Kummerbuben bringen der Schweiz ihre Musikkultur zurück

Text: Sandy
Bilder: musicbild.li
Man drehe die Zeit fünfzig oder noch mehr Jahre zurück. Damals gab es keine Festivals. Einmal pro Jahr lud der Gemischte Chor oder die Musikgesellschaft vom Dorf zum Festen ein. Gekleidet im schönsten Sonntagsgewand zogen alle Bewohner Richtung Wald. Die Männer präsentierten sich mit weissen Hemden, deren Ärmel extra mit dem Bügeleisen gestärkt wurden. Die Frauen trugen den selbst genähten Sommerrock oder sogar die Tracht. In einer windstillen Lichtung wurde einzig für diesen Anlass zwei Holzbühnen aufgebaut; eine für die Musikkapelle und unmittelbar davor eine zum Tanzen. Beim Aufstieg zur Tanzbühne bezahlte man ein sogenanntes „Tanzgeld“. Besonders stolz waren alle Frauen, die von ihrem Verehrer den „Tanzbändel“ offeriert bekamen. Alles ging friedlich zu und her, die Leute lachten, tranken und waren glücklich. Die Kapelle spielte bekannte Lieder und das Volk sang Strophe für Strophe mit. Und hie und da wagte einer, versteckt im Schatten der Bäume, seine Liebste zu küssen.
Kummerbuben live am Woodrock 08
Genau so ist die Kulisse am Woodrock, dem Musikfestival, das auch in einer Waldlichtung stattfindet. Getanzt wird dort zwar direkt auf dem Waldboden, und das darf man sogar umsonst. Zur vorgerückten Stunde musizieren hier auf der Bühne sechs Mannen. Sie tragen, wie damals, „währschafte“ Kleider und singen dieselben Lieder. Der Knecht am Schlagzeug hat ein Trägerleibchen an und man erkennt die alten Hosenträger wieder. Am Mikrophon steht ein feiner Herr, bekleidet mit einem weissen Hemd, seine Krawatte sitzt schon etwas locker. Die Gesichtsausdrücke der Musiker wirken sowieso eher düster, meistens haben sie eine Zigarette im Mund. Auch die musikalische Darbietung der alten Lieder ist anders und kommt eher einem Aufstand gleich. Etwas, das sich die Herren von früher am Dorffest nicht gewagt hätten. Hier singen die Festbesucher nicht notentreu mit, es ist eher ein „Mitgegröhl“. Die Jungs auf der Bühne sind wohl noch keine dreissig Jahre alt und mögen die alten Zeiten nur von Erzählungen kennen. Mit einer grossen Vielfalt an Instrumenten fahren sie auf, auch Akkordeon und Saxophon sind dabei. Die Musiker nennen sich Kummerbuben und singen voller Inbrunst alte, bekannte Volkslieder, wie „Es wott es Froueli z Märit gah“, „z’Guggisbergerlied“ oder „Gäntu“. Dazu laden sie zum Mitschaukeln ein, denn nur so, verheissen sie, wird das Leid erträglicher.
Kummerbuben live am Woodrock 08
„Ein ‚Gäntu‘ ist ein mattenberndeutsches Wort und bedeutet Vagant“, belehrt der singende Kummerbub Simon Jäggi nach dem Konzert alle Nichtwissenden. Die Kummerbuben wollen nicht nur alte und heute nicht mehr gebrauchte Wörter wieder beleben, sondern vor allem das schweizerische Kulturgut auferstehen lassen. „Es ist schade, dass es einfach nur vor sich hin schlummert und brach liegt“, begründet Simon. Die heutigen Jugendlichen haben meist mit dem Jodelchor nichts am Hut. Darum sei es nötig, ihnen so das wertvolle Gut unserer Kultur bekannt zu machen. Schliesslich hat es eine grosse musikalische Vielfalt: Tango, Walzer und sogar Latin-Einschlag findet man darin. Die Ideen zu diesem Aufleben seien in der ganzen Band zusammengewachsen. Der Ausschlag dazu kam von Akkordeonist Mario Batkovic, der hat seine Wurzeln in Bosnien hat. Mario habe von dort seine Tradition mitgebracht und sich gewundert, wieso wir hier keinen Bezug zu unserem musikalischen Ursprung haben. „Da ist mir richtig bewusst geworden, wie wenig Volkslieder wir überhaupt kennen“, bekennt Simon.
Kummerbuben live am Woodrock 08
Aber nur die Lieder notengetreu nachspielen, dass wollen die Kummerbuben nicht. Mit ihrem neuen musikalischen Arrangement geben sie ihnen mehr Wirkung. Der Sänger will aber noch mehr erreichen: „Ein Leben bekommen die Lieder erst, wenn die Leute an einem Ort wie hier dazu tanzen und Freude haben.“ Dann haben die Kummerbuben ihr Ziel erreicht. „Erst dann ist es wieder Populärmusik“, präzisiert Simon. Die ganze Band ist an der musikalischen Umsetzung und Dramatisierung beteiligt. Sie entstehe spontan, die Ideen kommen aus dem Bauch und nicht aus dem Kopf. Manchmal sei es purer Zufall, dass ein Text mit der Melodie überhaupt zusammenfindet.
Kummerbuben live am Woodrock 08
Die Kummerbuben suchen sich bewusst Lieder aus, die viel Leiden, Leidenschaft und „Bäzi“ (Schnaps) in sich haben, und die so zu sagen unter einem verstaubten Teppich hervorgeholt werden müssen. „Genau diese erzählen vom Leben und das interessiert mich“, gibt Simon zu. Der Sänger ist beeindruckt, dass die Texte auch heute noch berühren. Früher fragte man persönlich: „Anneli wo bisch geschter gsi?“ Heute ist es die gleiche Frage, nur stellt man sie vielleicht eher unmutig per SMS. Damals war die Gesuchte im Garten, heute wohl im Fitnesszentrum. „Gefühle sind die gleichen geblieben, egal ob sie hundert, zweihundert oder fünfzig Jahre alt sind“, weiss Simon.
Kummerbuben live am Woodrock 08
Der Bandname hat übrigens zwei Bedeutungen. Simon verrät schmunzelnd: „Es kann sein, dass wir Buben selber ein wenig 'kummern' - oder dass wir andern Kummer machen.“ Der einzige eigene Song auf ihrer aktuellen CD heisst: „Iri Liebi es Verbreche“. Der Sänger weiss, dass die Liebe ein Verbrechen sein kann: „Genug Leute haben Geschichten dazu erlebt. Eigentlich sollte die Liebe bestraft werden.“ Der singende Kummerbub stellt übrigens fest, dass ihre CD glücklich macht. Man brauche zum glücklich werden nicht unbedingt Happy-Funksongs zu hören, sondern soll sich lieber so richtig in der Melancholie suhlen. Genau sie trage nämlich recht viel Süsses in sich. „Wenn ich eine traurige Lebensphase habe und dazu traurige Lieder höre, werde ich schneller glücklich“, weiss der Jüngling. Ob das früher auch so war?
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