Matterlive in der Alten Taverne, Adelboden
Text: Monthy
Bilder: Eve/Monthy
Man sollte ja meinen, der Mann mache das zum Ausgleich. Aber nein, er nimmt den halben Kassensturz von der Vogelgrippe bis hin zum öffentlichen Verkehr mit auf die Bühne. Das machte mich nicht gerade weniger nervös. Ein Interview mit dem nackten Finger der Nation hat man schliesslich nicht jeden Tag und wenn einer zu fragen weiss, dann Ueli Schmezer. Für mich stellte das Interview - sollte es mir gelingen - also sowas wie einen Ritterschlag dar. Lukas, einer der beiden Gitarristen von Vino Tonto, hatte auf der Bühne angeregt, dass sie die einzige Matterlive-Band der Welt seien. Meines Wissens sind Matterlive aber sogar noch mehr, nämlich die einzige Tribute-Band, die es je für einen Schweizer Musiker gab. Ueli Schmezer reagiert überrascht: "Ist das wahr? Das müssen wir uns gleich merken..." Er erwähnt das kürzlich von Zytglogge veröffentlichte Reber-Tribute-Album an, worauf aber verschiedenste Kollegen einen Künstler neu interpretieren.
"Das hätte ja zuerst auch Reber-Rock heissen sollen...", entgegnet Schmezer auf meinen Vergleich mit Matter-Rock, nur so um beim Thema zu bleiben. Matter-Rock habe wiederum Matterlive gar nicht beeinflusst, sagt der Berner, dessen Dialekt dem von Matter erdig nahe ist. "Wir hatten das überhaupt nicht im Sinn und geplant. Es war totaler Zufall. Zu dieser Zeit war gerade der 30ste Todestag Matters und ich half in der Organisation eines Events dazu mit. Das Thema Matter war also irgendwie schon präsent. An ihrer Plattentaufe habe ich die Band entdeckt und dachte: ´mit denen solltest du etwas machen können´. Dann dauerte es eine Weile bis ich auf die Idee ´Matter´ kam. In seinen Liedern swingt es dermassen und musikalisch wäre da mehr drin als er mit seinen sechs Griffen heraus holen konnte. Als jeder von uns mit diesen sechs Griffen herausholen kann. Die drei Musiker, vor allem die beiden Gitarristen, wurden nicht mit Matter gross und konnten es sozusagen jungfräulich angehen, um ein blödes Wort zu brauchen. Darum hörten sie auch ganz andere Dinge darin. Matter-Rock fand ich eine gute Scheibe, wenn auch in der Qualität der Songs sehr unterschiedlich."
Musikalisch steht Matterlive denn dem Original auch deutlich näher als den - auch seit Matter-Rock - gängigen Interpretationen der Lieder. Mit Kontrabass und akustischen Gitarren, dafür ohne Schlagzeug gelingt es den Musikern von Vino Tonto und dem Teilzeit-Troubadouren die wundersame Zerbrechlichkeit der Matterschen Lyrik nicht zu zerstören. Mit Latino-Tanzbeinen unterlegt oder ins bluesende Büsserhemd gezwängt, erstrahlen die "40 Jahre alten Songs von heute" gleichzeitig in altem und neuem Glanz. Schmezer: "Wir wollten einen neuen Charakter geben, aber den existierenden nicht zerstören. Ich kann aber hier jetzt schon philosophieren - wenn ich eine andere Band gehört hätte, wäre ich vermutlich nicht auf diese Idee gekommen. Es ist Gitarrenmusik und wir wollen darin das wecken, was noch drin steckt. Aber so dass Leute, die den ursprünglichen Matter auch noch kannten, es auch noch geniessen können und sich einen Zugang dazu bewahren können. Wir haben zwar ein gemischtes Publikum, aber auch eine Altersklasse, die normalerweise kaum dazu gehört. Damit auch diese Leute Matterlive erleben können, haben wir uns entschieden, nicht allzu weit vom Original weg zu gehen."
