Zwei Stimmen auf der Höhe - Marc Sway & Freda Goodlett
Text/Bilder: Monthy
Man kann sich kaum eine eindrucksvollere Arena wünschen als das Engadin im Herbst. Im Gegensatz zum noch eher fahlen Flachland leuchten die Föhren in Pontresina goldgelb. Bei 300 Sonnentagen im Jahr ist auch die Planung eines Festivals ein bisschen einfacher. Der Tourismusverein Pontresina hätte sich denn auch kaum schönere Tage auswählen können als die vier am langen ersten Oktober-Wochenende. Unter dem Motto Voices on Top lotste man also Stars wie Umberto Tozzi und Sternchen wie Fabienne Louves ins Engadin und liess sie teils gratis teils entgeltlich in verschiedenen Locations auftreten. Marc Sway und Freda Goodlett beispielsweise gleich zweimal nacheinander zum Freitags-Apéro im Zelt vor dem Kongresszentrum Rondo. Dazwischen mussten die beiden auf ca 1800 Meter Höhe wohl erstmal durchschnaufen, fanden aber auch noch Zeit zu einem Gespräch. Zwischen den zwei Stimmwundern sitzend, interessiere ich mich zuallererst denn auch gleich für die Höhenlage und deren allfällige Auswirkungen auf das sensible Arbeitsgerät. "Da macht man Höhentraining und reist einen Tag früher an", brummt Marc Sway mit seinem Zürcher Bass und wiegelt dann lachend ab, "...vor allem natürlich weil es hier oben so schön ist. Ich spüre ehrlich gesagt keinen Unterschied beim Singen. Eher so beim Allgemeinzustand. Du kannst mehr trinken und hast am nächsten Morgen trotzdem weniger Kopfweh. Das empfinde ich als Vorteil."
Funk und Soul-Lady Freda Goodlett hat da eigentlich andere Erfahrungen gemacht: "Ich habe das früher immer gespürt, wenn ich so hoch oben war. Aber hier in Pontresina spüre ich nichts davon. Ich habe weniger Hunger hier oben - und auch etwas mehr Durst." Ich merke schnell, dass die beiden gut zusammen passen. Doch dazu später mehr. Auch das Doppelkonzert lässt sich von der Belastung her wegstecken. "Normalerweise spielen wir ja 90 minütige Gigs. Hier sind es zweimal dreiviertel Stunden", erklärt Marc und hält kurz inne bevor er zur allgemeinen Belustingung bemerkt, "Wenn man das aber undeutlich ausspricht, dann tönt's wie 'zweimal drei, vier Stunden' - also nach enorm viel. Interessant finde ich vor allem, dass wir als Trio auftreten. Freda und ich mit dem Vocal Part und dazu unser Keyboarder Christian Roffler. Das hat so ein bisschen Unplugged-Charakter und vor allem hat man Platz. Und das macht sehr viel Spass. Normalerweise stehen überall Instrumente herum und man kann sich kaum bewegen. Hier ist Raum, den man mit Improvisation füllen kann oder mit all den Songs, die wir zwar jeweils auf einen Zettel schreiben, es aber nie schaffen, sie alle auch wirklich zu singen. Diese Freiheit nehmen wir uns."
Einen grossen Beitrag zu diesem Spektaktel leistet auf der Bühne Christian Roffler, an dem ein klassischer Pianist verloren gegangen ist. Mit seinen melodiösen Ein- beziehungsweise Anspielungen prägt der Tastenmann die Auftritte im Trio ganz wesentlich. Gepaart mit der Lockerheit und dem Witz von Sway macht es in vielen Passagen den Eindruck eines Variété-Theaters. Dazwischen beeindurcken die tollen Stimmen und der exotische Flair der beiden Heissblüter immer wieder. Man kommt - ausser zum Lachen - kaum mehr aus dem Staunen heraus... Natürlich funktioniert das nicht überall und immer gleich gut. Wenn das Publikum aber mitmache, drehe Marc so richtig auf, bestätigt mir Christian beim Smalltalk nach dem Auftritt. Der Angesprochene selbst schätzt diese Ungezwungenheit. "In der Band haben wir dieses Jahr von März bis Oktober 90 Konzerte gespielt. Das erfordert im gesamten Verbund eine gewisse Konzentration, damit da alles funktionieren kann. Und zwar von jedem. Im Trio halten wir dagegen alles ein wenig reduzierter und können dabei auch immer neue Kraft schöpfen, mit der wir uns dann wieder in den Band-Alltag stürzen." Das ganze ist also nicht nur pures Entertainment. "Wenn wir im Studio sind oder neue Songs schreiben ist es immer sehr kreativ. Dann gehen wir auf Tour. Und dann vermisse ich diese Kreativität immer ein bisschen. So haben wir diese Form für uns gefunden. Es entstehen auch immer sehr interessante Momente mit dem Publikum dabei.", erklärt Marc wie er sich musikalisch bei Laune hält.
