Chica Torpedo - ein Album geht unter die Haut

Text/Bilder: Piggy
Von links - Piggy, Schmidi und 'Schmidi sini'
Es ist spät geworden in der Mühle zu Hunziken. Zuerst wollten die Leute Chica Torpedo auf keinen Fall von der Bühne lassen und selbst als sich die Protagonisten des Abends längst mehrmals verbeugt und eine Ehrenrunde in den oberen Stock unternommen hatten, sangen die Leute immer noch den Refrain des letzten Songs. Wie an einer Plattentaufe üblich durfte Bandleader Schmidi Schmidhauser anschliessend mehr Hände schütteln als ein Politiker an einem G20-Gipfel. Seine Hintergedanken hatte er mir schon zuvor anvertraut - "will einfach ein paar CDs verkaufen..." - weshalb ich ihm gerne eine Dreiviertelstunde Zeit gab. Dann aber wollte ich auch noch ein bisschen im Mittelpunkt stehen und durfte meinen Lieblingsschmidi endlich fragen: "Hets itz hüt Aabe ganz bsungers gramselet - unger dire Hut?"
Das Schwein - Wahrzeichen der Mühle Hunziken wo Chica das Album taufte
"Unger mire Hut" ist praktischerweise auch gleich der Titel des aktuellen Albums der "weibischen Rakete" Chica Torpedo. Schmidi nimmt meinen Steilpass denn auch gerne an: "Säg mir de nüt! Es war ein sehr schöner Abend für mich. Plattentaufen in der Mühle Hunziken sind für mich eigentlich immer Höhepunkte." Die neue Platte ist im Gegensatz zu den bisherigen Chica-Werken komplett in Mundart gehalten. Schmidi erklärt mir die Gründe dafür: "Anselmo Torres ist ja derjenige bei uns, der spanisch singt. Ich mache das besser nicht oder nur an einem fortgeschrittenen Abend. Mein eigenes Spanisch ist mit einem schlimmen Akzent behaftet... Im Moment der Aufnahmen von 'Unger mire Hut' war er in Peru bei seiner Familie. So kam es, dass diesmal ausschliesslich berndeutsche Songs berücksichtigt wurden." Keine Rolle spielte dabei, dass mittlerweile die meisten Musiker der Shoppers bei Chica Torpedo spielen. Trotzdem tönt "Unger mire Hut" ein bisschen wie ein Shoppers-Album mit Latino-Grundton. Schmidi relativiert: "Anselmo war ja auch schon bei den Shoppers dabei und wenn er singt, dann immer spanisch. Wir haben heute Abend ja auch den einen oder anderen Shoppers-Song gespielt. Das ist bei mir immer ein bisschen gemischt und ich bin gespalten. Was viele Leute nicht ganz begreifen: auch die Shoppers hatten diesen Latin-Groove. Die Unterschiede liegen viel mehr in der Organisation. Bei Chica Torpedo bin ich der Chef und sage wo's lang geht, die Shoppers waren hingegen eine kleinere Band, in der alle mitreden und Songs mitentwickeln konnten. Jetzt sind wir aber zu neunt und da kannst du nicht alle mitbestimmen lassen, wenn es um die Arrangements geht. Das führt nur zu einem Theater. Vom Konzept her ist Chica Torpedo mehr mein Soloprojekt..."
Langjähriger Weggefährte Schmidi's - Anselmo
Das Album ist sowohl vom Titel her als auch von den Songtexten sehr ehrlich angelegt. Schmidi nimmt weniger als kein Blatt vor den Mund, was einem manchmal ebendiesen offen stehen lässt. Diesselbe Direktheit mache ich in der Latin-Musik generll aus. Ich frage Schmidi, ob das fürs Genre zutreffend sei und ob er und Latin deshalb ganz besonders gut zusammen passen. Schmidhauser: "Man muss da ein bisschen aufpassen. Es gibt im Latin mittlerweile einfach alles. Es ist wirklich breit geworden. Die Spanne geht von Mariachis, die zu einer Gitarre ein Lied singen, bis hin zum mega Techno-Rave. Der grösste Teil dieser Latin-Musik, die heute von den jungen Leuten in diesen Ländern gehört wird, ist allerdings nicht mein Ding. Ich orientiere mich mehr am älteren Zeug und versuche das auf meine europäische Art widerzuspiegeln. Ich bin zwar Berner und möchte auch nie etwas anderes sein, aber auch wir Berner können ab und zu Temperament aufbringen. Die Bläser sind aber bei uns etwas weniger hoch und hypern nicht so, es hat weniger Breaks, ist dadurch weniger nervös, sondern funkig, mit geraden Grooves und ruhiger gespielt im Vergleich zu Latinos. Wir haben auch ganz einfach das Glück, Anselmo zu haben. Er ist unser einziger Lateiner, aber eigentlich ganz anders als man sie sich vorstellt. Er ist ein Bergmensch aus Peru, sehr indio und hat ein fast bernerisches Temperament. Wir haben uns über die Jahre einander sehr angenähert und ich habe viel von ihm gelernt. Wir machen also so eine Art europäische Latin-Musik, die aber auch Platz hat für Rock, Funk, Ska oder Reggae-Einflüsse."