Auch für mich und meine Generation ist es eine Möglichkeit, am Mythos Matter zu schnuppern. Ich frage Ueli Schmezer, ob er den oft von Leuten angesprochen werde, die Matter noch auf der Bühne gesehen hatten? - "Ja, es kommen immer wieder Leute, die mir sagen: ´ich habe ihn noch in der Rampe gesehen´ oder die mir Geschichten erzählen und natürlich gibt es immer wieder Songwünsche, Zwischenrufe beim Konzert... ´Dr Ferdinand´ oder ´Dr Hansjakobli u ds Babettli´ oder wie heute Abend ´Dr Sidi Abdel Assar´. Den haben wir noch nicht im Repertoire, kommt aber noch. Wir wollten ja auch einen Mix aus bekannten und weniger bekannten Songs wie beispielsweise ´Nei säget sölle mir´, das eines der schönsten ist. Auch ´Dr Heiwäg´ ist mit drin - diejenigen, die einfach jeder kennt und in der Schule geträllert hat, haben wir dafür ausgelassen. Für den Moment..."
Nebst bekannten und weniger bekannten Liedern gibt es ja auch die eher lustigen und die eher traurigen. Wieviel Raum gibt man dem im Repertoire? Schmezer: "Ich persönlich halte die traurigen Lieder eigentlich für die schönsten und habe sie wahnsinnig gerne. Das gilt ganz generell für die Musik. Ich bin ihm zwar selber zwei, dreimal begegnet, kann aber natürlich nicht über seine Psyche reden. Aber ich denke, es gab solche traurigen Momente, sonst gäbe es auch keine solchen Lieder. Das spürt man zum Beispiel, gerade in der ´Ballade vom Dällebach Kari´. Andererseits ist der Humor sehr wichtig. Kein Schenkelklopfer-Humor, sondern intellektuell, fast analytisch. Es geht dabei wahrscheinlich gar nicht mehr um den Humor, sondern mehr darum zu analysieren, was an einer Situation so komisch ist. Mani Matter hat sich wohl kaum hingesetzt und gesagt: ´Jetzt schreibe ich ein lustiges Lied´, sondern er verstand es, das Lustige aus einer Situation heraus zu kitzeln."
Oder auch die Kunst der Reduktion, wie sie Ueli ´der Knecht´ rühmte, als er "Dene wo´s guet geit" in würziger Kürze und ganz alleine mit der Gitarre vortrug. Wie anspruchsvoll es denn nun sei, Matter Songs originalgetreu vorzutragen, frage ich mit Seitenblick auf die manchmal fast etwas belächelte Musik des ehemaligen Berner Stadtbeamten. - "Gar nicht, alleine ist es überhaupt nicht anspruchsvoll. Es sind zumeist vier, manchmal sechs Griffe und dass ist das, was mal als Normalsterblicher halt noch so kann. Wir haben einfach gesagt, wir wollen alles bieten. Es sind immer sehr intensive Momente und das passt sehr gut."
Eine andere Seite Matters war sein Perfektionismus. Ich stelle den seinem nicht allzu grossen musikalischen Können gegenüber und stelle sozusagen in den Raum, dass Matterlive good ole Mani gefallen hätte. Schmezer meint dazu: "Ich habe keine Ahnung. Eine Frage, die ich mir stellen würde, wäre jedenfalls, ob er das noch lange gemacht hätte, als Troubadour. Ich habe auch von anderen Troubadouren gehört, dass er eigentlich gerne etwas besser hätte spielen wollen. Er hat sogar aus einer Fingerübung zum besseren Spielen ein Lied gemacht, nämlich den ´Diabelli´. Ich denke, er hätte irgendwann mal aufgehört. Wie er auf uns reagiert hätte? Er war ein offener Typ, an allem interessiert... Sehr hypothetisch: Er hätte wohl an Jedem Freude gehabt, der sich ernsthaft mit seiner Musik auseinander gesetzt hätte."