012/Text: Ko:L, Bilder: Promo
Anshelle live
Sie tragen Schwarz, das Artwork ist in düsterem Schwarz-Rot gehalten, die Gitarren schreien bisweilen richtig derb und Frontfrau Michèle Bachmann singt von Geistern oder windet sich vor Verzweiflung unter der Last der Frage, ob sie wohl die Tochter gewesen sei, die er sich immer gewünscht habe. Sind die Berner Vorzeige Poprocker Anshelle, mit schönen, stimmigen Popsongs wie „Hayfield“, „Little Mountain“, oder „Secret Garden“ bekannt geworden sind, plötzlich böse? Michèle lächelt, als ihr diese Frage nach dem Konzert an der Releaseparty zum neuen Album „All in“ gestellt wird. „Ganz zuerst: Es ist einfach so, dass alle in der Band extrem auf Schwarz stehen. Aber es ist schon so: Jetzt wo wir völlig frei sind, haben wir ein paar Songs auf das Album gepackt, die uns persönlich gefallen. Früher hätte eine eine Plattenfirma vielleicht eher davon abgeraten, die auf ein Album zu packen, jetzt haben wirs einfach gemacht.“
CD-Cover: Anshelle - All in
Michèle will kein schlechtes Wort über die Plattenfirmen verlieren. „Wir pflegten gerade mit der letzten eine gute Zusammenarbeit. Aber wir haben uns schon länger mit der Frage beschäftigt, ob wir es nicht einmal selber wagen sollten.“ Am Ende haben sich die Berner vor allem auf Grund von nackten Zahlen dafür entschieden, ihr neues Album „All in“ nicht mehr über eine Plattenfirma heraus- und insbesondere in die Musikläden zu bringen. „Mir müssen damit rechnen, dass wir weniger Alben verkaufen, als in der Vergangenheit“, ist sich Sängerin und Songwriterin Michèle Bachmann bewusst. Und obwohl sie weiss, „In der Schweiz spricht man nicht über Geld“, tut sie es dennoch. „Es ist ein sehr grosser Unterschied, ob das ganze Geld zu uns kommt, das ein Kunde für eine CD oder einen Download von Anshelle ausgibt, oder nur ein Drittel dieser Summe.“ So setzte sie Band sprichwörtlich alles auf eine Karte – „All in“, wie wirs aus dem Poker kennen. „Vielleicht tönt es in unserem Alter, wo andere schon lange Kinder haben und ein Haus bauen, blöd – aber wir träumen immer noch davon, einmal von unserer Musik leben zu können.“ Und da geht es halt um jeden Franken...
Anshelle-Frontfrau Michèle
Aber eben: „All in“ jetzt auf einen rein monetär motivierten Leitspruch zu reduzieren, würde der Berner Band, die mir ihrem Pop für Erwachsene auch international schon Achtungserfolge verbuchen konnte, nicht gerecht. Anshelle haben sich auf ihrem jüngsten Werk, das in allen gängigen Onlineshops zum Download bereit steht oder als CD direkt via Bandwebseite bestellt werden kann, von sämtlichen musikalischen Fesseln befreit. „Nebst Keyboarder Sandro Marretta komponiert und produziert unser Bassist Phil Küffer einen grossen Teil der Songs“, berichtet Michèle. Das sei sich auch ein weiterer Grund für die bisweilen etwas rockigeren, gitarrenlastigere Attitüde auf „All in“. Die Frontfrau erzählt aber auch, dass man sich grundsätzlich über sämtliche gängigen Konventionen hinweg gesetzt habe. „Beispielsweise sagten uns ziemlich alle, wir seien verrückt, einen Kracher wie ‚Two more miles to vegas’ gleich an den Anfang zu stellen“, sagt Michèle, um grinsend anzufügen: „Aber wir wollten das einfach so haben.“ Und so startet „All in“ mit einem sprichwörtlichen Paukenschlag – anstatt radiotauglicher Popmusik dröhnt gepfleger Indierock aus den Boxen – und auch an der Releaseparty im Berner Gaskessel kracht der Sound bisweilen deftig laut aus den Boxen.
Anshelle live
Natürlich servieren Anshelle auf „All in“ jetzt nicht einfach nur noch dreckigen Rock. Die Single „I can see your beauty“ oder „Castle by the sea“ sind klassische Anshelle-Nummern, die dem Image der Band, welche sich dem Schreiben von schön eingängigen Pop-Nummern verschrieben hat, voll und ganz gerecht werden. Denn: Letztlich bleiben Anshelle immer noch Anshelle – eine Band, die eigentlich schon seit Anbeginn ihrer Geschichte alles von sich in die Musik eingibt und dieser so eine Authentizität, eine Ehrlichkeit und ein Leben einhaucht, das anderen Pop-Bands allzu oft zu Gunsten von klischierter Attitüde abgeht. Und weiss Michèle: In „All in“ steckt eben doch noch ein Quäntchen mehr, als vielleicht in früheren Werken. „In einigen Songs habe ich brutal ‚d’Hose abeglah’. Das brauchte Mut – und ich weiss noch nicht, wie gewisse Personen in meinem Umfeld auf gewisse Inhalte reagieren.“
Copyright trespass.ch [br] Source: https:// https://www.trespass.ch/de/bands-a-z/a/anshelle/anshelle_lassen_die_hosen_runter.htm