Reto Burrell lebt die Gegensätze!

26.11.2012/Text: Sandy, Bilder: Thomas Steffel, Cover
Reto Burrell Folky Tour Mühle Hunziken
„Life is sunshine and snow“, kritisiert Reto Burrell das Leben auf seiner im Frühling erschienen Folk-CD. So gegensätzlich der nasskalte Schnee zur warmen Sonne sein kann, so ist auch die Musik des Nidwaldners. Seine bisherigen Alben rocken und auf den Bühnen ist er oft mit einer ganzen Band anzutreffen. Doch Reto hat eben auch eine andere Seite. Heute spielt er nur zu dritt ein Konzert in der Mühle Hunziken in Rubigen. Gitarre, Tasten und Geige sind seine einzigen Begleiter. Reto braucht beide gegensätzliche Elemente - Folk und Rock. „Ich schöpfe immer wieder neue kreative Ideen aus Gegensätzen“, outet sich Burrell vor seinem Auftritt. Er kenne in seinem Leben keinen Mittelweg, auch seine Frau bezeichne ihn als masslosen Menschen. „Wenn ich abstürzen will, stürze ich ganz tief ab. Dafür gehen meine Höhenflüge möglichst hoch hinauf“, beschreibt Reto seine persönlichen Gegensätze. Ein Zwischending gibt es beim Musiker nicht. „Ich habe in meinem Leben immer wieder versucht, mir einen Mittelweg aufzudrängen, jetzt habe ich aufgehört, dafür zu kämpfen“, gesteht er lachend, und er fühlt sich dabei nicht etwa geschlagen: „Ich lasse es jetzt einfach so, wie es ist, weil es mir so ganz gut geht.“ Seine Kreativität werde dadurch eher gefördert, als gehemmt. Zum Glück! So erfrischt uns Burrell immer wieder und bereits über Jahre mit musikalischen Highlights, sei es als Produzent oder eben mit seinen persönlichen Werken. Nächstes Jahr werde er vor allem mit dem Projekt CH unterwegs sein. Er verrät, dass er sich wagen wird, Mundart zu singen. Seine nächste rockige CD sei auch schon am Gedeihen und erscheine vermutlich Ende 2013, Anfangs 2014.
Reto Burrell Pressebild Sunshine and Snow
Folk, die amerikanische Volksmusik, lebt von allen möglichen Lebensgefühlen. Auf dem CD-Pressebild „Sunshine and Snow“ wirkt Reto Burrell nachdenklich, fast ein wenig traurig. „Melancholisch bin ich immer, wenn ich Songs schreibe, das gehört dazu. Es ist meine Leidenschaft“, outet sich der Musiker und plötzlich wird bewusst, woher das Wort Leidenschaft kommt. Doch genau solches Leiden kann auch mit einem Gegensatz verknüpft werden und bringt schlussendlich doch Freunde, wie eben seine Musik. „Ich schreibe immer aus meinem Leben. Sachen, die ich erlebe, oder die ich nicht verstehe, das alles verarbeite ich in meinen Songs“, weiss der Selbst-Therapeut. Er geht noch tiefer: „Für die Lieder auf diesem Album habe ich mich an einer sehr sensiblen Stelle getroffen, vielleicht wirken sie deshalb düster – aber nicht weniger positiv.“ Diese Tiefe gebe ihm einen ganz besonderen persönlichen Stolz. „Es freut mich, diese Songs live zu spielen. Es ist, wie wenn ich Auszüge aus meinem Tagebuch preisgebe.“ Reto bevorzugt die Sonne und nicht den nasskalten Schnee, und doch spielt er auch hier gerne mit den gegensätzlichen Extremen: „Da ich ein Mensch bin, der sich immer wieder gern die Finger verbrennt, damit ich weiss, was heiss wirklich bedeutet, benötige ich auch den kühlenden Schnee in meinem Leben.“ Übrigens hat Reto bereits 2004 ein ruhiges Album aufgenommen, mit dem nachdenklichen Titel „Roses Fade Blue.“
Reto und Lis leben Gefühle aus
Wenn ein so feines akustisches Werk entsteht, bekommen Details mehr Macht. Texte, Tonfolgen können sich nirgends verstecken. Es ist naheliegend, dass ich mir die Frage nicht verkneifen kann, ob der Musiker Reto Burrell ein „Tüpflischisser“ sei. Der charmante Interviewpartner ist zum ersten Mal während unserem Talk um eine Antwort verlegen. Gekonnt hilft er sich gleich selber aus der Patsche und fragt seine Musiker. Thomas Kull, der auch schon mit anderen Bands unterwegs war, gibt seinem Chef eine überaus diplomatische Antwort: „Es gibt schlimmere, als du.