Favez und das musikalische Hin und Her

4.3.2011; Text/Bilder: Monthy
Es ist schon ein Moment her, aber eine der letzten Aussagen, die ich von Chris Wicky zu Favez erhalten habe, lautete: "Ich glaube, wir haben das Rock-Ding langsam gesehen." Als ich ihn vor dem Gig im Berner ISC und mit Hintergedanken auf die neue CD "En Garde" daran erinnere, wiegelt er erstmal ab, das müsse ja mindestens sieben Jahre her sein. Schmunzelnd erklärt er dann: "Keine der Entscheidungen, die wir im Laufe der Jahre getroffen haben, hat einen endgültigen Charakter. Für unser letztes Album stand nicht unbedingt die Band und deren Dynamik im Vordergrund, sondern die Songs. Wir hatten zudem zwei Keyboards in unseren Sound zu integrieren. Mit diesem Album kommen wir zurück zum dynamischen Sound, sind aber sehr glücklich mit dem, was wir in näherer Vergangenheit gelernt haben, insbesondere hinsichtlich Songwriting." Die Rückkehr zum energetischeren Sound, den Favez schon immer ausgemacht hatte, ist auch dem Produzenten der Band zu verdanken. Wicky: "Er sah uns live und fand, dass wir eine ziemlich einmalige Art haben, live zu spielen. Diesen Sound wollte er fürs Album konservieren. Auch das hat uns dazu bewogen."
Chris Wicky Minuten vor dem Auftritt backstage - völlig relaxed
Und dann war da noch jemand, der unbedingt ein Album mit Favez machen wollte. Im Vorfeld des aktuellen Releases machte die Geschichte die Runde, dass Favez richtiggehend angefragt wurden, dieses Album zu machen. "Andrew Scheps ist allerdings nicht Produzent, sondern Mischer", leitet Chris die Story ein, "er produziert zwar auch, aber nur ein bisschen. Was ihm richtig Spass macht, ist das Schrauben an den Knöpfen. Er hatte schon länger mit unserem Produzenten Rick Rubin gearbeitet. Er wollte unbedingt mit einer Band arbeiten, die nicht eine Million Alben verkauft und einen Status wie Linkin Park hat. Zudem mag er europäische Bands. Also kontaktierte er uns und fragte an. Weil wir wussten, dass Andrew durch seine Arbeit mit Rick unseren Sound schon länger kannte, entschlossen wir uns für ihn. Von selbst hätten wir jemanden wie ihn aber nie angefragt. Er kommt nicht aus dem Indie-Bereich und musikalisch gesehen ist das einfach eine Weltreise. Aber Andrew hat wirklich Ahnung von Musik und ist so etwas wie eine Brücke zwischen dem Business und dem Independent. Ich fand es sehr erfrischend, mit jemandem zu arbeiten, der auch Ahnung vom kommerziellen Teil hat und nicht automatisch eine ablehnende Haltung einnimmt, wenn mehr als fünf Leute den Sound gut finden. Als er uns anfragte, dachte ich noch nicht, dass wir mit jemand so Grossem arbeiten sollten. Aber nachdem wir mit Andrew gesprochen hatten, mochten wir ihn sogleich. Und er zeigte uns auch, dass er die Band versteht und uns nach uns selbst tönen lassen will."
Plug in Play oder mit den Worten des neuen Favez-Albums 'En Garde'
Ob es denn ein Problem mit der Erwartungshaltung der Leute gebe, frage ich nach, um heraus zu filtern, was genau die anfänglichen Einwände der Band gegen "jemand so Grosses" waren. "Das Problem ist, dass Leute, die sich mit Musik nicht wirklich auskennen, keine Ahnung vom Konzept eines Album und dessen Produktion haben und sich auch nicht wirklich darum kümmern. Und wer sich wirklich auskennt, denkt, dass solche Bands Scheisse sind...", erläutert mir Wicky den Sachverhalt. Ich verstehe das so, das man in der heutigen Welt vor allem dem Anspruch des Kunden gerecht werden will. Je tiefer der ist, desto tiefer ist auch das durchschnittliche Niveau des Angebots. Das ist nicht zwingend arrogant. Textilien von der Stange erreichen normalerweise schliesslich auch nicht die Qualität von Designer-Mode. "Das wir mit jemand Grossem arbeiten wollten, um mehr Platten zu verkaufen, ist dagegen überhaupt nicht wahr und funktioniert so auch nicht. Und überhaupt haben wir ihm weniger gezahlt als sonst irgend jemandem bisher... Er wollte ja unbedingt..." Dafür geht man bei Favez nun auch gerne das Risiko ein, dass viele Review-Schreiber urteilen werden, sie seien nicht mehr Indie wenn sie mit solchen Leuten arbeiten. Für den involvierten "Bigshot" hingegen war es sicher auch ganz interessant, mit einer weniger bekannten Band zu arbeiten. Wenn Linkin Park ins Studio kommen, kriegt er nämlich haargenaue Anweisungen und hat mehr oder weniger ein Produkt abzuliefern. Mit Favez konnte er aber wohl kreativ arbeiten, oder? - Chris: "Er konnte tun, was er wollte. Wir sind im Bereich kommerzieller Musik absolut unbeschriebene Blätter. Und auch die Zielsetzung war total losgelöst von kommerziellen Überlegungen. Er gab keinen Druck. Die Mission war erfüllt, wenn er und wir glücklich waren mit dem Resultat."