Selten anzutreffen - eine Posaunistin
Schon mit dem Titel kommuniziert Schmidi die totale Offenheit. Das Cover des Albums zeigt ihn mit nacktem Oberkörper und einer Gitarre im Arm. Einzelne Songs sind in einzigartiger Offenheit seiner Liebsten gewidmet. Daneben singt Schmidi über seine Jugend oder das Altern. Das ganze ist extrem menschlich und offenherzig. In einer Welt, in der sich Paparazzi auf alles stürzen, was nach Privatsphäre einer öffentlichen Person aussieht, ganz schön mutig... Oder doch nicht? - Schmidi: "Ich habe ja nicht so Probleme mit Paparazzi, da ich nur mässig berühmt bin. Aber es ist doch eigentlich immer so: Wenn du eine CD machst, ziehst du dich ein bisschen aus. Bei dieser hier war es jetzt noch etwas heftiger als normal. Ich hatte gefühlsmässig nicht unbedingt eine leichte Zeit in den letzten Monaten. Meine Mutter ist gestorben und mein Bruder hatte einen extrem heftigen Unfall. Auch noch anderes... Deswegen war mir auch gar nicht drum, Sambamusik mit Rasseln und Baströckchen zu machen. Es ist mir viel mehr um Inhalte gegangen in der Zeit, als ich die CD geschrieben habe. Und die ist jetzt einfach herausgekommen wie sie ist. Einzelne Elemente hatte ich schon lange bei mir und jetzt haben sei auf diese Platte, in diese Stimmung hinein gepasst." Das neue Werk steht in ziemlichem Gegensatz zur letzten CD, die mit einer fast brasilianischen Lebensfreude aufwartete, wie treue Fans der Band schnell bemerken werden.
Charakterkopf und sein Arbeitsinstrument
Schmidi's Songwriting ist dabei immer unterschiedlich, wie er mir auf Nachfrage darlegt: "Es gibt Songs, bei denen ich die Musik schon habe und dann einen Text dazu bastle, ein ander Mal schreibe ich vor dem Morgenessen schnell einen Text. Das sind zumeist die besten..." Das übliche Konzept - ein Teil Erlebnisse, ein Teil fiktiv - ist ihm natürlich nicht unbekannt. Es interessiert mich aber natürlich besonders, ob man dem ehrlichen Album "Unger mire Hut" uneingeschränkt glauben darf? - Schmidi: "Ich bin kein typisch autobiographischer Songwriter, aber es geht immer um meine Welt. Es hat auch eigentlich immer einen Teil darin, der sich tatsächlich so ereignet hat - im Song über meine Jugend und mein Vorbild Boris Pilleri zum Beispiel eben den Boris - andere Teile sind zwar eigentlich dazugedichtet. Aber die sind zumeist wegen ihrer Aussage drin - und die entspricht auch wieder der Wahrheit. Ich bin wild und halte mich eigentlich an nichts, wenn ich Songs schreibe. Im Vergleich zu anderen ist das wohl eher eine rockige Art der Schreibe. Ich schreibe einfach und überlege nicht viel dabei. Ich bin auch nicht sonderlich poetisch. Auch wenn die Leute oft das Gegenteil behaupten, halte ich mich nicht wirklich für einen guten Schreiber. Ich bin auch nicht besonders belesen oder so... Sind wir ehrlich - von Beruf bin ich eigentlich Möbelschreiner und wenn ich einen Text schreibe, dann etwa so, wie ich jetzt hier mit dir rede."
Piggy zeigt Bein vor der Bühne - und bleibt nicht unbemerkt
Eine besondere Stärke des "Möbelschreiners" - er nennt die Dinge beim Namen. Und ab und zu fliegen ihm die Songs so geradewegs in die Arme. Schmidi: "Wenn ich manchmal im Tram zwei alte Müettis diskutieren höre, dann ist das mein Song. Da braucht's nichts mehr zusätzlich. In der Zeit einer CD-Produktion habe ich dann auch immer meinen kleinen Block dabei und schreibe etwas rein. So sind jetzt auch einige ziemlich heftige Songs entstanden. Weil ich einfach meinen Gefühlen freien Lauf liess und niederschrieb, was mich gerade bewegte." Gemeint ist damit beispielsweise, dass der Song über Boris auch seine verstorbene Mutter einschliesst. Schmidi: "Ich war oft im Spital und dachte zuerst, Schmidi du kannst so keine CD machen... Aber dann habe ich es trotzdem passieren lassen. Auch wenn es in Konsequenz ein bisschen anders heraus gekommen ist als üblich."
Der Hut schief wie die Gitarre - Schmidi live
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