Gotthard - Rockstars "Made in Switzerland"

Text: Monthy
Bilder: Cover/Monthy
Cover "Made in Switzerland" mit Kühen beim Rahm-Machen
Am Release-Tag ihres Live-Albums "Made in Switzerland" inklusive DVD vom Hallenstadion-Konzert stand Gotthard-Bassist Mark Lynn dem Schweizer-Szene-Magazin Trespass.ch Rede und Antwort. Diese Gelegenheit wollte ich natürlich nutzen, um den Mythos Gotthard in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auszuleuchten. Nach ersten Gehversuchen auf der Höhe des berühmtesten Alpenübergangs am Rugen 2004 hatte ich mir zudem vorgenommen, frecher zu werden. Schliesslich war Steve Lee bisher der Einzige, der mich in meiner Funktion ins Zittern brachte. Dass ich nun mit Mark sprechen durfte, hat damit aber nichts zu tun und Geschäftsführer Lynn gab mir gerne alle gewünschten Infos. Taktisch klug für mein Vorhaben war ein unscheinbarer Einstieg und Gotthard hatten mir mit dem Abdrucken des Tagesablaufs vom Hallenstadion-Gig im Booklet gleich selbst den Ansatz gegeben.
Steve Lee in Pose
Dort steht geschrieben: 6.00 Uhr Get in, 12.00 Uhr Linecheck. Wie war das mit Musikern und Früh-Aufstehen? - Mark lächelt und erklärt es mir: "Das ist natürlich für die Crew. ´Get In´ heisst, dass die Hallentüren aufgehen und die Lastwagen rein fahren. Die Küchenmannschaft kommt aus dem Tourbus raus und baut sofort die Küche auf, denn zuerst brauchen alle natürlich einen Kaffee. Im Stadion steht dann auch schon die Local Crew bereit und lädt die Lastwagen aus, während unsere Spezialisten daneben stehen und ihren Kaffee schlürfen. Das dauert immer recht lange. Die Lichtmänner beispielsweise müssen als erste aufstellen und als letzte abbauen. Die sieht man dafür am Nachmittag, wenn sie ihren Job erledigt haben, irgendwo schlafen. Rock´n´Roll heisst eben nicht nur Nichts-Tun... sondern flexibel zu sein und das zu lieben, was man macht."
Mark Lynn: "Als Bassist und Geschäftsführer sehe ich auch am Konzert alles"
Das neue Set beinhaltet alle Hits von Gotthard und ist sozusagen eine zweistündige Best-Of. Gerade die neu dazugekommenen Songs von "Lipstick" ergänzen das Repertoire und lassen den Konzertbesucher kaum zu Atem kommen. Ich frage Mark zur Zusammenstellung der Songs - "Viele der Klassiker sind eigentlich immer im Set. Wenn du ein Zwei-Stunden-Set machst, möchtest du ja auch die besten Songs präsentieren und Songs wie ´Hush´ oder ´Mighty Quinn´ gehören auch zu unseren Favourites. Zudem sind wir manchmal zu faul, um einige davon auszutauschen. Was sollst du auch ändern, wenn es gut funktioniert. Zu uns gehören auch diese alten Songs, wir haben aber trotzdem recht viel neue im Programm." Und schon sind wir mitten im Thema und beim Frecher-Werden. Mark gibt mir freie Hand: "Gib Gas! Nur darfst du auch die Antwort nicht scheuen..."
