Core 22 - Killer Love Angel

Text: Monthy
Bilder: Cover/Core 22
Nein, die Fragen gehen mir nicht aus. Üblicherweise würde ich die folgende, nämlich die banalste aller, aber vor dem Interview stellen. Dass ich den Einstieg in den Talk mit Core 22 Frontfrau Sonja Heller mit einem "Wie geht es dir?" gestalte, hat also einen Hintergrund. Sonja lächelt mich amüsiert an und entgegnet: "Mir geht´s gut. Und dir?" Gerade so, als hätte sie in den letzten anderthalb Jahren nicht mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen gehabt. Das Problem lag im Nacken, genauer zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel und führte zeitweise zu Lähmungen ihres linken Armes. Dies alles liegt nun aber hinter ihr. Sonja: "Ja, es geht mir wieder viel besser und ich freue mich, bald wieder auf der Bühne zu stehen. Es waren jetzt zwei Jahre ohne Auftritt und für mich war es sehr schwer, so lange von der Bühne weg zu sein. Ich weiss zwar nicht, ob ich in der Zeit vernünftiger geworden bin. Vielleicht vergesse ich alle guten Vorsätze, sobald meine Füsse die Bühne berühren..." Und damit sind wir gleich beim Thema. Das neue Core 22 Album Killer Love Angel steht auch unter dem Motto "Back to the roots", wie Sonja auf der Band-Homepage schreibt. Vor allem die Gitarren will man wieder forcieren, mehr wie zu den Anfangszeiten der Band. Ich persönlich empfand das beim Reinhören noch nicht so sehr, kann mir aber vorstellen, dass dieser Vorsatz live stärker durchdringen wird. "Viele Fans werden sich über die neuen alten Gitarren freuen. Wir wollten dem Album diese Live-Ebene verleihen. Das ist mir wichtig. Ich habe meine Erfahrungen aus dem Studio und vor allem von der Bühne mit einfliessen lassen, damit man die Musik fühlen kann. Das macht alles lebendiger."
Cover - Sonjas Gesicht mit Phosphor-Tattoo
Core 22 haben die erzwungene Live-Pause so gut wie möglich genutzt und während rund einem Jahr am neuen Album gearbeitet. Was es denn nicht schwierig, diesen Live-Charakter dabei zu erhalten? - "Nein, dieses Gefühl kultivieren wir auch, wenn wir proben. Und gerade die Tatsache, dass wir nicht Live spielen konnten, führte zu einem gewissen Hunger. Du kannst es kaum erwarten und denkst mehr daran." Killer Love Angel sei eines der kreativsten Alben von Core 22. War das nach 10 Jahren und der im Sommer ´94 erschienen BestOf auch ein Gebot der Stunde, Sonja? - "Nun, man kann sich ja nicht zur Kreativität zwingen. Entweder man ist es oder eben nicht. Man weiss auch nicht, wie lange es andauert und man davon profitieren kann. Ich habe bei jedem Album das Gefühl eines Neustarts. Obwohl wir auf Tour jeweils auch die alten Songs spielen, ergibt sich mit neuem Material automatisch ein anderes Gefühl. Die Geschichte wiederholt sich also zwar immer, aber es ist gleichzeitig immer wieder eine neue Erfahrung." Beim ersten Durchhören der CD, kam mir schnell der Gedanke, ´Core 22 werden immer Core 22 bleiben´ - ist das nicht auch irgendwie ein Gefängnis? Sonja: "Nein, ich bin Core 22 und ich fühle mich wohl mit mir selber. Ich fühle mich sozusagen zuhause." Eine Neuerung auf Killer Love Angel ist, dass Sonja öfter am Piano zu hören ist. - "Ich habe schon immer ein bisschen Piano gespielt, aber es stimmt, das stand lange nicht so im Vordergrund. Ich spiele Piano seit ich acht Jahre alt bin, habe es dann lange bleiben lassen. Jetzt fehlte mir irgendwie ein Instrument und so hat sich das ergeben. Es hat mir auch Freude gemacht, die Gefühle wieder aufkommen zu lassen, die ich früher dabei empfand."
Herz aus Engelsflügeln
Etwas ganz Neues bringt der Song "Leave me, Love me, Leave me", nämlich ein Rap-Feature von Sens Uniks Carlos Leal. Obwohl ich mir denke, dass es eine Geschichte dahinter gibt, frage ich frech, ob Core 22 einem Trend nachgegeben haben? - "Nein, nein. Wir haben uns schon vor über einem Jahr getroffen, als wir die Songs geschrieben haben. Carlos hat sie gehört und sie haben ihm gefallen. Sens Unik hat ja auch eine lange Tradition und für mich ist Carlos jemand, der nicht nur eine Geschichte hat, sondern auch sehr viel Substanz. Er wollte diesen Song unbedingt machen, hat ihn wirklich gespürt und wir waren offen dafür." Dass ausgerechnet Core 22 und Sens Unik zusammen spannen, macht ja eigentlich auch Sinn. Sind es doch die beiden Lausanner Bands, die schon länger in der Schweizer Szene aktiv sind. Mich interessiert natürlich, ob Core 22 denn auch mit den jüngeren Lausanner Acts wie Favez, Zorg, den Magicrays oder dem Genfer Stress Kontakte pflegen. "Ich fühle mich eigentlich nicht einer Szene zugehörig", stellt Sonja klar, "das wichtigste für mich ist die Band Core 22 und unsere Geschichte. Mit anderen Bands oder anderer Musik kann und will ich mich nicht wirklich identifizieren. Ich sehe die Szene also nicht als Familie, glaube auch nicht so an Zugehörigkeit. Man macht, was man macht, woran man glaubt. Man feiert - manchmal - schöne Erfolge und das ist nicht einfach zu erreichen. Wenn man selbst eine starke Identität hat, kann das auch hinderlich sein, weil man nicht mit anderen zusammen findet. Mit Carlos war das anders, weil er auch eine starke Persönlichkeit ist und ein total freier Mensch. Und diese Freiheit empfinde ich auch."
Ein Engel mit tödlicher Liebe?
Dass die Szene ihrer näheren Heimat sehr lebendig ist, kriegt Sonja aber natürlich auch mit. - "Eigentlich gilt das ja für die ganze Schweiz... Es gibt so viele Bands, die man entdecken kann und die auch wirklich hörenswert sind. Jetzt mit iTunes und den neuen Medien kriegt man viel mehr mit als früher und das ist doch sehr schön." Umso schöner finde ich, dass man auch ältere Bands wieder neu entdecken kann. Das gilt insbesondere für Core 22´s neuestes Werk, den "Liebestöter-Engel". Core 22 haben es geschafft, sich selbst treu zu bleiben, ohne dabei langweilig zu werden. Wunderschöne Balladen wie die Single "Heart on Fire", erinnern an frühere Hits wie "Sorry" oder "Fly". Das mit verzerrten Stimmen und härteren Gitarren bestückte "Sexy Sounds" macht Lust auf eine Live-Show der Lausanner Urgesteine und der Opener "Hurt" ist sowas wie ein Ohrwurm für Rocker. Killer Love Angel bedeutet die Rückkehr einer Band, die wir in den letzten 20 Monaten - trotz all der guten Acts in der Schweizer Musik Szene - wirklich vermisst haben...
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