Krokus und ihr Hoodoo
Text: Ko:L
Bilder: Sony Music
Versuchen wir, zuerst das Wissenschaftliche zu klären: „Hoodoo ist eine Religion mit magischen Ritualen. Hoodoo-Anhänger glauben, viele Situationen des täglichen Lebens mit Hilfe übernatürlicher Kräfte beeinflussen zu können. Eine bekannte Hoodoo-Praktik ist das Tragen eines Mojo. Ein Mojo schützt vor Unheil oder bringt Glück, etwa beim Spiel oder in der Liebe. Wie das Mojo, so wird auch Hoodoo selbst oft im Blues zitiert. Beispiele sind die Songs 'Hoodoo Man' von Junior Wells, 'Hoodoo Lady' von Memphis Minnie oder 'Hoodoo' von der britischen Band Muse.“ Das sagt Wikipedia zum Ritual von Weltformat, das ebensolche Musiker in grosser Zahl inspiriert hat. Und jetzt kommen „die Bauern aus dem Provinzkaff Solothurn“, so die Selbst-Definition von Krokus, und geben ihrem neuen Album genau diesen Namen: „Hoodoo“. Doch von Magie, vor allem schwarzer, will Chris von Rohr nichts wissen: „Hoodoo ist für uns, wenn schon, an die durch Steinformationen in den USA angelehnt, welche durch die ewigen Stürme entstanden sind – und nicht an diese okulten Voodoo-Hoodoo Geschichten.“ Und auch er bezieht sich auf Wikipedia – wo an einer anderen stelle steht: „Als Hoodoos werden Gesteinssäulen aus Kalkstein im Westen der USA benannt, die sich durch Wind geformt haben. Sie entstanden innerhalb der letzten 40 bis 60 Millionen Jahre.“
Dabei ist es eigentlich egal, ob man Magie oder wahrhafte Urgesteine mit Krokus in Verbindung bringt. „Der wahrscheinlich grösste Unterschied zwischen uns und jeder anderen Schweizer Band ist, dass wir uns immer an den Grössen orientiert haben“, sagt Chris. Berührungsängste sind der Band, die vom Keller am Jurasüdfuss bis zum Madison Square Garden alles gesehen hat, fremd. Sonst wäre wohl auch eine Reunion nach über 20 Jahren voller Streitereien kaum möglich gewesen. „Wenn ich zusammen mit Marc und Fernando arbeite, ist da eine Magie im Spiel, eine Energie, die unvergleichbar ist“, sagt Chris über das Dreamteam von Arb-von Rohr-Storace. Es ist dieses „magische Trio“, das Kopf, Herz und Seele der erfolgreichsten Schweizer Rockband aller Zeiten ausmacht. Freddy Steady am Drum und Gitarrist Mark Kohler komplettieren die Original-Formation der Band, die in den USA und Kanada Platin geholt hat und deren Musik von Astronauten mit ins All genommen wurde.
Ganz offensichtlich ist die Magie, welche Chris und Marc im Talk in Chris' guter Stube immer wieder ansprechen, während der jahrzehntelangen Trennung nicht verloren gegangen. „Wenn wir gemeinsam am Start sind, dann entsteht Grosses“, sagt Bassist und Produzent von Rohr nicht unbescheiden – wohl wissend, dass gerade in den Anfängen knochenharte Drecksarbeit ihr Leben dominiert hat, und nicht Sex, Drögs und Schweinwerferlicht. „Mit Blumen und Schockolade mussten wir unter anderem bei der Redaktion von Pop Rocky betteln, dass sie auch mal einen Satz über uns und nicht immer nur über TEA oder Les Sauterelles schrieben“, erinnert sich Produzent von Rohr. "Man behandelte uns wie Bauern und Aussätzige – und das hat uns doppelt motiviert, alles zu geben".
Shouter Storace betont derweil, dass gerade bei der Produktion des neuen Albums „Hoodoo“ immer noch die selben Grundsätze gegolten haben, wie damals in den Anfängen, als Krokus mit „Metal Rendez-vous“ und Co. die Welt eroberten. „Einmal waren wir mit einer ungarischen Band auf Tour. Einer der Musiker kam nach einer Show zu mir und sagte: 'Wow, it's not easy to play simple!“ Es sei nicht einfach, einfach zu spielen. „Das ist bis heute geblieben und immer noch unsere Devise“, fährt er fort, „keine Künstlichkeit, kein überflüssiges Element – aber dafür reine, pure Energie. Lücken füllen mit irgend welchem Schnick-Schnack kann jeder. Aber eine Lücke zulassen und mit präzisem Timing wieder auflösen und weiter zu grooven, das ist Kunst.“
Eine Kunst, welche die Solothurner auch im 21. Jahrhundert noch beherrschen. Im letzten Sommer deuteten die fünf Mannen auf dem Heitere an, dass sie hierzulande live immer noch die unerreichte Nummer 1 in Sachen Hardrock sind – und mit „Hoodoo“ liefern sie nun ein Album nach, das einen auch mehrmaligem Durchhören glauben lässt, dass von Rohr sich nicht auf die Äste rauslässt, wenn er sagt: „Natürlich haben wir noch Ambitionen. Alles andere als Chartplatz 1 und Platin würde uns nicht entsprechen.“ Sprich: 30'000 Exemplare müssen in kürzester Zeit weg. In der jüngeren Vergangenheit haben das aus Schweizer Sicht nur gerade Bligg, Stress oder Oesch's die Dritten erreicht...
Das Rezept zum Erfolg ist für von Rohr schon fast erschreckend simpel: „Wir haben den Mut, Songs mit zwei Akkorden durch zu spielen. Schon Mozart sagte, die grosse Kunst bestehe nicht darin, komplexe Musik zu machen, sondern die Menschen mit einfachen Kompositionen zu berühren. Einfach sein ohne banal zu werden!“ Und so präsentieren sich Krokus auf „Hoodoo“ gewohnt nackt und knackig. Gitarre, Bass, Drum und Marc Storaces Stimme, die eben doch mehr Sexappeal hat, als jene von AC/DCs Brian Johnson, reichen, um hinzuhören und dann das Ohr kaum mehr von der Boxe zu kriegen – egal obs mit Highspeed rauscht wie in „Firestar“ oder schleppend düster wird wie in „Ride into the sun“. Und die Altrocker übertreiben nicht, wenn sie sich einig sind, dass es mit „Hoodoo“ gelungen ist, den Bogen von „Headhunter“ aus dem Jahr 1983, dem letzten Album in der Original-Formation, ins Jahr 2010 zu spannen. „Weil wir alle trotz unterschiedliche Wege in der Vergangenheit immer noch das selbe im Blut haben“, sagt von Rohr: „Kickass Rock'n'Roll!“ Oder eben doch Magie...