Freddy, der neue Gitarrist
Ich versuche, die hinter vorgehaltener Hand oft herum gereichte Kritik, Gotthard seien keine echte Rock-band, in eine Frage zu packen. Hausfrauen-Rock ist der genaue Begriff, den ich verwende. Mark Lynn äussert sich zu Gotthards Entwicklung: "Wir haben die ersten drei CDs ja mit Steve Frost gemacht und er gab uns eine grosse Begeisterung mit und auch viele neue Fans, die wir gerne mitnehmen wollten für die Zukunft. Zurück zum einfachen Rock hätte vielleicht noch zwei, drei Alben lang geklappt, aber dann dazu geführt, dass man uns vorwirft, wir würden immer nur dasselbe machen. Man muss halt auch einmal etwas versuchen und riskieren und wir standen vor der Entscheidung - härter oder softer? Wir haben uns dann für die softere Variante entschieden, also eher Pop/Rock als Heavy Metal, und zwar weil wir einen Sänger haben, der singen kann. Der muss nicht schreien und krächzen wie das andere machen sondern er kann und soll eben singen. Dieser poppige Sound fand mit ´Open´ seinen Höhepunkt. Balladen haben wir übrigens schon immer geschrieben. ´One Life one Soul´ ist ab unserer dritten und härtesten Scheibe ´G.´ Balladen gehören immer zu einer Rockband. Über ´Homerun´, ´Human Zoo´ und ´Lipservice´ entwickelte sich unser Sound weiter. Wir wollten einfach jedes Mal noch einen Zacken mehr, aber nicht von links nach rechts, sondern in einem harmonischen Prozess. Wir haben das zeitlich eigentlich gut hingekriegt. Zu der Zeit als wir mehr nach Bon Jovi als nach Metallica tönten, war Rock sowieso praktisch tot. Jetzt hört man auch ab und zu mal wieder einen Rocksong im Radio. Die Leute kennen das heute gar nicht mehr. Sie kennen nur entweder diese Chansonniers oder dann gleich richtigen Metal"
Steve sieht vor lauter Zügen den HB nicht mehr
Der Vergleich mit Bon Jovi war vor allem als Kompliment gedacht, trifft es aber gar nicht so schlecht. Denn da gibt es einige Parallelen. Mark fühlt sich geschmeichelt: "Wenn ich mit Bon Jovi oder Brian Adams verglichen werde - hey, Merci! Das find ich geil. Bei Brian Adams denkst du immer, das töne alles gleich. Dann bist du aber an einem Konzert von ihm und er spielt zwei Stunden lang Hit um Hit." Und Mark ist noch nicht fertig, auch zur teils unfairen Kritik an Gotthards Weg hat er natürlich etwas zu sagen: "Ich spiele gerne für Hausfrauen, damit habe ich gar kein Problem. Man sagt ja auch Sekretärinnen-Rock. Ich mag ein hübsch zurecht gemachtes Mädel auch lieber als die Rocker in ihren Lederjacken. Nichts gegen sie... Aber Hauptsache ist doch, dass du irgend jemandem eine Freude machen kannst, mit dem was du tust. Man - die Presse - hat uns schon immer wieder verurteilt, aber unsere Verkaufszahlen haben dabei auch immer zugelegt. Es ging also immer gut. Da können sie mich auch beschimpfen - ich bin zufrieden."
Leo ist in seinem Element
Die Kritik an Gotthard und ihren Balladen wuchs eigentlich mit jedem Album seit D-Frosted und war zuletzt zum Teil tief unter der Gürtellinie. Wie ging man in der Band damit um? - Mark: "Es berührt einem schon, aber um der Situation Herr zu bleiben, sagt man sich: Leckt mich... Man zerbricht sich den Kopf über Dinge, die man nicht ändern kann und übrigens auch nicht sollte. Wenn die Leute schreien, ändern wir nicht einfach unsere Richtung. Das geht nicht. Wir haben immer das gemacht, was im jeweiligen Moment das richtige für uns war und hoffen, damit möglichst viele Leute zu begeistern. Alle kannst du eh nie zufrieden stellen. Wer heute so schreit, schreit morgen etwas anderes. Auf diese Leute muss ich aber zum Glück nicht hören, denn sie kaufen die CD nicht, sondern erhalten sie gratis..."
während Steve seinen langjährigen Gefährten an der Luftgitarre ignoriert
Richtiggehend aufgerieben haben sich die Kritiker an den Balladen, die so schön sind, dass sie manchmal schon fast kitschig wirken. Ich erzähle Mark, dass ich diese Songs zwar eigentlich hasse, aber im stillen Kämmerchen dann doch der erste bin, der mitsingt und sie darüber hinaus praktisch auswendig kennt. Mark ist diesem Vorurteil wohl auch schon begegnet und er klärt mich auf: "Dann bist du vielleicht nicht vollkommen ehrlich zu dir selbst...? Vielleicht möchtest du den harten Buben spielen, obwohl du auch Gefühle hast. Gerade als Rockmusiker hast du auch viele solcher Gefühle. Du bist dauernd unterwegs, vermisst deine Familie, deine Freundin, deinen Töff und deinen Hund... Solchen Momenten, in denen du alleine bist, entspringen unsere Balladen. Wir schreiben eine Ballade sprichwörtlich in fünf Minuten, während wir an Rocksongs tagelang basteln. Weil es uns auch im Blut liegt. Wir schreiben übrigens auch heute immer noch Balladen, da sagt aber niemand mehr was. ´Heaven´ war halt einfach unser grösster Hit. Aus unserer Sicht sind wir mit ´Human Zoo´ das Amerikanische in der Produktion etwas übertrieben. Ziel der neuen CD war, dass der Sound wieder europäischer klingt. Weil wir hierhin gehören und auch so tönen wollen."
