Lea Lu hat Etwas - mehr als wir anderen

11.10.2011; Text/Bilder: Monthy
Normalerweise ist es ja Ausdruck von persönlichem Geschmack, der einem von jemand sagen lässt: Die hat was! Weil ich als Mann auch Augen im Kopf habe, kann ich mich diesem Verdacht im Endeffekt vielleicht nicht ganz erwehren. Doch bei Lea Lu ist es mehr - nämlich diagnostiziert. "Ich bin eine Synästhetikerin", bestätigt die feingliedrige und mit äusserster Bedacht sprechende junge Frau mit feiner und doch durchdringender Stimme, "Das heisst, dass zwei Wahrnehmungssinne zusätzlich verknüpft sind. Bei mir ist es so, dass ich Farben sehe, wenn ich Töne höre oder wenn ich Buchstaben oder Zahlen sehe. Dass ist innerlich und man kann es nicht abstellen. Es funktioniert auch nur in diese oben beschriebene Richtung und nicht umgekehrt." Nun hatte ich davon schon kurz gelesen. Die wissenschaftliche Erklärung ist aber nun doch sehr faszinierend. Irgendwie aber auch blöd für mich, denn ich wollte Lea anschliessend fragen, wie denn nun "blau" tönt. Pustekuchen!
Lea Lu am Voices on Top in Pontresina
Interessant für mich ist insbesondere die Frage, ob sich dies in ihren Songs und der Art wie sie enstehen, niederschlägt? - Lea: "Nein. Es schwingt mehr zusätzlich mit. Ich gehe aber beim Songwriting nicht darauf ein. Für mich ist es so normal, wie für dich die Empfindung, dass die Vase auf dem Tisch grün ist." Obwohl ihre Erklärungen wunderbar einleuchtend sind, treibe ich das Fragespiel noch ein bisschen weiter und werfe ein: "Du hörst demnach eine grüne Vase?" - Lea lächelt amüsiert und kontert meinen Ansatz: "Nein - wenn jemand einen Ton findet, der grün ist, dann ist dieser Ton grün... Ich habe das ja von Geburt an und deshalb ist es für mich nichts Spezielles. Ich habe damit gelernt, Musik zu machen. - Wenn es mich in einer Art beeinflusst, dann dahingehend, dass mich gewisse Dinge stören, weil sie von den Farbkombinationen nicht zusammen passen." Für mich bleibt es das alles immer noch schwer fassbar. Aber kurz zusammen gefasst: Lea sieht nicht Bilder, wie andere, die sich das vielleicht auch mehr erträumen. Sie malt auch keine, weder mit noch ohne Formen. - "Für mich folgen sozusagen der grüne Akkord auf den gelben Akkord und dann kommt der rosarote...", befriedigt die Synästhetikerin meine Neugier mit einem praktischen Beispiel, wie das denn so ablaufe.
akustische Performances werden im Engadiner Herbst bevorzugt
Die Zuteilung der Farben und Töne, die Lea vor ihrem inneren Auge sieht, sind dabei willkürlich: "Du musst dir vorstellen, dass jeder Ton - unabhängig ob er nun von einer Geige oder einer Gitarre gespielt oder gesungen wird - eine Farbe hat. Diesen Ton und seine Farbe gibt es dann sowohl in der klassischen Musik als auch im Flamenco oder im Heavy Metal..." Zur Häufigkeit des Vorkommens dieser zusätzlichen Verknüpfungsfähigkeit hat Lea auch noch eine Antwort parat: "Jeder Zwanzigst-Tausendste" sei davon betroffen. Ich versuche mich kurz im Kopfrechnen, komme aber erst in der Nachbearbeitung auf die richtige Anzahl von Leuten insgesamt. Bei 7 Milliarden Erdbevölkerung wären das 350'000, wenn es mir recht ist. "Es gibt noch relativ wenige Studien, weil es ein neu erforschtes Phänomen ist", schränkt die Zürcherin in Bezug auf die Dunkelziffer ein.
Eine spezielle Performance ganz besonders am Drum
Damit verlassen wir aber das Gebiet. Speziell bleibt Lea Lu deswegen trotzdem. Die üblichen Schubladen lehnt sie nämlich ab. Vielmehr mache sie Englisches Chanson, orakelt das Programmheft des Pontresiner Festivals "Voices on Top". Eine Bezeichnung, die die Organisatoren von der Künstlerin selbst haben. Lea: "Ja, denn es ist keine klassische Singer/Songwriter-Musik, kein konventioneller Pop, wie man ihn vom Radio hört, Jazz erst recht nicht - obwohl ich ausgebildete Jazz-Musikerin bin." Nun mag ich dahingehend etwas kleinlich sein, aber ich frage mich schon, was denn vom Chanson übrig bleibe, wenn man die französische Sprache wegdenke? - Lea windet sich erst etwas: "Eben alles ausser die Sprache... Es gibt Songs, die funktionieren tatsächlich nur in französisch und die kann ich nicht singen." Als sie ihre Gedanken genügend geordnet hat, präzisiert Lea messerscharf: "Ich habe den Begriff des Chanson mal bei Wikipedia nachgeschlagen. Ein Chanson ist ein relativ kurzer Song, dessen Melodie den Inhalt möglichst emotional vermittelt. Es geht stark um diesen Inhalt. Die Band und alles darum herum unterstützt mich, diesen zu vermitteln."
