Gurten 05 mit dem CH-Abräumer Stress
Text: Ko:L
Bilder: Eve/Monthy
Das Beben ist vorüber, das "Mothership of Sound" hat nach vier Tagen auf dem Berner Hausberg wieder abgehoben, um seine Besatzung in anderen Galaxien weiterfeiern zu lassen. Von einer anderen Welt war für den einen oder die andere auch die diesjährige Ausgabe des Gurtenfestivals - da bin ich mir sicher. Die Hives rockten, Prodigy knallten, die Chemical Brothers mixten, die Söhne Mannheims predigten und ganz viele andere Acts liessen das Publikum mit ihren ureigenen Geheimrezepten mehr oder weniger heftig durchstarten. Es wurde gelacht, geweint, gefeiert und gev...., man schluckte, schlug und schmuste - nur geschlafen wurde kaum in den vier Tagen auf dem Gurten. Das Publikum kam allen Unkenrufen im Vorfeld zum Trotz in Scharen und bewies, dass Qualität ebenso hoch geschätzt wird wie Quantität - und: Es braucht nicht immer grosse Namen um ein grosses Fest feiern zu können.
Einmal mehr wurde allerdings auch klar, dass der Platz auf dem Gurten äusserst knapp bemessen ist. Mit 16´000 Festivalbesuchern und rund 3000 Helfern, Musikern, DJs, Medienleuten und geladenen Gästen ist "die absolute Schmerzgrenze" erreicht, wie´s Medienchef Mathias Kuratli ausdrückt. Zwar haben die Organisatoren versucht mit cleverem Bauen den Platz besser zu nutzen, als in früheren Jahren - aber eng wars zu den Stosszeiten allemal. Sehr eng sogar. Ein Zurücksetzen der Obergrenze an Zuschauern ist allerdings nicht in Aussicht. Forciert wird hingegen möglicherweise der Gedanke des Umweltschutzes. Zum ersten Mal wurden dieses Jahr zu den Mehrwegbechern und zum Mehrweggeschirr Jetons abgegeben - damit sich nicht mehr clevere "Gschäftlimacher" eine goldene Nase verdienen mit der Rückgabe von Geschirr. "Die ersten Echos waren nicht nur positiv", räumt Kuratli ein. "Wir werden jetzt eine Bilanz ziehen und entscheiden obs gehauen hat, oder nicht." Gleichzeitig betont Kuratli aber auch, dass vergleichbare Konzepte in Deutschland schon lange funktionieren - und dass es auch bei der Einführung der Mehrwegbecher Misstöne gegeben hat, die mittlerweile völlig verklungen sind. Es ist offensichtlich: Der Guten lebt - und er wird weiterleben und -rocken!
Dass Patent Ochsner ihr Heimspiel anschliessend gnadenlos auskosteten und zu einer echten Triumph-Show werden liessen, war zu erwarten. Für den Sonntag hat nach Gampel 03 jetzt auch der Gurten den idealen Wecker gefunden. Die fünf Acapella-Comedians von Bagatello holten das Volk um 11 Uhr in der Frühe in einer Menge vor die Hauptbühne, wie´s selbst eingefleischte Güscheler noch nie gesehen haben. Party pur. Nach einer besinnlichen Verschnaufpause mit Mich Gerber waren es schliesslich die Lovebougs, die den Schweizer Reigen am Gurten abschlossen - und dies erfreulich packend. Fragt sich, ob die Jungs nicht gleich beim halbakkustischen Sound bleiben sollten - er steht ihnen auf jeden Fall gut und dem Publikum hats sichtlich gefallen - besser, als auch schon...
Die ersten drei Tage auf dem Gurten 05 standen aus Schweizer Sicht im Zeichen ryhtmusbetonter Sounds. Am Donnerstag sorgten vor allem Open Season mit ihrem frischen Rocksteady- und Ska Sound für gute Laune - neben der Sonne! Und Baze und seine Freunde wärmten sich für das freitägliche Heimspiel der Chlyklass auf. Der fette Berner elfer holte dann am Freitag Mittag mit einer kompletten HipHop-Performance including Sprayer on Stage den Respekt und des Publikums und die Credibility in der Szene - die Thronansprüche wurden einmal mehr deutlich. Mit der Sektion Kuchikäschtli stand am Samstag ein anderer Deutschschweizer Top HipHopAct auf der Bühne und sorgte für gute Laune vor allem bei jungen Publikum. Das Mass der Dinge war - zumindest in Sachen neue CH-Acts der Lausanner Rapper Stress. Nach St. Gallen stürmte er jetzt auch die Gurten-Bühne mit einem kraftvollen und energiegeladenen Mix aus taffen Beats, schnellen Rhymes, erdigen Gitarren und souliger Background-Stimme. Der Junge ist drauf und dran, DER Schweizer Abräumer des Festivalsommers zu werden!
Bleibt die Frage offen, wer nun die "Schlacht der Berner Festivals" gewonnen hat. Wir erinnern uns: Nach der Ankündigung, in Interlaken wollen deutsche Veranstalter zusammen mit den lokalen Jungfrau World Events ein Rockfest aus dem Boden stampfen, erlebte die Schweizer Festivalszene ein leichtes Erdbeben. Böse und andere Briefe gingen hin und her, man wollte sich Sponsoren und Partner abspenstig machen, um dem anderen so das Leben möglichst schwer zu machen. Nun sind Greenfield und Gurten 2005 Geschichte. Einmal mit Sturm - aber beide Male mit grossartigem Publikumszuspruch und der Erkenntniss, dass sich zwei so grosse Festivals in unmittelbarer Nachbarschaft offensichtlich vertragen. "Ich denke, dass sich ein ´Gurten für alle´ gespickt mit progressiven und jungen Bands und ein Festival im Rock-Bereich gut vertragen", sagt Gurten-Medienchef Mathias Kuratli. Und trotzdem: Das Greenfield hatte möglicherweise einen spürbaren Einfluss auf das Gurtenfestival: "Früher haben wir mehr Viertagespässe verkauft. Offensichtlich können es sich die Festivalbesucher nicht mehr leisten, überall das ganze Openair zu besuchen. Wohl deshalb haben wir heuer wesentlich mehr Ein-, oder Zweitagespässe verkauft, als in anderen Jahren." Und dennoch haben die Berner ihren Hausberg an drei Tagen mit je 16´000 Besuchern zum bersten gefüllt und auch der Donnerstag kann mit 12´000 Gästen als Erfolg abgebucht werden.