Kurt Ackermann – trennt das Fleisch vom Knochen
Text/Bilder: Monthy
Aller guten Dinge sind drei – Nachdem ich Kurt Ackermann schon zweimal absagen musste, klappt es an der Metzgete im Stadtzürcher Restaurant Eisenhof doch noch. Dabei feiert Kurt ganz nebenbei und fast unbemerkt sein 700faches Live-Jubiläum! Als ich ihn auf sein jüngstes musikalisches Kind, die CD "Tell me" anspreche, muss der Liechtensteiner natürlich seinen Schabernack mit dem Schweizer Nationalhelden Wilhelm Tell treiben. Dabei habe ich es mir doch extra verkniffen… Ich kontere dass es mich irgendwie schon irritiere, wenn man ein Album "Tell me", also "Erzähl mir" nenne und den dritten Song darauf "Bored beyond Belief", sprich "über die Massen gelangweilt." Macht das Kurt nun zu einem schlechten Zuhörer? Ackermann: "Der Titeltrack bezieht sich hauptsächlich auf die Yellow Press und stellt die Frage, was man sich heute alles gefallen lässt? Von Radiowellen über Fernsehen, Print usw. Es geht klar in diese Richtung – Und die Langeweile bezieht sich zum Beispiel auf die Radiolandschaft… Ich kann zwar jetzt von Glück reden, dass Radio Swiss Pop zwei Songs von mir in die Playlist genommen hat und man sie damit in den Warenhäusern hören kann. Die schalten oft Swiss Pop im Hintergrund auf, weil dort ununterbrochen Musik gesendet und nicht gequatscht wird. Das haben mir jetzt schon einige Bekannte gemeldet."
Kurt Ackermann ist – obwohl selbst am Radio beschäftigt – kein Kommerz-Fan, das merkt man gleich. Falls man es nicht schon seiner Musik angehört hat, heisst das. Diese ist zwar nicht etwa schräg oder avantgardistisch, wird aber mit einer immens menschlichen Leidenschaft dargebracht. Und in Sachen klassischem Rock macht man Ackermann gar nichts vor, wovon sein 300 Coversongs umfassendes Party-Repertoire zeugt. Erfrischend finde ich, dass Kurt es zulässt, dass ich den Albumtitel und den Song "Bored beyond Belief" miteinander in Verbindung bringe. Oft ist es ja heute eben nicht mehr so, dass einzelne Elemente einen grösseren Zusammenhang haben. Bei Kurt aber schon – "Es gibt manchmal Ansätze, wo du einen Song startest und dann geht er in eine ganz andere Richtung. Die Initialidee geht eigentlich baden. Was ich sagen wollte, hat schlussendlich irgnedwann ein anderes Riff und eine andere Melodie gefunden. Songs entwickeln sich, wie sie wollen. Ich hatte auf meiner ersten CD einen Song übers Songschreiben, 'Until it's done', der besagt, dass Songs wie Kinder sind. Du kannst nicht vorhersagen, was aus ihnen wird. Der eine wird ein wilder Kerl, der andere ein Wunderkind und der dritte ein Drogenabsturz…"
Und auch wenn die Songs geschrieben sind, entwickeln sie sich immer noch weiter, berichtet Kurt mit flammendem Herzen von seinem Songwriting: "Bei 'I'm runnin' out of Breath' habe ich sogar zwei Versionen auf CD aufgenommen. Ich finde, das ist ein knackiger Blues, geht aber auch super im Swing. Ich habe ihn jetzt live auch schon straight gespielt. Das wechselt einem Song total das Gesicht. Das will ich bei der nächsten CD unbedingt noch mehr machen. Die Songs häufig live spielen, damit sie sich entwickeln können, bevor wir sie auf CD bannen. Viele Produktionen sind gut gemeint und schön produziert, brauchen aber eigentlich zuerst noch die Bühne. Wenn ich die 20 Songs von meiner letzten CD jetzt noch mal aufnähme, würden sie ganz anders klingen. Weil der Faktor Bühne dazu kommt." Und Kurt muss es nach 699 Gigs, denn das Gespräch findet kurz vor dem Jubiläumskonzert statt, ja wissen.
