Favez - Alt und stark in der Moderne
Text/Bilder: Monthy
Wirkung zeigt das aber vor allem in der Deutschschweiz, wo ich im letzten Jahr öfters über Bezeichnungen wie "heissestes CH-Rock-Ding" oder "angesagteste Indy-Rock-Band" gestolpert bin. Für mich keine Frage. "Ihr macht Fortschritte hier...", erkenne ich also an und Chris lächelt: "Wir haben ´99 angefangen, international Platten zu machen und in den ersten fünf Jahren - wo wir auch immer in der Schweiz aufgespielt haben - kamen wir nie über 20, 30 Leute hinaus. Jedes Mal! Und überall im Ausland kamen längst mehr Leute, aber nicht in der Schweiz. Plötzlich hat sich das dann aber geändert, wir haben gute Reviews bekommen und es hat sich langsam aufzubauen begonnen. Heute steht die Schweiz zuschauermässig gesehen etwa im europäischen Durchschnitt. - Wir haben damit wirklich nicht mehr gerechnet..." Und damit leitet Wicky perfekt zum Titel übrig, dessen Bedeutung zu deutsch nach diesem Artikel über die blosse Übersetzung hinaus geht. Weil eben Favez nun endlich auch bei uns "Alt und stark in der Moderne" sind. Zu alt um noch stärker zu werden sind sie aber nicht...
Von Favez konnte man am letzten Sonntag mit jedem Recht behaupten, dass sie die beste Schweizer Band am Greenfield-Festival-Sonntag waren, was ich, als ich Chris Wicky endlich ans Mikro gebracht hatte, natürlich auch tat. - "Sind wir nicht die einzige Schweizer Band heute?", fragte Wicky irgendwie irritiert zurück und als ich daraufhin nur nickte, hatte ich die ersten Lacher auf meiner Seite. Das würde noch wichtig werden, wusste ich und war froh, dass meine Reaktion auf das eher ´gnietige´ Zusammenfinden mit Anrufen um 13.00, 13.30 und 15.30 und der finalen Frage, ob´s auch um 18.00 Uhr ginge, sich nicht weiter auf die Stimmung der Band auswirkte. "Natürlich geht´s auch um sechs, aber ich muss heute auch noch nach Zürich zurück und um vier wär´s sicher besser", hatte ich mir erdreistet zu sagen. Favez, obschon gerade beim Essen zeigten sich flexibel. Chris grinste, als er uns abholte: "Wenn du ein Interview machen kannst, während ich esse..." - "Kein Problem - wenn du essen kannst, während ich ein Interview mache...", grinste ich zurück.
Noch waren mir die blöden Sprüche nicht ausgegangen, also schob ich nach: "Jedenfalls war es ein heisser Gig, und nicht nur wegen Favez..." Chris hält dagegen: "Ich verstehe sowieso nicht ganz, warum Festivals mit Hauptbühne draussen überhaupt Zelte stellen. Wenn´s regnet und das Programm von einer Bühne auf die andere wechselt, werden die Leute ja eh alle nass. Es war sehr, sehr, sehr, sehr, sehr heiss. Wahrscheinlich das heisseste Konzert, das wir ´openair´ je gespielt haben!" Wicky wiederholt das Wort ´very´ tatsächlich fünf Mal in der Zeit, die andere brauchen, es zu übersetzen. Ich setze zu einer seriösen Frage an und hole aus, Chris habe mir beim letzten Interview am Woodrock 04 gesagt, dass sich jedes Favez-Album vom vorherigen unterscheide. Inwiefern trifft das nun auf das neueste Werk Old and strong in the modern times zu? - "Es war definitiv eine Reaktion auf Bellefontaine Avenue, unser Studioalbum, das wir zuvor aufgenommen hatten. Damals sollte alles so rein und perfekt wie möglich sein. Nachdem wir also lieb gewesen waren, wollten wir nun wieder rauher tönen und schon ab CD möglichst live. Wir haben uns für ein kleines Hardcore-Studio in Spanien entschieden, mit einem kleinen Hardcore-Producer. Der hat diesmal total freie Hand, weil wir letztes Mal alles selber gemacht und das also gesehen hatten. Wir haben diesmal einfach grundlegend anders rum gemacht als letztes Mal. Ausser die Songs eigentlich - die sind immer noch ziemlich ´favezy´ und drücken dasselbe Gefühl aus wie seit dem ersten Album. Wie wir sie aufnehmen und wie wir sie bringen, das verändert sich."