Lea - von Kopf bis Fuss bezaubernd
Bei "Chanson" allerdings denke ich fast automatisch an Edith Piaf, diese einsame, anklagende Stimme, die auf Musik eigentlich ganz verzichten konnte. "Deshalb sehe ich mich auch nicht als Singer/Songwriterin. Denn so wie sie oder auch andere, die solo mit Gitarre auftraten, könnte ich das nie. Dass die Stimme aber ziemlich zentral ist, stimmt wiederum. Stimme und Melodie..." Ich hake gleich nach, ob sie diese entsprechend gewichte, wenns ums Gestalten der Songs gehe, was sie verneint: "Die Songs kommen einfach so raus wie sie sind. Da steuere ich nichts und kann auch nicht gewichten. Irgendwie habe ich noch nicht heraus gefunden, wie das geht..." Sie lächelt verschmitzt, was ich selbst aus der Aufnahme noch heraushöre. Dann seufzt sie kurz und bestätigt: "Ich weiss nicht, wie ich einen Song schreibe. Manchmal kommen fünf Songs in zehn Minuten raus, die ich alle schön auf meinem Aufnahmegerät aufnehme. Dann kommt zwei Wochen keiner. Warum die genau dann aus mir herauskommen, warum sie davon handeln oder warum sie diese Melodie haben, kann ich nicht erklären..." Zu ihrem Trost: In Amerika sagt man, dass ein Song, den man erst noch erklären müsse, gar nicht gut sein könne!
Background und Blockflöte im Einsatz
Lea Lu trat im Rahmen des Pontresina-Festivals in der Bar des Sporthotels auf. Die Standard-Frage nach den beengten Platzverhältnissen entlockt Lea ein deutliches: "Das sind nun wirklich nicht meine Lieblings-Verhältnisse." Die Frau weiss, was sie will - oder vielleicht vielmehr braucht... - "Dafür dass meine Musik an einem Konzert funktioniert, braucht es ein sitzendes Publikum das zuhört. Bei mir ist es manchmal so leise, dass ich auf der Bühne ein Flüstern im Publikum hören kann. Ich habe eine sehr feine Musik und ehrlich gesagt, mag ich das gar nicht." Was sie machen könne, um diese Atmosphäre nun vielleicht schaffen könne, hätte ich da gar nicht fragen müssen. Sie schaut mich genauso fragend an wie ich sie: "Das kann ich nicht... Ich bin kein Schau-Tierchen und ich habe die feste Ahnung, dass es heute nicht klappen wird." Die leichte Kritik, die hier am Festival geübt wird, trage ich übrigens mit. Dazu muss man fairerweise sagen, dass die Haupt-Konzerte in Pontresina zumeist in den Hotels oder im Kongresszentrum abgehalten werden. Dafür ist Lea's Name noch nicht gross genug. Die Plätze waren besetzt von Leuten wie Eduardo Bennato, Marco Masini, Sina, Vera Kaa oder Philippe Fankhauser. Sensibler wäre aber allemal gewesen, Lea im Zelt vor dem Kongresszentrum spielen zu lassen, wo sie nicht in einer Ecke sondern zentral vorne gewesen wäre. Marc Sway frassen dort vor Jahresfrist die Leute aus der Hand. Dass an den Konzerten auch viel geredet wird im Publikum ist an solchen Social-Events einfach so.
Lea Lu hatte zumindest einen aufmerksamen Zuhörer in der ungeliebten Bar...
"Es muss eigentlich nicht Ruhe herrschen, sondern Aufmerksamkeit", formuliert Lea einen neuen Ansatz mit etwas Hoffnung, "So können vielleicht die interessierten Besucher einen Eindruck gewinnen. Aber ich kann einfach nicht alles geben, wenn die Umgebung nicht stimmt. Ich habe auch schon im Kaufleuten vor 1500 Leuten gespielt. Da gab es auch einen permanenten murmelnden Geräuschteppich. Wenn ich die Aufmerksamkeit der Leute habe, kann ich etwas vermitteln. Das wird vom Publikum aufgenommen und führt zu einer Reaktion. So entwickelt sich etwas schon fast Zwischenmenschliches. Ich nehme das auf und gebe es zurück wie ein Ping-Pong-Spiel." Ich sichere Lea zu, dass zumindest einer ganz aufmerksam sein werde, was ich auch versucht habe. Erlebt habe ich eine Band, die ähnlich speziell ist wie ihre Sängerin. Mit Xylophon und Querflöte als tragende Elemente und einem Drummer, der nur zwei klassische Sticks, dafür aber je etwa ein halbes Dutzend Paar Schlegel und Besen in seinem Arsenal hatte, auf einem Cajon sass und auf die hellen Snares verzichtete. In der Pause verriet er mir übrigens, dass die Zusammenstellung des Schlagzeugs vor allem daher rühre, dass sie früher mit dem öffentlichen Verkehr an die Konzerte reisten und er platzsparend denken musste. Das sei dann irgendwie geblieben...
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