...bis die Drums glühen...
Ein stimmliches Phänomen wie Steve Lee gehört halt einfach ins Rampenlicht und überhaupt - wer wenn nicht der Frontmann einer Rockband darf und soll denn heute bitte Rockstar sein? Gotthard bietet auch Live alles, was es dafür braucht. Mit Leo Leoni und Steve Lee steht viel Charisma auf der Bühne und auch Freddy, der neue Gitarrist passt gut ins Bild. Er ist auch Thema in unserem Talk über Gotthards Gegenwart, die sich konkret immer noch um Balladen dreht und die Frage, warum man diese plötzlich nicht mehr kritisiert. Mark: "Man kann nicht immer dasselbe machen. Nach ´Let it Rain´ und ´Heaven´ - Pianoanfang, Stimme, irgendwann Chor und Streicher, war klar, dass wir etwas neues machen mussten. Mit Freddy haben wir einen neuen Mann dabei und er brachte neuen Input hinein. Wir sind diesmal wieder eher zur Hammond zurück gegangen, aber unabhängig davon mag ich Streicher und würde sie jederzeit wieder einsetzen. Die Kraft eines klassischen Orchester hat etwas metallmässig Geiles."
Gotthard - ursprüngliche Kraft aus den Bergen
Ausdruck des neuen Gotthard-Geistes ist für mich der auf dem Swiss-Rocks Sampler wieder entdeckte "Immigrant Song", ein Zeppelin-Cover, das die Jungs vom Zentralmassiv schon 1996 auf "G." als Bonus Track zum Besten gaben. Mark erzählt wie man dazu kam: "Früher spielten wir als allerletzte Zugabe immer ´Rock´n´Roll von Zeppelin. Wenn gar nichts mehr ging, ging der immer noch. Irgendwann haben wir ihn dann durch den Immigrant Song ersetzt. Wieso ein Cover? Weils ein geiler Song ist. Und bei der zweiten Zugabe spielt es keine grosse Rolle mehr, was man spielt. Die zweite Zugabe ist halt mehr für die Musiker und so ist auch der Song. Steve Lee erreicht die Höhen, die ein junger Plant gesungen hat, mühelos. Deshalb schliesst der Song unser Set ab."
Mark am Amboss... äh, am Bass
Die CD ist definitiv eine schöne Erinnerung an ein Gotthard-Konzert. Welche Erinnerungen verbindet denn Mark mit dem Hallenstadion-Gig? - "Verdammt hektisch... Wenn du zum ersten Mal im Hallenstadion spielst, technische Probleme hast, etwa 500 Gäste und du machst dazu noch Live-Aufnhamen - Show und Sound - in einer etwas hell erleuchteten Halle... Ich musste mich auf sieben Sachen gleichzeitig konzentrieren und die für die Kameras hergerichtete Beleuchtung lenkte noch zusätzlich ab. Das Resultat dieses schwierigen Projektes ist aber zufriedenstellend. Der Druck war riesig und wir waren froh, als es über die Bühne gegangen war." Davon kann man sich per DVD ab sofort auch selbst überzeugen. Nebst dem Konzert sind dort auch Making Of´s, Videos und Fotos der Rockstars "Made in Switzerland" mit drauf. Am Festival im HB spielten Gotthard, die Headliner des Freitag Abends, einen von rund 50 Gigs bis Oktober in Südamerika, Spanien, oder Russland. "Daneben schreiben wir Songs, damit wir gleich ins Studio können, wenn wir heim kommen."
Faszinierend: Steve Lee
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