"Favez-Titel sind immer so kompliziert. Ich konnte mir den Namen der neuen CD lange nicht merken, Chris", zünde ich Wicky an. Der springt fast vom Stuhl auf: "Old and strong in the modern times, das ist ein eingängiger Titel." - "Nein, ist es nicht", widerspreche ich trotzig und doch wohlwissend, dass er recht hat. Wir grinsen uns an und er erklärt: "Das kam daher - kennst du die Bucks? - Die hatten einen Titel namens ´Young and weak in the middle ages´ und ich dachte bei mir: Das kommt sicher von irgend so einer grossartigen Punk-Aufnahme von 1978 mit gegenteiligem Namen, also ´Old and strong in the modern times´. Der Titel hat mich fasziniert, also hab ich´s gegoogelt und dabei kam raus - gibt´s nicht..." Auf den Song "Marlon Brando, Porsches, Hondas and me" gehen wir dann nächstes Mal ein.
Wicky kam mittlerweile wirklich kaum mehr zu einem Bissen, referierte dafür auch mit den Händen um so mehr. Da ich irgendwie schon immer die vermessene Idee hatte, Favez gefühlsmässig in- und auswendig zu kennen, traue ich mir immer wieder, auch mal ins Blaue hinein zu fragen und lande dabei meistens Treffer. Wickys nächste Aussage lässt im ersten Moment zweifeln, dass Favez die heisseste Indy-Rock Band der Schweiz sein sollen. Wenn man aber darüber nachdenkt, erkennt man bald die Grösse, die eine ehrliche Antwort manchmal erfordert - "Chris, ich habe heute in eurem Set einen Song vermisst, sonst habt ihr fast alle der neuen Scheibe gespielt. Warum nicht ´And the ship sails´?" - "Ich bin jetzt im Moment nicht ganz sicher welchen du meinst..." - "Blue Suede Shoes hoch drei" - "Ach ja, wir verzichten aus vielen verschiedenen Gründen darauf, hauptsächlich aber weil ich der vielleicht schlechteste Gitarrist der Welt bin und ein spezielles Problem mit diesen Bad-Religion-Riffs habe. Im Studio können die Jungs für mich einspringen, aber jedes Mal, wenn wir so einen Song live gespielt haben, hat es scheisse getönt. Also lassen wir´s."
´Aus der Schweiz´ ist bei Favez ja auch zweideutig. Die aus Lausanne stammende Band hat musikgeschäftlich konsequent den Weg in den deutschen Markt gesucht und erntet zwischen Bern und St.Gallen dafür nun langsam Früchte. In der Romandie läuft´s weniger gut. Chris sagt auf die Schweiz bezogen: "Die Märkte der Deutschschweiz und der Romandie werden jeweils vom grossen Nachbarn gespiesen. Weil wir nie auf dem französischen Markt waren, sind wir in der Westschweiz nach wie vor gänzlich unbekannt. Das in Lausanne ist alles sehr lokal. Und es hat eigentlich dieses Jahr erst das erste Mal Spass gemacht, in Lausanne zu spielen." In der Szene lassen jedenfalls immer wieder Songs von welschen Künstlern aufhorchen, die das Tag "featuring Chris Wicky from Favez" tragen. "Tout l´amour" von Stress ist der bekannte, auch mit To the vanishing point und ua Laurent Biollay von Sens Unik ist ein fantastischer Song entstanden: "The monsters hiding under my bed"
Ich hatte ja eher darauf spekuliert, dass die rasante Nummer aus Rücksicht auf das eh schon arg gebeutelte Publikum im brütend heissen Zelt nicht gebracht wurde. Egal. Sozusagen als Hommage an die Ehrlichkeit werde ich deshalb das Schiff am 11. Juli in unserer Sendung auf Radio Emme segeln lassen. Dann hört ihr Chris Wicky übrigens auch noch in zwanzig sekündigem, englischsprachigen O-Ton zu einem ganz anderen Thema. Oder doch nicht so anders. Den Gipfel der Qüänglerei und Frechheiten, die ich mir gegenüber Favez erlaubte, war - wie könnte es momentan auch anders sein - eine T-Shirt Anfrage. Was ich dann zu hören bekam, kann ich hier unmöglich schildern. Mehr dazu wie gesagt am Radio. Die fünfzig Live-Minuten am Greenfield füllten Favez mit fast ausschliesslich neuen Songs. Sie verzichteten gänzlich auf das Anspielen ihrer früheren Hits wie zum Beispiel das radioerprobte "Emmanuel Hall" und griffen dafür lieber konsequent in die Saiten. Chris´ Humor blitzt zwischen den Songs immer mal wieder auf und - ganz wichtig bei den verschiedenen Perspektiven der Band in der Deutschschweiz und der Romandie - sie haben ihr Deutsch verbessert! Die bekannte Verbindung von kräftigen Riffs und wunderschön melodiösen Gitarren, von Punk und Rock in jeder Faser von Wicky der seinen Sound regelrecht verkörpert, sind zum absoluten Markenzeichen geworden. Ich schätze viele der anwesenden Festivalbesucher wussten nicht einmal etwas von einer Schweizer Band am Greenfield-Sonntag.