Freda Goodlett dagegen könnte einem auf der Bühne dabei fast leid tun. Zwischen einem Blödelbarden und einem aufmüpfigen Barpianisten weiss sie oft nicht, was als nächstes kommt. "Wir nehmen uns ja immer was vor.", antwortet sie auf meine Frage, ob für Voices on Top nun stimmlich besondere Songs in die Planung einflossen, "aber auf der Bühne passieren eigentlich immer sehr spontane Dinge. Letzten Mittwoch war ich schon fast erstaunt, weil es eher ruhig blieb. Manchmal geht es aber auch wild zu. Es kommen also ganz verschiedene Seiten von uns zum Vorschein. Oft führt ein Ding zum nächsten und so entwickeln sich die Songs weiter." - "Es ist wie Internet-Surfen", vergleicht Marc treffend, "von einer Seite kommst du über einen Link auf die andere, von dort auf die nächste und so weiter. Wie ein Baum mit vielen Ästen, die selber immer wieder neue Äste tragen. Das ist sehr spannend und birgt auch ein gewisses Risiko in sich. Es kann nämlich genauso gut schief gehen. Und deshalb schärft es die eigene Aufmerksamkeit." Ich frage Marc, ob es in solchen Momenten auf der Bühne denn sei wie zuhause im Bandraum? - "Absolut wird es, wenn dich das Schicksal an einen Ort führt und du merkst, dass es gut wird", antwortet er tiefsinnig, "Wenn diese drei Elemente auf der Bühne eins werden, sind das schon solche Magic Moments." Dies sei dann keine Frage des Kopfes mehr, sondern des puren Gefühls.
Der spezielle Rahmen hier in Pontresina mag solches vereinfachen. Allerdings wusste man das vor der Premiere von Voices on Top, welches auch für die nächsten zwei Jahre gesichert ist, ja noch gar nicht. Überhaupt hält Freda in dieser Hinsicht den Ball flach: "Ich versuche immer, keine Erwartungen zu haben. Dann bin ich dafür umso freier. Hier ist es sicher schon speziell. Auch weil wir sonst ja eher am Abend spielen und hier nachmittags. Ganz generell habe ich aber auf der Bühne immer das gleiche Gefühl. Da bin ich in meiner Welt und kriege von aussen nur noch vom Publikum etwas mit. Es geht ja dann auch darum, unsere Songs zu präsentieren. Das Drumherum verändert sich ständig, aber die Bühne ist meine Konstante." Auch Fredas Mitmusiker ändern sich immer mal. Lange war sie mit Funky Brotherhood unterwegs, nun regelmässig mit Marc Sway. "...und ich mache jetzt meine Soloplatte", ergänzt sie lächelnd und verrät, "Musikalisch nenne ich meinen Mix Soulrock. Die Musik hat sich in den letzten Jahren ja weiter geöffnet. Da kann man so einen Begriff glaube ich schon verwenden." Den kann man dann allenfalls ja auch gleich selbst prägen. Gespannt sein darf man jedenfalls auf das Solo der sonst hauptsächlich in fremden Projekten engagierten Sängerin.
Marc Sway sind diese Einteilungen schon immer schwer gefallen. Ich opfere mich bereitwillig und stufe ihn als Entertainer ein. Nach dem Auftritt wären allerdings an dieser Stelle vielleicht die Bezeichnungen Kabarettist oder Komiker gefallen. Tatsache ist, dass Sway nicht nur die Stimme und das Können hat, sondern auch den Schalk, um grosse wie auch kleine Zuschauermengen fantastisch zu unterhalten. In einem Zelt wie diesem und mit der Nähe zu den Leuten war er gewiss nicht weniger gefordert als in einer Halle. "Ich bin wohl eher zum Entertainer geworden", werweisst Marc mit Blick zurück, "Anfangs war das nämlich das absolut schwierigste für mich. Ansagen empfand ich eigentlich nur als Mühsam. Dann durfte ich mit meiner Schwester und einem Gitarristen Plüsch auf deren Tour supporten und war mit einem völlig anderen Publikum konfrontiert als sonst. Dabei merkte ich, dass ich an die Herzen der Leute heran kommen kann. Und diese Erlebnisse waren wie eine Tür, die sich öffnet, und die dir völlig neue Perspektiven eröffnet. Ich habe gemerkt, dass ich mit den Menschen reden muss. Und das verlernt man dann auch nicht mehr."
Und von wegen Musikstil - braucht ein guter Sänger überhaupt einen? Wenn ich Marc "Georgia on my Mind" singen höre, sind solche Dinge doch total irrelevant. "Ich sehe das genauso wie du!", pflichtet mir Marc von Herzen bei, nimmt aber alle anderen gleichzeitig in Schutz, "Es ist für die Leute halt einfacher, von einer Reggae- oder einer Punkband zu reden und das ist auch total ok. Bei mir war es aber nie eindeutig und dann wird es immer gleich schwierig." Auch wenn es keinen passenden Stil für ihn geben sollte, passende Begleiter hat er jedenfalls. Und damit zurück zu den beiden Stimmen, für die ich ein bisschen die Gefahr sah, dass sie allenfalls gar zu ähnlich sein könnten, um zu passen. Marc erklärt wie immer sehr bildlich: "Es ist ein bisschen wie mit zwei Arten von dunklem Holz. Sie unterscheiden sich in ihrer Färbung und in ihrer Maserung, aber du kannst mit ihnen ein Parkett legen - sie fügen sich farblich ineinander. Das ist nicht automatisch der Fall, wenn zwei Stimmen zusammen treffen. Ich habe hier gestern Abend Stefan Eicher mit Heidi Happy gesehen und dabei geschah etwas ganz ähnliches. Die beiden Stimmen fügten sich zusammen wie Puzzleteile." Zwei Stimmen auf der Höhe - oder eben: Wellness für die Ohren in Pontresina...