So gesehen machen's eigentlich alle falsch. Die CD kommt zu früh. Das Repertoire wird nicht voll ausgeschöpft… Kurt: "Die CD ist da um zu sagen: Hier kommt ein neuer Song. Es gibt einen Typen im Vorarlberg, den Marque. Jetzt lebt er zwar in Sewelen, also Carmen-Fenk-City. Der hatte einen Hit – 'One to make her happy…', und den hat er als Single mit 10 verschiedenen Versionen herausgegeben. Das finde ich irgendwie cool. Dann kann sich jeder seine Lieblingsversion aussuchen und den Song so hören, wie es ihm am besten taugt. Gerade heute wo die Songs mehr und mehr ihre Bindung ans Album verlieren, geht man idealerweise über iTunes so vor. Du nimmst es auf, versuchst so Gigs zu organisieren – denn dafür ist die CD eigentlich da – und nimmst idealerweise vier, fünf Jahre später eine CD oder – das höchst der Gefühle – eine Live-DVD auf. Dann siehst du bei einem Song die Kinderkrankheiten, diverse Entwicklungsstadien und eigentlich auch erst den ganzen Song. Die Version von 'Hotel California', die Don Henley 30 Jahre nach der Originalaufnahme auf seiner DVD hat ist der Killer. Das hätte er so vorher nie aufgenommen. Aber nach 30 Jahren, versucht man auch so etwas mal. Und es klappt…"
Und noch einmal muss-will ich auf den eingangs erwähnten Song zurückkommen. "Bored beyond Belief" ist nicht der einzige Titel in Ackermanns lyrischem Werk, der eine Animosität aufweist. Auch bei "Monday Morning Mirror Monologues" (Montag-Morgen-Spiegel-Selbstgespräche) beginnen alle Worte mit dem selben Anfangsbuchstaben. Kurt setzt gleich noch einen drauf: "Ich habe einen neuen: 'Daily Dose of Dirt' – die tägliche Dosis Dreck – und der kommt gut… Das kommt wohl daher, dass ich die englische Ausgabe des Rolling Stone abonniert habe. Das hält die englische Seite in mir am Leben. Seit ich ein Jahr lang in L.A. gelebt habe, kann ich mir zum Beispiel Filme im Schweizer Fernsehen nicht mehr in deutsch ansehen. Ich muss immer den Originalton bemühen oder abschalten."
Originale sind eine gute Überleitung zum covernden Ackermann. Als studierter Musiker ist sich Kurt nicht zu schade, setweise Covers zu spielen. Die Auswahl ist trotz Menge exquisit und mit sicherem Händchen getätigt. Gar nicht akademisch, sondern sehr aus dem Bauch heraus. Kurt erklärt mir, wie das kommt: "Als ich aus L.A. zurückkam, stellte sich die Frage: how to make a living, also wovon sollte ich leben? In Los Angeles zu bleiben hätte nach Abschluss des GIT keinen Sinn gemacht. Dann hätte ich irgendwo in einem MacDreck Hamburger schieben müssen. Hätte knappe 500 Dollar für ein Auto, eine Wohnung usw. zur Verfügung gehabt. Da kannst du dich gar nicht auf die Musik konzentrieren. Also musste ich zurück. Und ich kriege bis heute jede Menge Mails von Amerikanern, die mich fragen, ob ich ihnen nicht einen Job in Europa wüsste oder sogar einen Gig vermitteln könnte. Davon träumen alle." Während der Welt weis gemacht wird, alle würden sich die Finger nach Green Cards lecken, sieht die Realität im Land der begrenzten Unmöglichkeiten etwas anders aus. Ackermann: "Die kriegen Gigs für 20, 50 oder im besten Fall 100 Dollar. Und da bist du die drei Stunden noch nicht hin- und zurück gefahren mit. Oft kannst du nur mit der Auflage spielen, alle oder zumindest die Hälfte der Eintritte zu übernehmen, und sie dann selber an die Leute zu verticken. Das ist auch nicht unbedingt der geilste Job. Stehst du am Hollywood Boulevard und fragst die Leute: 'Heyyy – wanna come to my Gig?' Also zurück in die Schweiz. Und hier war schon klar, dass ich eigene Musik machen will. Aber um zu überleben, musst du Party machen. Und anfangs war's oft schon etwas eng gesteckt. Wenn du dich dann gegen DJ-Ötzi-Wünsche zur Wehr setzen musst… Unter den 300 Songs im Repertoire ist eigentlich keiner, der wieder rausgeflogen wäre. Ich merke einem Song sehr schnell an, ob er hinhaut oder nicht. Ob ich ihn über längere Zeit gerne spiele."
