Der Klang, das Tor zu sich selber!
10.7.2012/Text: Sandy, Bilder:
www.scratch2.ch Dechen Shak-Dagsay lebt seit ihrer Kindheit in der Schweiz. Ihre Familie ist aus dem Tibet in unser Land geflüchtet. Sie bekennt sich als tibetische Mantra-Sängerin und rezitiert Jahrtausend alte Mantras. Laut Lehrbuch bedeutet die Silbe man „denken“ und tra „befreien“. Und genau so funktionieren sie auch: wenn man sich auf die Schwingungen konzentriert, befreien sie uns von den Sorgen, Ängsten und lassen uns den Alltag vergessen. Die Texte sind nur einzelne Silben. Jede bringt einen wohltuenden Segen und eine Kraft mit sich, entstehend aus der Macht der Wiederholungen. Der Klang von Dechens Stimme und das Arrangement der Musik löst eine innere Akupunktur aus, und bringt ein echtes Strahlen. Auf ihrem aktuellen Album „Jewel“ hat die Tibeterin diese alten Klänge bewusst moderner arrangiert, sie musikalisch mit jetzigen Hilfsmitteln angereichert, und so öffnet sich diese Art von Musik einem breiteren Publikum. Produziert hat das Ganze Helge van Dyk, der sonst übrigens für Patent Ochsner, Dodo Hug oder Sina arbeitet. Dechen Shak-Dagsay ist die Frau, die zusammen mit Regula Curti und Tina Turner auch das Projekt „Beyond“ entstehen liess.
Genauso eine Künstlerin wie Dechen passt wunderbar in das Sonntagsnachmittagsprogramm vom 10. Natural Sound oben in den wunderschönen Bergen rund um das Kiental im Berner Oberland. Es ist das Festival, das Platz für Nischenprodukte hat. Für Dechen und ihre Musikgefährten ist es der erste Auftritt draussen in der Natur. Sonst füllen sie Kirchen, tibetische Museen oder neuerdings Das Zelt. Sogar die einzigartige Carnegie Hall in New York haben sie schon in eine Meditation versetzt. Auch die Natur macht mit. Der Wind weht genau dann, wenn ein musikalischer Höhepunkt stattfindet. Ein Schmetterling verfliegt sich in der Bühne und bleibt einfach so im Luftgefälle hängen. Die Vögel pfeifen mit, ein Hund bellt, und die Tannäste neben der Bühne scheinen die Schwingungen auch mit zu bekommen. Alle sind begeistert von Dechen‘s Gesang, vom japanischen Flötenspiel von Jürg Zurmühle, der vielfältigen Perkussion von Dieter Dyk und dem modernen Keyboard inklusive Apple-Computer von Helge van Dyk. Dechen trägt die tibetische Tracht, Helge moderne weisse Turnschuhe. Genau so soll es sein. Auch das alte Brauchtum hat Platz für das Moderne, und es harmoniert so genau richtig, auf seine Art.
„Es ist unglaublich schön, hier auf der Bühne zu stehen, die frische Luft zu atmen und die Verbundenheit direkt zur Natur zu spüren“, sagt Dechen nach dem überaus gelungen Auftritt. Sie erwähnt auch den wunderschönen Ausblick in die Bergwelt. Ein kraftvoller Akt stattfindend an einem Kraft-Ort. „Bei meiner Musik geht es um die Kraft der Naturelemente. Dies hier ohne Einschränkungen zu erleben, war grossartig“, schwärmt die Sängerin. Sie liess sich dabei auch nicht von den äusseren Einflüssen ablenken. Im Gegenteil, sie findet es inspirierend die Kapriolen der Kinder auf dem Bühnenrand mitzuerleben. Auch sie wurden plötzlich ruhig, haben sogar mitgesungen und sich zum Takt bewegt.