Alle Hände voll zu tun - fürs Plektrum bleibt nur Platz zwischen den Zähnen
Musikalisch gesehen könnte man meinen, Favez gehen nach einem Experiment mit ruhigeren Sounds zurück zu den Ursprüngen. Für die Band präsentiert es sich allerdings etwas anders: "Die Songs, die wir bis zum letzten Album geschrieben haben sind ohne Frage toll und ich bin auch stolz darauf. Aber wir waren nie eine besonders komplexe Band. Mit dem letzten Album hat sich dies ein wenig verändert. Jetzt haben wir versucht, diese etwas komplizierteren Sounds mit der typischen Favez-Energie zu kombinieren." Diese Mischung aus Dynamik und Mystik ist momentan die grösste Herausforderung wie Chris unumwunden zugibt. Ansatzweise war diese Sensibilität aber schon immer im Sound von Favez. "Ich mag die Tatsache, dass wir nicht die 'Hinterhof-Babys' sind und es bei uns nur um Titten und Bier geht...", meint der vielleicht talentierteste Songwriter im helvetischen Indie-Rock lapidar. Da die Band ja auch ein bisschen Punk-Romantik versprüht, bin ich froh, dass Wicky das noch klargestellt hat. "Weit seid ihr ja nicht davon entfernt", nutze ich die Gelegenheit, ihn wieder mal necken zu dürfen...
Immer auf die Knie - vor dem Gig fürs Kabeln, hinteher vor dem Publikum
Beim Hin und Her, welches Favez musikalisch momentan veranstalten, könnten einige alteingesessene Fans aber schon etwas irritiert sein. Hat man keine Angst, Leute zu vergraulen, indem man sich erst weiter entwickelt, dann aufs ursprüngliche zurück kommt - nur um sich beim nächsten Album wahrscheinlich abermals davon zu entfernen? - "Etwas vom besten an Favez ist, dass wir uns darum kein bisschen kümmern", erteilt er meiner Frage eine klare Abfuhr und rückt die Verhältnisse zurecht: "Das wird erst dann zum Problem, wenn du Wheezer heisst und vom letzten Album eine Million Stück abgesetzt hast. Beim nächsten sind's dann vielleicht dreihunderttausend und damit ein Fiasko. Bei uns reden wir von zwölftausend Stück, wenn's hoch kommt, und achttausend bei einem weniger erfolgreichen Album. Es wird immer Leute geben, die uns mögen und solche, die uns nicht mögen. Solange es an unseren Konzerten genug Leute hat, spielt das doch gar keine Rolle." Und den Leuten zu helfen, die Entwicklung von Favez richtig einzuteilen, wäre eben auch nicht Favez. "Es ist ein bisschen wie wenn du einen ehemaligen Schulkollegen mit Fünfunddreissig wieder triffst. Zu erwarten, dass er sich nicht verändert hat, wäre ziemlich naiv. Und ihm zu sagen, er sei mit sechzehn cool gewesen, aber jetzt nicht mehr, obwohl man ihn so gar nicht kennt, wäre lächerlich." Die ehemaligen Fans finden also von selbst einen Zugang oder dann eben nicht mehr. Auch das wird von Chris Wicky einfach so akzeptiert.
Kurz abstimmen und dann gehen die Lichter an - En Garde!
Ansonsten arbeitet Wicky auch immer wieder mit anderen Bands zusammen, quasi als Feature. Und dann gibt es mit Sad Riders auch noch so etwas wie ein Soloprojekt. Musiker, die viel machen, sind immer auch ein bisschen schizophren. Troztdem bitte ich Chris um einen tieferen Einblick in seine verschiedenen Persönlichkeiten. Wann wird etwas zu einem eigenen Ding? - Chris: "Bei Sad Riders ist der Unterschied wirklich der, dass ich der einzige bin, der Songs schreibt. Bei Favez schreiben alle mit. Die Band hat zudem eine so starke Identität, dass wir uns gar nicht zu weit von ihr entfernen können. Es ist als ob ich in der Band zum Favez-Wicky werde. Deshalb habe ich auch keine Angst, etwas zu machen, dass nicht dazu passen würde." Logischerweise, schlussfolgere ich, wäre also der SadRider-Wicky dann auch eine andere Person als der Favez-Wicky. Abermals trifft Chris' Vergleich ins Schwarze: "Wenn du einen Spieler wie Christiano Ronaldo alleine auf dem Feld siehst, ist das auch ganz anders als wenn er im Team von Real Madrid ansteht. Dann kann er auch nicht mit dem Ball jonglieren wie er das tut, wenn er ganz alleine auf dem Feld ist."
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