Müsterchen gefällig? Bruce Willis, Maroon 5, Beatles, Black Crowes, James Brown, Beatles, Louis Armstrong, Aerosmith, Nik Kershaw, Buckshot Lefonque, Chuck Berry und - massenweise Beatles. Kurts Homepage weist nebst dem Party- auch ein Public Repertoire auf. Solche Songs bringt er auch schon mal auf einer eigenen CD. Wie findet aber so ein Song ins Programm des Balzerser? Kurt Ackermann, ein Cousin des Ehemannes von Countrysängerin Doris Ackermann, hat den Rhythmus im Blut und das Gefühl im Bauch. – "Es gäbe natürlich jene Songs, die ich gerne machen würde… Morgen spiele ich zum Beispiel am HonkyTonk in Thun und will dort auch meine Musik promoten. Also spiele ich nicht nur Partysounds, sondern versuche auch ein bisschen meinen Geschmack rüber zu bringen. Sonst bin ich nur eine Band von Hunderten. Und es gibt nichts Schlimmeres als 'trümmlige' Bands!" Berührungsängste mit den heiligen Musikstücken des klassischen Rock kennt er nicht. Kurt: "Du musst sie auch richtig behandeln. Wenn du sie nur runterschwartest, oder wie einige finden, sie exakt re-kreierst, ist den Songs eigentlich nicht gedient. Wir bauen sie um. Keiner der Songs ist wirklich so wie auf der Original CD. Das fängt an zu wachsen und wird zu einem Teil von mir. 'Drive my car' kannst du nicht mehr mit dem Beatles-Song vergleichen."
Kurt's Meinung zu den legendären Pilzköpfen ist nicht etwa despektierlich. Sonst würde er ja nicht so viele ihrer Songs spielen. Und ich höre dem Fachmann schon etwas fasziniert zu, wenn er erzählt: "Dass die Beatles eigentlich als Musiker fast ein wenig holprig waren. Sie waren fantastische Songwriter, haben aber gar nicht so einen grossen Kilometerstand auf ihrem Live-Tacho. Sie haben 1966 aufgehört zu touren und hatten bis dahin 4 Saisons absolviert. Sie sind dann mit dem Experimentieren auch in eine ganze andere Richtung gegangen." Experimente macht auch Kurt ein ungrades Mal und hat sich mit seinem wundervollen Reggae "Appreciate" als Rocker tief in die Knie gewagt. Wieso auch solches? Kurt: "Es ist schwierig den Leuten mitzuteilen, dass ich nicht nur Blues und Beatles spiele, sondern das Ganze abwechslungsreich halten will. Sonst schlaft mir selbst das Gesicht ein auf der Bühne. Irgendwann heisst's dann schon: 'Noch ein Blues und du kriegst eine Fadengrade…' Und wenn du bei mir vor dem CD-Regal stehst, sieht es eben genau so aus. Von AC/DC bis Frank Zapapa oder Tom Petty. Drum kireg ich ja auch Vögel, wenn das Radio immer den selben Gugus spielt." A propos Tom Petty: Letzterer hat schliesslich im 700. Konzert von Kurt das nachgestellte Schlusswort in dieser Sache: "He's the last DJ – plays what he wants to play – says what he has to say – Hey hey hey…"