Christine Lauterburg - bleibt anders

Text/Bilder: Monthy
Lebendig, ausgeflippt, natürlich und ganz Künstlerin - C. Lauterburg
Sie ist leicht ausgeflippt, ja. Der Grund für meine einleitende Frage allerdings liegt mehr im Event verborgen, denn im Act. Christine Lauterburg eröffnete den Samstag am Bellaluna Openair im Bündnerland. Ist sie aber auch lunatisch, sprich mondsüchtig, veranlagt? Christine antwortet mit einem breiten berndeutschen "Neeei", und führt dann aus, "Zudem hat man ihn heute hinter den Regenwolken ja auch gar nicht gesehen. Ich kenne das eigentlich nur aus Büchern. Wenn es mich aber ein ungerades Mal doch erwischt und ich nicht schlafen kann, stelle ich immer wieder fest, wie gut mir dieses feine Licht tut. Vielleicht bin ich es also doch…" Das kleine, feine Bündner Festival litt dieses Jahr stark unter dem regnerischen Wetter. Weil dazu noch der Besitzer der Liegenschaft wechselt und der neue eher auf Architektur denn Eventing steht, steht die Zukunft des Bellaluna-Openair in den Sternen. Das nur nebenbei quasi.
Hank Shizzoe spielt nicht nur Ukulele bei Christine
Beim Lauterburgs Auftritt fiel mir schnell auf, dass sich die Künstlerin zwischen den Songs weniger wohl zu fühlen schien als mittendrin. Ich frage ketzerisch, warum es ihr leichter falle, den Mund auf zu machen, wenn Musik darunter laufe… Lauterburg lacht und erklärt sich dann: "Man muss ja eigentlich auch nichts sagen. Das macht man ja nur, weil es sonst bis zum nächsten Song etwas zu lange dauert. Ich allerdings mache einfach keine Show, sondern bin auf der Bühne so, wie ich mich fühle. Dann habe ich aber jeweils trotzdem das Gefühl, ich müsse. Vor allem, wenn wie heute eher wenig Leute da sind und in unangenehmen Verhältnissen. Dann möchte man sie belohnen und irgend etwas Spontanes geben. Das geht dann schon mal total daneben. Hank hat mir heute auch mal zugeraunt, ich müsse doch an sich gar nichts sagen…"
Die Lauterburg spielte bereits von klein an Geige
Ethno ist als Schlagwort schon fast wieder verschwunden. Seit etwa zwei Jahren allerdings sind Features von Popmusikern und Exponenten des Volkstümlichen Sektors schwer angesagt. Mashs Padi mit dem Jodlerklub Wiesenberg, der Aufstieg der Oeschs zu Popstars der Volksmusik oder Bligg's "Rosalie" sind da nur die neuesten Beispiele. Angefangen hat das schon viel früher. Nämlich mit Christine Lauterburg und etwas später Flöru Asts "Florenstein". Christines Ausführungen zum Thema Ehtno-Pop: "1994 war das, als ich im Echo der Zeit auf DRS1 meine erste CD präsentieren durfte. Und ich wurde ja auch mit einem Hitparadenplatz dafür belohnt. Das will etwas heissen mit Schweizer Musik – und dann noch so extrem schweizerischer Schweizer Musik… Ende Juni war ich in einem Projekt mit Bobby McFerrin und etwa 20 Sängern aus dem europäischen Raum. Ich wurde dafür ausgewählt und war natürlich die Älteste unter den Anwesenden. Dort waren fünf Schweizer Künstler mit dabei, unter anderem auch der Mundartrapper Black Tiger. Und wir zwei haben eigentlich das authentisch Schweizerische repräsentiert. Ich sehe oft, wie wahnsinnig verschämt und mit eigentlichem Misstrauen der Schweizer seine eigene Volksmusik behandelt. Brasilianer springen auf, wenn 'ihre' Musik erklingt und tanzen fast automatisch. Dagegen sind die Schweizer richtiggehend verschämt."
Gehört zum guten Ton einer Ethno-Pop-Band - Kontrabass
Wenn nun also ein Bligg einen Nummer-1-Hit mit Schwyzerörgeli landet – wie kürzlich geschehen – ist das für Christine kein Neidfaktor, sondern ein Grund sich zu freuen. Gerade beim jungen Zürcher ist ihr aber doch etwas Störendes aufgefallen: "Eigentartig fand ich, dass Bligg beispielsweise keine Ahnung hat, wer ich bin. Unser Organisator Christoph Müller hat ihm mal an einem Gig eine CD von mir gegeben und er hatte keine Ahnung, wer ich bin und das solches schon früher gemacht wurde. Ich habe mich als jung noch darum bemüht, die Musik rund um mich herum zu kennen. Das scheint heute weniger der Fall zu sein. Und ich finde es schade, wenn jemand quasi mit dem Selbstverständnis auftritt, etwas erfunden zu haben, ohne die relevanten Werke oder Künstler zu kennen." Überhaupt sind "La Lauterburg" und neue Exponenten des Ethno-Pop eigentlich nicht vergleichbar. Während heute nämlich vor allem ein folkloristisches Element als Abwechslung in den eigenen Sound integriert wird, ist Folklore bei Christine eine tragende Säule. Lauterburg: "Ich interessiere mich für Jodellieder, auch 'Huudigäggler' und Schweizer Tanzmusik - einheimische Melodien halt. Wir versuchen aufzuzeigen, dass auch wir Schweizer Groove haben und nicht so verklemmt sind und immer nur ans Geld denken. Das möchte ich widerlegen. Wir haben so schönes Liedergut – und ich finde, es ist immer noch schöner, solche Melodien zu singen, als irgendeinen Song in englisch, möglichst noch mit Akzent und falscher Aussprache…"
Christine sinnlich - Monthy hin und weg...
