Lee Everton und Back to the Roots

Text: Sandy
Bilder: musicbild.li, Dominic Oppliger
„Meine Stimmung hat das bewirkt“, erklärt Lee Everton vor seinem Gig am diesjährigen Gurtenfestival, wieso auf seiner aktuellen CD „Sing a Song for me“ mehr Sonnenschein, Leichtigkeit und Zweisamkeit zu spüren ist, als auf seinem Debut-Album „Inner Exile“. „Bei der ersten Scheibe war gerade die Trennung von meiner Verlobten“, begründet der Musiker weiter. Sein Feeling beim zweiten Album sei dann viel unbeschwerter gewesen. Seine Musik sei mit persönlichen Gefühlen verbunden. Der Sound von Lee Everton wird oft in der Sparte Reggae eingeordnet und diese Art von Musik hat doch den Ruf positiv zu sein. „Ich habe immer ein wenig Mühe, dass karibische Melodien in die Ferien/Sonnenschein-Schublade hineingepresst werden“, widerspricht der Musiker dieser Ansicht. “Reggae ist nicht so. Er ist zwar auch fröhlich, aber auch sehr sozialkritisch“, gibt er seine Meinung preis. Eine weitere Erklärung kann er trotzdem noch anbringen: „Es ist halt Tanzmusik. Der Rhythmus schwingt, dadurch ist sie nicht so düster und schwer, wie andere europäische Musik.“ Er persönlich habe den Ausdruck Reggae für seinen Sound bewusst vermieden. Die genaue Definition wisse er nicht. Gleichwohl fasst er zusammen: „Es ist primär Singer-Songwriter-Musik mit karibischem Einschlag.“ Dass er viel Reggae höre und auch in Jamaica lebte, wiederspiegle sich in seiner Musik sicher.
Lee Everton live am Gurtenfestival
Lee Everton war mit 18 Jahren ein Jahr lang in Kingston an der Jamaican School of Music. Er liess sich das als Auslandteil an seiner Gymnasiumausbildung anrechnen. „Mein Glück war es, dass hier in der Schweiz niemand nachgefragt hat, was ich dort genau mache“, sagt er schmunzelnd. Dort habe er auch mit verschiedenen Musikern zusammengespielt und viel gelernt. „Das spannendste war das Kongo Drumming“, erzählt er. Das sei dort so was wie das Fundament ihrer Musik. Die traditionellen karibischen Sachen seien ursprünglich ganz einfach aufgebaut. Lee erklärt: „Du hattest früher einfach nur verschiedene Perkussions-Instrumente, dazu haben die Leute gesungen.“ Spannend war es die vielen verschiedenartige Rythmen zu lernen, die immer noch starke afrikanische Einflüsse haben.
Lee Everton am Gurtenfestival
Lee Everton kennt nicht nur Jamaica sondern auch Japan. Dort hat er über 15‘000 mal sein Debütalbum verkauft, und seine Single „Don’t make it too hard“ war in den Charts. „Das hat sich von selber entwickelt, vorerst haben wir von uns aus nicht allzu viel dazu beigetragen“, sagt der Musiker bescheiden und versucht den Erfolg zu begründen: „Japan hat den neugierigeren Markt, als wir hier in Europa. Der ist nicht so kommerziell, wie bei uns.“ Dort lebe Mund-zu-Mund-Propaganda viel mehr und so können sich solche Sachen durchsetzen. Für Lee ist das ein Erfolg, aber ein Star sei er trotzdem nicht. Schmunzelt bemerkt er: „Die Mädchen kreischen dort, wie auch in St. Gallen, nicht, wenn ich zur Bahn aussteige.“
Lee Everton am Gurtenfestival
Der Musikmarkt ist spannend. Wie das Gurtenfestival beweist, läuft eine erfolgreiche Entwicklung zurück zu den Wurzeln. Heuer entdeckte der Besucher hier unbekannte Bands wie zum Beispiel die Mexikaner Rodrigo Y Gabriela. Es dominieren Klein-Formationen wie das John Butler Trio oder Xavier Rudd. Genau sie zelebrieren ohne grosse Show einfach die Echtheit ihres Könnens. Genau das tut auch Lee Everton. Lee hat die 90er Jahre miterlebt, in denen sich alles um die Club-Scene gedreht hat. Die Elektronik beherrschte die Musikwelt und es gab Stimmen, die den Niedergang der Musik ankündigten. Lee hat diese Zeit aber auch als lässig empfunden. Und gleichwohl denkt er: „Ich habe das Gefühl, die Leute sind von dem eher aufgebauten - oder aufgemotzten - Sound müde geworden.“ Und er gibt damit auch seiner eigenen Roots-Tätigkeit recht: „Schlussendlich geht es in der Musik immer um Emotionen. Die bringst du schlicht – nur mit ein paar Instrumenten – am besten hinüber.“ Er weiss auch: „Das ist eine Qualität, die immer anzieht und beständig bleibt.“
Lee Everton am Gurtenfestival
Lee Everton spielt mit einer für sich eigenständigen Band mit The Scrucialists aus Basel zusammen. Eine Formation, die auch anderen bekannten Sängern den Rhythmus gibt. Beim Reggae sei es allgemein so, das Band und Sänger autonom voneinander sind. Sie seien nicht fest verbandelt. In Jamacia sei das fast ausnahmslos so. Lee erzählt: „Man hat dort verschiedene Sänger und sogenannte Rythm Sections. Dann sucht sich der Leader einfach die Band aus, die gerade zu haben ist, übt ein paarmal und los geht’s.“ Das habe für die Musiker den Vorteil, dass sie immer spielen können und anderseits kann sich der Sänger auf ein eingespieltes Team verlassen. Für Everton sei es aber auch wichtig, dass es Leute sind, zu denen er einen persönlichen Draht habe. Den Scrucialists hat er im Sommer 2007 mal als Keyboarder ausgeholfen. Darum kennt er alle, und für ihn war klar, dass sie, seine Section sind. „Es ist eine super Band“, muss Lee doch auch noch festhalten.
Lee Everton am Gurtenfestival
„Sing a Song for me“, der Albumtitel wiederspiegelt sich im Song „Lullaby“. Lee Everton wird still; nachdenklich beantwortet er die Frage, wer ihm sein letztes Wiegenlied vorgesungen hat:„Ich habe schon lange keines mehr gehört.“ Er habe den Song seiner verstorbenen Mutter gewidmet. Lange und intensiv habe er sie während ihrer Krankheit gepflegt und sich dabei auch Gedanken über die Mutter/Sohn-Beziehung gemacht. „Die stärksten Eindrücke kommen aus der Kindheit und da ist auch der Moment vor dem Einschlafen präsent, wo eine Geschichte erzählt oder eben ein Lied zum Einschlafen gesungen wird“, schwelgt er in diesen Erinnerungen. Momente, wo du zu dir findest – allein, mit der Mutter oder mit einem Partner. Genau solche Augenblicke erleben die Festivalbesucher am Konzert von Lee Everton und The Scrucialists. Wer diese in seinem Herzen mitnimmt, findet sicher die Muse wieder, mal bewusst in sich zu kehren und sich dabei selber ein Lied vorzusingen. Auch ein wichtiges Zurück zu den Wurzeln.
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