„Ein Mantra ist ein spezieller Gesang, bestehend aus ganz uralten buddhistischen, gesegneten Heilsilben. Sie entfalten ganz eine aussergewöhnliche Kraft, und öffnen den Zugang zu unserer eigenen Natur“, erklärt die Tibeterin das Werkzeug ihres Schaffens. Die Stücke, die Dechen auf ihren Alben herausgeben hat, seien die bekanntesten. Alle tibetischen Buddhisten auf der ganzen Welt kennen diese Mantras und praktizieren sie. Die ausdrucksstarke Frau hat bei ihrem Tun eine ganz starke Motivation in sich. Sie möchte ihre Kraft den Leuten mitgeben, so dass sie diese Begeisterung auch erleben und spüren, was ihnen gut tut, ohne buddhistisch zu denken, oder an eine Religion zu glauben. Sie weiss: „Der Klang der Mantras hat ganz eine ausgeprägte Wirkung, egal, wo der Mensch herkommt, was er ist, oder was für eine Religion er lebt.“ Angesprochen werde man vor allem dann, wenn man es am Nötigsten habe; wenn Angst, Sorgen, Trauer oder Einsamkeit die innere Geborgenheit hemmt. Die Frau möchte genau dann verbreiten: „Hey, wir sind alle dieselben Menschen, mit den gleichen Gefühlen. Wen wir uns bewusst werden, dass die Natur von Grund aus rein, positiv und im Einklang ist, gelingt es uns, besser wieder in unsere positive Kraft zu finden.“ Die Tibeterin stellt überzeugt fest: „Plötzlich spürt man seinen eigenen Buddha – etwas Wunderbares!“
Dass die Menschen bewusster mit sich, der ganzen Umwelt und anderen Völker umgehen, ist ein Ziel von Dechen. Sie will uns, modern ausgedrückt, richtiggehend anstupsen mit der Botschaft: „Hey, wir sind alle gleich, wir fühlen alle gleich, und wir haben ganz einfache Werkzeuge in uns, die uns Liebe, Freude, Toleranz, Mitgefühl und Gelassenheit bringen. Damit meistern wir das Leben besser.“ Auf der Bühne will die Musikerin gar nicht gross erzählen, um was es geht. Sie vermittelt es direkt mit dem Klang ihres Gesangs und der Musik und bringt die Leute dazu, sich selber zu öffnen. „Der Klang, ist das Tor zum Formlosen – zum eigenen Geist - zu seiner Seele“, weiss sie. Dechen’s Gesang ist nicht nur ein Gesang, sondern er berührt so, dass in jedem Menschen etwas passiert.
Hardrocker Chris von Rohr hat Dechens Stimme als Medizinstimme betitelt. Dechen outet sich, dass sie gar keine Gesangsausbildung im klassischen Bereich absolviert hat. „Ich habe eine Gesangsart entwickelt, die auch nicht wirklich traditionell tibetisch ist“, verrät sie. Sogar sie selber erschrecke manchmal im Studio über die Wirkung ihrer Stimme. Wenn man die Tibeterin auf der Bühne beobachtet, bewegt sich auch ihr Körper zu ihren Melodien, ihre Hände formen Zeichen, fast so, wie wenn sie ihren Musiker Anweisungen geben möchte. Dechen weiss, „Sobald eine Hand sich ganz fein und langsam bewegt, hat dies auch eine beruhigende Wirkung – auch auf mich selber.“ Sie wisse eigentlich gar nicht, was zuerst kommt, die Stimme oder die Handbewegung. „Es ist einfach eine Einheit. Genau so findet die Transformation von Liebe statt und man wird augenblich zu einem anderen Menschen“, hält die zierliche Frau fest. Zur Gesamterscheinung gehört auch die tibetische Tracht, die Dechen jeweils bei ihren Auftritten trägt. Sie weiss aber, dass sie die genau gleichen Energien weitergeben kann, wenn sie auch nur mit Jeans und T-Shirt bekleidet ist. Das hat sie kürzlich bei einer Spontanvorführung anlässlich eines Podiums-Gesprächs selber erfahren. Ihr Spirit kommt von innen. Er wirkt vom ersten Ton an und zwar auch bei Tieren, Kindern und als Therapieform bei kranken Menschen.