Und wenn man so zeitlose Songs wie "Simelibärg" Teil seines Kulturgutes nennt, wäre es doch schade, diese brach liegen zu lassen. Christine Lauterburg: "Man kann diese Songs auch immer wieder in einen heutigen Groove übersetzen. Gerade wenn ein Text dann so poetisch verdichtet ist wie 'Simelibärg'. Wir spielen ja als Kompromiss nur vier der zwölf Strophen. Weil heute leider niemand mehr Zeit hat, besonders für das eigene." Nach einer kurzen Pause hängt sie zuversichtlich an: "Das wird sich auch wieder ändern. Ich habe viel Hoffnung. 'Alles wird anders und nichts bleibt gleich' ist in dem Sinn nicht nur ein Songtitel, sondern ich meine das auch. Eine Krise ist gleichzeitig auch immer eine Chance…" Nun macht Christine Lauterburg nicht ganz ausschliesslich Schweizer Folklore und Pop. Das Ensemble, welches am Bellaluna aufgespielt hat, nennt sich denn auch Aerop – Musik aus Europa. Der feinfühlige Monthy, der ich nun mal bin, hat aber sogar noch etwas Tango in den letzten beiden Songs des Repertoires ausgemacht. Ist Frau Lauterburg nun allgemein folkloristisch interessiert oder beschränkt es sich doch auf das Schweizerische? Christine: "Ich gebe es zu, eigentlich will ich nur das machen, was ich gut kann. Ich muss also nicht Tango machen. Aber im Song 'S Liechtli', den du glaub ich meinst, spielt er das Örgeli eben Moll. Er macht dort ein Solo über drei Strophen und erzählt, wie es wäre, wenn das Licht ausginge. Anstatt das ich es singe. Denn manchmal verstehen die Leute ohne Worte besser – selbst bei Mundart-Texten."
Darf nicht fehlen - Örgelipower
Woher nimmt Christine aber denn nun diese Songs? Hat sie eine Schatulle mit heimlichen Trouvallien zuhause? Kennt sie sich einfach sehr gut im Schweizer Volksliedergut aus? – "Ich behaupte mal, ich habe einen reichen Schatz an Wissen in dieser Sache. Ich durfte als 7jähriges Mädchen anfangen, Geige zu spielen und habe so alles nachgespielt, was mich interessierte. Das mache ich eigentlich heute noch. Dann habe ich beispielsweise ein 17bändiges Werk von Hanni Christen. Diese Frau lebte im 19. Jahrhundert und konnte Noten lesen. Also hat sie das gesamte Schweizer Liedergut niedergeschrieben. Eine unglaubliche Sammlung! Und wenn ich nichts zu tun habe, dann schwelge ich dort drin und hole mir neue Ideen. Dann habe ich natürlich alle Bücher über Jodellieder. Ein Komponist, den ich sehr schätze, ist Jakob Ummel. Er ist 95 Jahre alt und ich durfte einmal mit ihm telefonieren. Da habe ich ihn ganz demütig gefragt, ob ich in einem Text eine leichte Modifikation vornehmen dürfe. Beispielsweise bei Liedern, die ursprünglich für einen Mann geschrieben worden sind. Herr Ummel hat sich da sehr kulant gezeigt. Auch Volksmusiker sind durchaus daran interessiert, dass mit ihren Werken weiter gearbeitet wird."
Drückt auf der Bühne viel Lebensfreude aus - Christine Lauterburg
Ich muss gestehen, dass ich eigentlich kein Jodelfan bin. Wenn ich aber Christine Lauterburg auf der Bühne sehe, dann frage ich mich sogleich, warum eigentlich nicht zu mehr verschiedenen Musikstilen gejodelt wird. Die Kombination mit volkstümlicher Musik ist an sich überhaupt nicht zwingend… Christine: "Das frage ich mich tatsächlich auch. Es wird ja auch ein bisschen. In Amerika gibt es sogenanntes Jodeling… Es fragt sich, warum diese Form nicht mehr um sich greift. Dass ich übrigens keine Tracht trage auf der Bühne, hat mehr praktische Gründe denn ideologische. Besonders die Geige und der Trachtenschmuck verstehen sich gar nicht miteinander." Ich meine, das passt schon. Das Bild von der "normalen" Jodlerin mit Tracht, hinter dem Rücken verschränkten Armen und ja keinem falschen Ton in der Stimme sprengt Christine Lauterburg nämlich nicht nur visuell. Im Vergleich mit den anderen ist die Emmentalerin eine echte Hardcore-Jodlerin. – Christine: "Ja, es muss nicht immer nur schön tönen. Das habe ich auch gelernt. Meine Lieder sind schlussendlich Bilder, die ich ein wenig erzählen will. Besonders interessiert mich die Hoffnung. Ich möchte den Menschen ein gutes Gefühl geben und nicht ihre Ängste steigern." Damit ist sie der üblichen "Falleri, Fallera"-Volksmusik eigentlich wieder ziemlich nahe – komisch , dass ich es ihr viel mehr abnehmen kann als einem Genre, das die "Heile Welt" als indiskutable Institution ansieht und das Lächeln seiner Protagonisten schon längst institutionalisiert hat.
Bleibt sonst fototechnisch meist auf der Strecke - der Drummer
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