Die Kummerbuben lassen am Gurten das Buggelimannli raus

Text: DasSchaf
Bilder: PartyGuide.ch
Kummerbuben live
Es ist Gurtenfestival-Sonntag, nach regnerischen drei Tagen freuen wir uns endlich über die wärmenden Strahlen der Sommersonne, Mittagszeit, schon ein wenig müde, aber fröhliche Gesichter überall. Ich pilgere mit ein paar anderen Festivalbesuchern in Richtung Zeltbühne, matsche mit meinen Gummistiefeln vergnügt durch die Schlammpfützen und lasse mir sagen, ja, die Kummerbuben, die hier gleich ihr Konzert geben werden, die seien doch richtig geil. Volksmusik mal ganz anders eben. Dann huschen wir doch schnell rein ins Zelt, denn es geht schon bald los. Die Rauchmaschine nebelt die Bühne ein, und eine Jodlerin in Tracht stellt sich vors Mikrofon, in der ausgestreckten rechten Hand eine Fackel tragend, und stimmt mit ihrem Gesang auf das nachfolgende Spektakel ein. Ein Mann im Publikum hebt sein Bier und jodelt frisch von der Leber weg mit. Volksmusik, Trachten, jodeln, das steht doch für Fröhlichkeit und lüpfige Stimmung, nicht? Doch da vorne braut sich ein Gewitter zusammen, ein Unwetter, ein Sturm. Eine düster-neugierige Atmosphäre breitet sich aus, das jodelnde Mädchen im Nebel, eingehüllt in gelb-rotes Licht, das verheisst irgendwie nichts Gutes… da taucht auch plötzlich Kummerbuben-Sänger Simon Jäggi mit seiner Band im Nebel der Bühne auf, und mit einer fulminanten, kurzen Pyroshow legen die Jungs los. Wow! Das hat irgendwo weit her schon fast was von Rammstein – die tiefe, kratzige Stimme, die Pyroshow, die düstere, energiegeladene Stimmung.
Kummerbuben live
„Volkslieder haben oftmals einen dunklen Unterton. Der wird bei der Interpretation meist vergessen oder weggelassen – wir versuchen diese andere Seite der Lieder hervorzuheben und sie so zu spielen, wie sie eben sind. Und das ist halt vielmals eher düster“, erklärt Simon. In der Tat! Befasst man sich mit den Texten alter Volkslieder, fällt einem diese eher abgründige Note doch auf. Und die Kummerbuben machen ihr alle Ehre. Sehr speziell, irgendwie freakig, wie die Jungs da vorne auftreten. Das Bühnenoutfit komplett auf vergangene Zeit abgestimmt, wie ein alter Schweizer Dialektfilm mit Heinrich Gretler, erinnere ich mich an die Romane von Jeremias Gotthelf – so habe ich mir das in meiner Schulzeit jedenfalls vorgestellt, stimmungsmässig. „Wir sind so wild auf euch, die Security hier ist nicht da, uns vor euch, sondern euch vor uns zu schützen!“, röhrt Simon ins Mikrofon. Wohliger Schauer läuft über den Rücken. Wie uns die dunkle Seite doch immer wieder fasziniert – und wie gekonnt die Kummerbuben damit spielen.