“ Reto versucht doch noch, sich selber zu charakterisieren: „Ich möchte mich nicht als ‚Tüpflischisser‘ bezeichnen. Ich gebe aber zu, dass ich sehr viel Wert auf das Detail lege.“ Er fügt auch gleich eine weitere wichtige Erkenntnis an: „Ich finde, in der Musik reicht es nicht, nur ein Instrument gut zu spielen, sondern man muss es auch spüren.“ Deshalb spiele er mit Musikern zusammen die auch in die Einzelheiten hineingehen und sich charakterlich getrauen, diese zu kitzeln und sie auch ausleben. Trespass fordert den Musiker noch mehr heraus und fragt ihn, ob er als Gitarrenrocker überhaupt einen Bezug zu Akkordeon und Geige hat. Zögernd gesteht er: „Nein, eigentlich nicht.“ Das Akkordeon habe er erst dann positiv erkannt, als er begonnen habe, diese Art Musik zu spielen. „Jetzt finde ich Orgel, Piano, Wurlitzer, Geige und Mandoline sehr wichtig Elemente“, gesteht der Folkmusiker, der neuerdings ziemlich unpassend eine rockige Langhaar-Frisur trägt. Thomas Kull betätigt live alle Tasten. Die passende Geigen- und Mandolinenspielerin zu finden, war für Reto nicht ganz einfach, mit Lis hat er sie nun gefunden: „Lis spürt die Musik genauso gut, wie Thomas und ich.“
Reto Burrell in der Mühle Hunziken
Nashville ist der Geburtsort des Albums „Sunshine and Snow.“ Reto kennt den Ort bereits seit 2008 und hat sogar eine Zeit lang dort gelebt. Er hat das amerikanische Musik-Mekka so kennengelernt: „Die Stadt selber finde ich nicht spannend. Musikalisch ist sie aber sehr interessant. Denn der Mittelpunkt vom Musikschaffen in Nashville ist der Song.“ Burrell arbeitet gerne mit Musiker zusammen, die ihre Kreativität, ihre musikalische Leidenschaft einfach so zu einem Song hinschmeissen. Man höre das Stück nur einmal, zweimal, spiele es dann kurz an und nimmt den Song dann auch gleich auf. „In der Sparte Americana, Folk legt man das Schwergewicht sowieso auf das Live-Musizieren. Diese Musik lebt von der Energie des Zusammenspiels der Musiker auf der Bühne“, weiss Reto, der übrigens auch amerikanische Wurzeln in sich trägt. Für ihn war von Anfang an klar, das Folk-Album auf diesem Kontinent aufzunehmen. „Hier in der Schweiz müsste ich diese Art von Musik den Musiker erklären, in Nashville nicht“, begründet er und zeigt einen schönen Vergleich auf: „Sonst wäre es so, wie wenn ich in Los Angeles eine CD mit Ländler-Musik aufnehmen würde.“
Thomas, Reto, Lis das harmonische Trio
„Die Mühle hier ist das perfekte Lokal für meine Musik, die Ambiente stimmt, ich bin sicher die Leute werden begeistert sein“, verspricht der Musiker kurz vor dem Konzert. Und so ist es. Es ist, wie wenn wir in seinem privaten Wohnzimmer Platz genommen hätten. Retos Vater feiert seinen Geburtstag und seine Mutter souffliert, wenn ihr Sohn, beim Geschichtenerzählen nicht mehr weiss, wie alt seine Grossmutter ist. Auch ohne Schlagzeug und elektrische Gitarre rocken seine Songs, versenken sich aber auch gleich wieder in eine ruhige Stimmung. Nebst seinen sonnigen Schneesongs, schafft er es auch, die rockigen Lieder vom Album „Go“ in ein neues Licht zu rücken. Er ent-welkt seine schönsten Rosen von der ersten Folk-CD und zelebriert mit uns den farbigen Regen von Prince. Und wann immer es passt, präsentiert der Musiker seine Songs ganz akustisch, ohne Mikrophon und Strom. Da sticht so richtig hervor, wie präzis die Silben über seine Lippen kommen und wie fliessend und gefühlsvoll alle Details ineinander fliessen. Reto Burrell ein charismatischer Entertainer und vielseitiger Musiker, bei dem kein Konzert so ist, wie das andere. Er lässt sich von Spontanem gerne selber überraschen. Wie am Schluss seines Mühle-Konzertes, wo die leeren Bierflaschen vom Tisch fallen und mittanzen. Ja, er trinkt auf der Bühne Bier und Lis, die natürlich charmante Geigerin, Tee. Vermutlich entspringt genau aus diesem Gegensatz diese wunderschöne Harmonie des Trios.
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