Simon La Bey - Sein und Schein im Himmelreich
Text: Piggy
Bilder: Simon La Bey
Rund dreissig Jahre ist es her, dass der damals gerade 15jährige Simon La Bey erstmals ins Ausland reiste. Genauer nach Italien, und erst noch alleine. Die grosse weite Welt eben... Und die sollte er von einer völlig neuen Seite kennen lernen, als er spätabends aus dem Kino geworfen wurde und sich in einer einsamen Gasse wiederfand. Das heisst, weiter vorn stand eine Dame - offensichtlich aus dem horizontalen Gewerbe, aber deshalb nicht minder interessant für den Jüngling. Er näherte sich ihr und sein Atem stockte. Sie war gross, blond und mehr als nur sexy - atemberaubend... Simon zögerte, sie anzusprechen und als er sich doch dazu entschloss, fragte er sie nach dem Weg zum Bahnhof, worauf das leichte Mädchen mit schwerer Männerstimme antwortete: "La stazione, amore, e sempre in diretto - Zum Bahnhof, Liebster, geht's immer geradeaus"... Irgendwann später kreierte La Bey daraus einen Song namens "Angel-A". Letzten Freitag führte Simon's Weg in die Mühle Hunziken, wo er zu Chica Torpedo's Plattentaufe geladen war. La Bey hat dazu den Song vom einsamen Kosmonauten beigetragen und wurde von Schmidi ebenso lobend erwähnt wie Trespass-Monthy, welcher die Promo für die Scheibe geschrieben hatte. Ich nahm die Ehrung an Statt meines Verlegers entgegen und lernte dabei La Bey kennen. Konkret sprach er mich an, was trotz meinem Sexappeal eigentlich immer noch viel zu selten geschieht. Er erzählte mir die Italien-Geschichte von anno dazumal und lud mich ein, an seiner Plattentaufe die Visualisierung seiner "Engelin" zu übernehmen. Wer mich kennt, weiss ganz genau, dass ich mir eine Chance auf einen Bühnenauftritt sowieso nicht nehmen lasse. Die Zusage war also reine Formsache...
Und da sass ich nun also - in roten halterlosen Strümpfen mit Strapsen, schwarzem Mini und geschnürter Corsage - und wartete auf mein Stichwort. Nachdem Simon die Geschichte allgemein bekannt gemacht hatte und zum Refrain "Grazie Angelo - Grazie Angela" ansetzte, erhob ich mich im Publikum, schlenderte links seitlich zur Bühne vor, lief einmal quer vorne durch zu meiner Strassenlaterne, die im Saal Beau Rivage zu Thun stilecht von einer marmornen Säule dargestellt wurde. Weil mir das aber noch nicht genügte, bewegte ich mich bald wieder in die Gegenrichtung, wobei ich diesmal auf die Bühne stieg und allen Musikern Streicheleinheiten zukommen liess. Zu guter Letzt schmiegte ich mich natürlich an Simon, der den Song dazu sanft ausklingen liess. Der kleine Auftritt verfehlte seine Wirkung nicht, wohl auch weil La Bey seinen Fans gerne und immer wieder etwas Neues oder anderes bietet. Anstatt solo aufzutreten, wurde er bei der Plattentaufe seines neuesten Werks "great feelings" beispielsweise von der extra formierten Band Bonstettenpark begleitet und Maler Michael Streun zeigte im Foyer das gemalte Original des Plattencover-Sujets aus seiner Sammlung von Musikerporträts.
Die Plattentaufe allerdings musste auch beim Gespräch danach erstmal hinten anstehen und Simon La Bey zuerst hinsichtlich seiner Gefühle Auskunft geben, was er denn nun beim Déja-Vu "seiner" Angel-A empfunden hatte. - "Ich habe dich in der Mühle Hunziken von oben herab aus der Galerie gesehen und dabei kam mir einfach sofort dieses Bild von Angel-A in den Sinn - so: 'Das ist sie!' Es ist schon eine ziemlich verrückte Geschichte. Auch den Song hatte ich ja erst viele Jahre nach der Begegnung geschrieben. Meine Gedanken drehten sich dabei auch darum, ob es sie noch gibt, wie es ihr geht und komischerweise auch, ob sie das irgendwie mitkriegen würde. Dass ich ein Lied über sie geschrieben habe... Ich wäre sehr glücklich, wenn sie es einmal hören könnte, aber auch wenn nichts in der Welt unmöglich ist, so scheint es doch sehr unwahrscheinlich, dass dies einmal geschehen wird. Das wäre vergleichbar mit dem Finden eines Sandkorns im Universum... Dann habe ich aber dich gesehen..."