Kummerbuben live
Volksmusik, Volkslieder, das ist nicht unbedingt die „coole Musik“ der MTV-Generation. „Nein, überhaupt nicht“, pflichtet mir Simon bei, „aber erstaunlicherweise funktioniert es auch dort, wo sonst eher ‚coole‘ Musik gespielt wird.“ Die Leute interessieren sich für den etwas anderen Umgang mit unserem hiesigen, volkstümlichen Liedgut. „Vor kurzem spielten wir an einer Rockabilly-Party, und da wimmelte es von Gästen, denen du sonst nicht im Traum mit Volksliedern kommen würdest – und die fanden uns echt toll“, so der Sänger, „wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich die Leute enorm für dieses Liedgut interessieren.“ Es ist eine etwas andere Auseinandersetzung mit der Urschweizer Musik, mit unseren musikalischen und sprachlichen Wurzeln, aber erklärtermassen kein Patriotismus. Es gehe schlicht darum, den riesigen Schatz an Liedern unserer Väter und Urväter zu heben und auszukosten. „Geht man zum Beispiel nach Kroatien, finden da Feste statt, an welchen Bands zig Volkslieder spielen können; bei uns wissen wir vielleicht gerade mal, wie der Refrain vom ‚Vreneli vom Guggisberg‘ geht. Hier besteht ein enormes Vakuum – und vom Publikum her ein grosses Interesse“, erzählt der Sprachakrobat. Kein Patriotismus – und auch keine pädagogische Dialektpflege: „Klar stösst man hier und da auf vergessene Dialektausdrücke und spielt mit ihnen. Das ist aber nicht unser Hauptaugenmerk, Sprachpflege zu betreiben und gewisse Wörter in die Neuzeit retten. Unser Antrieb liegt in der Musik und in deren Interpretation. Man hat auch früher immer wieder die Lieder verändert, über neue Melodien gesungen, oder am Text gefeilt. Wir sehen uns in dieser Tradition. Aber natürlich ist es auch interessant, in den alten Texten zu lesen und zu finden, wie früher Gefühle und Befindlichkeiten ausgedrückt worden sind. Die Auseinandersetzung mit älterer Sprache ist demnach schon ein Teil unserer Musik, aber eben nicht Hauptaspekt“, so Simon.
Kummerbuben live
Schweizer Volksmusik mal ganz anders. Schweizer Volksmusik mal so richtig geil. Ja, Mundart kann auch ausserhalb des Mundartpop und –rock richtig gut sein. Und wie! Die Band brettert und rumpelt durch ihr Repertoire und begeistert die Fans. Vorbeigehende Festivalgänger bleiben stehen, hören mit, und als ich meine Ohren spitze, ist der Tenor ziemlich klar und einig: „Diese Jungs rocken!“ Man kann auch gar nicht anders, man wird mitgerissen. Und auch wenn sich Simon gegen den Rammstein-Vergleich wehrt, die Pyroshow und diese Stimmung erinnert irgendwie – und überhaupt nicht abwertend, ganz und gar nicht! – an Rammstein, einfach light. Mit mehr Finessen und sehr viel weniger offener Brutalität. Aber die Energie, ja die Energie geht in diese Richtung. Faszination Abgrund. Gefällt mir. Auch wie der Sänger mit tiefer Stimme durchs Konzert lotst – einzigartig speziell. „Tierschutz fängt schon im eigenen Körper an“, raunt Simon ins Mikrofon, „da wäre der innere Sauhund, den wir doch immer an der Leine haben, oder die Schnapsdrossel, die auf dem Trockenen sitzt… aber ein Tier in uns kriegen wir nicht unter Kontrolle; das, welches dafür sorgt, dass wir uns hier in vier Tagen Gurtenfestival so benehmen, dass wir uns wieder ein halbes Jahr dafür schämen müssen, ja… das Buggelimannli!“ Die Band stimmt den Song an. Ich sehe mich um. Ja, hier und dort hat auch dieses Jahr das Buggelimanneli wieder ganze Arbeit geleistet. Das Buggelimannli. Herrlich! So machen Volkslieder Spass. Nicht wie früher in der Schule, als wir „Es wott es Fraueli zMärit ga“, langweilig, vom Lehrer am Klavier oder auf der Gitarre begleitet, singen mussten. Mit Pep – und mit einer Portion Wahrheit und einer Prise Freakshow. Und da hätten wirs wieder: es ist doch alles eine Sache der Interpretation.
Copyright trespass.ch [br] Source: https:// https://www.trespass.ch/de/bands-a-z/k/kummerbuben/die_kummerbuben_lassen_am_gurten_das_buggelimann.htm