Bligg: „Ich verfolge keine Strategie.“

11.11.2011/Text: Ko:L, Bilder: manuelwinterberger.ch
Bligg im Talk
Es scheint, als bräuchte Bligg es. Kaum stecken Fans und Kritiker ihn in eine Schublade, geht er hin und stellt alles auf den Kopf. Er war HipHopper, wurde in die Ethno-Ecke gestellt und jetzt legt er sein letztes Album „Bart aber herzlich“ als Deluxe-Edition „Brass aber herzlich“ neu auf – aufs erste Hinhören in lärmigem Gugge-Kleid. „Es hat eine Weile gedauert, bis sich selbst mein Ohr an den neuen Sound und das neue Kleid der Songs gewohnt hatte“, gesteht Bligg. Doch „Gugge“ wird dem schmissigen Sound der Ami-Brass-Hiphopper der Youngblood Brass Band nicht gerecht. Zu vielschichtig, zu versiert und zu filigran ist das Spiel der sechs Bläser und drei Perkussionisten. „Wir haben lange gesucht und im Internet rund um den Globus gescannt, bis wir die Youngblood Brass Band gefunden hatten“, erklärt er und sagt: „Die Idee, ‚Bart aber herzlich’ mit viel Horns neu aufzumachen, war relativ rasch geboren – weil wir vor allem live gesehen haben, wie geil Horns sind.“ Doch was dann kam, hätte sich Bligg nicht wirklich träumen lassen. „Am Ende entstand die teuerste Produktion, die ich je gemacht habe – und als wir ‚Brass aber herzlich’ zum ersten Mal fertig hörten, fragten wir uns, warum wir nicht gleich ein komplett neues Album mit diesem Brass-Konzept gemacht haben.“ Und einmal mehr bestätigt der Zürcher damit seine eigene Aussage, „Ich plane nie länger als ein Jahr“, und straft all jene, die ihm marketingtechnisch berechnete Planung anstatt Kreativität vorwerfen.
CD-Cover: Bligg - Brass aber herzlich
Er ist sich bewusst: „Kritiker und Journalisten versuchen einem Künstler immer wieder eine Strategie nachzusagen, insbesondere, wenn er Erfolg hat. Fakt ist: Ich verfolge keine Strategie.“ – „Okey Dokey“ war ein tighter Bouncer, „Mit Liib und Seel“ eine Platte mit viel Pop- und Soul-Appeal, mit „08/16“ stellten ihn viele in die Ethno-Pop-Ecke – und jetzt bricht er aus dieser wieder aus. „Nur wegen dem Geld müsste ich kein Album mehr machen“, sagt Bligg selbstbewusst. „Ich mache Musik aus Freude und Leidenschaft.“ Eine Aussage, die er im Stil eines Mantras in jedem Interview wieder und wieder wiederholt. Wie dem auch sei: „Brass aber herzlich“ ist bestimmt nichts für Mainstream-betäubte Ohren. Während im ersten Teil des Albums zum Teil sehr anspruchsvolle Versionen wie etwa jene von „Legändä & Heldä“ aufhorchen lassen, laufen Bligg und „seine“ Brassband in der zweiten Hälfte mit der Abfolge „Annie May“, „I’d kill for you“, „Abfahrt“ und „Fahr e mal“, „Rendezvous“ und „S.O.S“ zu Hochform auf. Zweifellos: In der zweiten Album-Hälfte stellen alle Beteiligten unter Beweis, was aus diesem Konzept rauszuholen ist! Und trotzdem weiss Bligg: „Wahrscheinlich ist ‚Brass aber herzlich’ kein Album, das die breite Masse ansprechen wird.“
Bligg im Talk
Für „Brass aber herzlich“ haben Bligg und seine Crew in der Tat mehr gemacht, als einfach die bestehenden Songs neu zu arrangieren. „Wir haben der YBBB die ‚Bart aber herzlich’-Songs geschickt und sie haben einen Teil davon schon neu arrangiert und vorbereitet noch bevor wir in die USA reisten.“ In den zwei Wochen, in denen Bligg und seine Mannen ennet dem Teich gastierten, spielte man schliesslich alle Songs komplett neu ein, passte zum Teil Melodien, Rhythmen und Tempi an – und legte so das Fundament für ein Album, das am Ende eben doch gänzlich ein neues ist; zuhause setzte sich Bligg sogar noch einmal hinter die Vocals und überarbeitete diese, wo es sich aufdrängte oder anbot. Und so treffen die Fans auf „Brass aber herzlich“ plötzlich wieder auf Kaspar E. Glättli III, der jüngst Stress eingebuchtet hat... „Als Fan würde ich mir wünschen, nicht bloss einen lauen Aufguss eines bestehenden Albums zu kriegen, sondern etwas wirklich Neues“, begründet Bligg seinen Enthusiasmus für die Neuauflage seiner letzten Platte. Und damit das Paket komplett wird, hat er gleich noch die Original- CD „ Bart aber herzlich“ und einen DVD-Dokfilm), der den ganzen Weg von den ersten Aufnahmen zum Album – die notabene auch in den USA stattfanden – bis zum Release des Remakes zeigt.
Bligg im Talk
Und was kommt jetzt – abgesehen von den Konzerten mit der Youngblood Brass Band, im März 2012 und „einigen Festivalauftritten“ im nächsten Jahr? Zeit, die Zeile „Exit, Platz für de nöchscht Bligg“ aus „Okay“ wahrzumachen? „Ich werde definitiv nicht noch als Rentner auf der Bühne stehen“, sagt Bligg dezidiert und weicht damit für einen Moment von der Devise „Ich plane nie länger als ein Jahr“ ab. Aber er könne sich tatsächlich vorstellen, künftig vermehrt für und mit jungen, wilden Acts zusammenzuarbeiten. Bloss: „Ich kriege zwar immer wieder Demos von jungen Musikern – aber bisher hat mich noch keine richtig überzeugen können.“ Viel eher schiele er nach Deutschland, wo es „zwei, drei extrem interessante Acts gebe.“ Aber eben: „Ich verfolge keine Strategie.“ Aber ebenso sicher ist, dass der Zürcher auch nach „Brass aber herzlich“ wieder aufhorchen lassen und zu neuen Höhenflügen ansetzen wird.
Bligg und die Youngblood Brass Band
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