Der Künstler Simon La Bey ist seines Zeichens Geigerzähler. Keiner allerdings der piept, sondern einer, der mit seiner Geige erzählt. Ausserdem verrät seine Visitenkarte, dass er manchen Tagen Dichter sei als an anderen. Typische LaBey-Geschichten drehen sich laut Simon: "...natürlich um die Liebe. Eigentlich merke ich je länger desto mehr, dass es ums Vermitteln einer gewissen Spiritualität geht. Beispielsweise im Song 'Tiger ufem Bärg'. Vordergründig dreht der sich ums Nomadentum. Ich war lange mit Zigeunern unterwegs und bin ein grosser Fan der nordamerikanischen Indianerkultur. Dieses Herumziehen hat sich für mich als spirituelle Qualität erwiesen. Lapidar gesagt, nicht aufs Material angewiesen zu sein. Natürlich stellt sich da auch eine Bequemlichkeit ein. Schöne Frauen, gutes Essen und so weiter. Aber da gibt's irgendwo schon noch etwas anderes, etwas Grösseres." Eine Qualität wohl, die im Zeitalter von Kapital- und Individualismus oft an die Wand gedrückt oder zum Lippenbekenntnis degradiert wird. Die Leute spüren denn auch, dass sie bei Simon La Bey auch andere Bedürfnisse stillen können. - "Heute Abend hat mir gerade jemand, in dessen Leben es momentan gewaltig rattert, gesagt, dass es ihm gut getan habe, meine Musik zu hören. Solche Echos stellen besonders auf und begegnen mir doch öfter. Meine Kunst ist vordergründig auch wirklich weit weg von dieser modernen Welt. Aber das Bedürfnis der Leute danach ist riesig. Nach etwas, das sie in der Seele bewegt..."
Nebst den erwähnten Indianern tauchen in La Beys Musik auch andere ähnliche Kulturregionen auf. Der Balkan ist mit Django Reinhardt und Volksweisen, dazu dem Gefühl der Musik ganz allgemein stark vertreten. Aber auch der Orient spielt öfter mit hinein. So hat Gitarrist Diem von einer Türkei-Reise etwa ein çümbüs (sprich tschümbüsch) mitgebracht - die günstige Variante einer orientalischen Laute und im Klang irgendwo zwischen Banjo und Sitar. A propos Banjo - auch das Instrument der Trapper ist dank dem Weltenbummler von Bonstettenpark Teil der Performance dieses Abends. Die Band übrigens probte zuvor drei Mal und überzeugte mit einem feinen World-Jazz, der La Bey's Geige einen nahrhaften Boden unterlegte. "Das hat sich in letzter Zeit auch einfach so ergeben", erklärt La Bey die Ethnie dessen, was er tut, "Nach einem Konzert in Bern kam beispielsweise ein ägyptischer Trompeter auf mich zu und fragte mich, ob wir mal etwas zusammen machen könnten. Dass Martin Diem ein Flair für diesen arabischen Raum hat, ist auch eher zufällig. Ich habe das nicht in diese Bahnen gelenkt." Flüchten vor dieser westlichen Welt darf man aber zumindest für den Augenblick - La Bey: "Du kannst es ja auch hier suchen. Oder in dir drin. Und wenn du das tust, wirst du auf Leute treffen, die ebenfalls am Suchen sind. Es hat viele davon..."
Obwohl ich Simons Tun für spektakulär halte, behaupte ich, man könne ja vordergründig attraktivere Musik spielen. La Bey ist ansonsten oft solo unterwegs und sogar froh, darauf mal angesprochen zu werden: "Tatsächlich bin ich mich musikalisch immer noch am Finden, weil ich lange alleine gespielt habe. In meinem Alter bin ich aber auch nicht mehr bereit, etwas anderes zu machen, als das, was ich will. Wenn mir etwas in den Sinn kommt und mir bleibt, wenn es mich verfolgt und nach zwei Wochen immer noch um mich schwirrt, dann bedeutet das auch etwas. Und wenn ich es gleich wieder vergesse, dann kann es auch nicht so gut gewesen sein. So mache ich meine Songs. Ich habe an hunderten von Festen gespielt, oft bei den Zigeunern und auch heute, wusste ich doch genau, bei welchen Passagen das Publikum mitgehen wird. Es ist aber auch ein geiles Abenteuer, splitternackt hinzustehen und fast nichts zu geben. Und das Echo ist erstaunlich positiv. Es berührt die Leute, dass für einmal nicht in die gleiche Kerbe gehauen wird. Das öffnet auch bei ihnen etwas. Und das können sie sonst oft kaum wahrnehmen bei sich selbst." Wir einigen uns, dass dies auch ein Problem von Zahlen und Darstellungen in den dominierenden Medien ist. La Bey: "Aber auch bei uns findest du 20'000 Musikliebhaber, wenn du es richtig machst..."
Der sonst einsame Geigerzähler durfte also nun an diesem, seinem Abend auf die Unterstützung einer Band zählen, was er entsprechend genoss. - "Ich liebe es wahnsinnig, mit Leuten zu spielen. Auch Duette nur mit dem Drummer oder dem Bassisten. Da gibt es so viel Platz und dann geht es schön hin und her..." Sein Instrument Geige ist auch im Verband noch dominant - woh auch gerade deshalb als Solo-Instrument besonders geeignet? - La Bey: "Alleine braucht Mut, lässt aber noch mehr Platz. Es war heute teils auch für mich ein richtiger Genuss mit etwas mehr Rundherum. Aber ich scheue einfach immer noch den Aufwand, eine Band zu organisieren. Ich bin froh, kann ich auch alleine. In letzter Zeit begrüsse ich dann halt öfter einen einzelnen Gast. Das öffnet die Veranstaltung und holt sie ein bisschen aus dieser Isolation. Es kann auch mal eine Tänzerin sein oder eine Sängerin..." ...oder eine engelsgleiche Schauspielerin wie an der Plattentaufe von "great feelings". Meine Bewerbung für zukünftige Aufgaben habe ich dann jedenfalls nicht unabsichtlich unter Simon's Tischchen fallen lassen. Dass ich sie dann auch noch lasziv aufhob, liess ich mir bei meinem zugigen Outfit an diesem Abend natürlich nicht nehmen...