Patent Ochsner: The Rimini Flashdown pt I

Text: Ko:L
Bilder: Cover/patentochsner.ch
Büne Huber ist gut drauf. Auch wenn er schon den ganzen Tag lang Fragen beantwortet hat. Im Halbstundentakt rücken die Journis am Tisch ihm gegenüber nach. „Musst mir nur was kleines hingeben, das Knöpfchen drücken, dann läuft die Maschine ganz alleine“, sagt er. Fragen braucht Büne eigentlich keine. Er stellt sie sich lieber selber. Und macht Songs daraus. „Themen für Songs muss ich zum Glück nicht suchen“, sagt Patent Ochsners Frontmann, „sie liegen herum. Sind meine Kanäle offen, nehme ich die Geschichten auf und verarbeite sie.“ So wie die Idee, einen Song zu Rimini zu machen, zum Teutonengrill. Die Geschichte liegt zwar Jahre zurück, aber sie hat Spuren hinterlassen: „Ich kam in einem Januar in diesen Ort, den ich von Bildern als übervoll mit Menschen kannte. Doch da war alles leer, ich hatte dieses Blickfeld in Richtung menschenleeren Strand, vorbei an zugenagelten Strandhäuschen, und fragte mich. 'Scheisse, war da ein Atomkrieg und ich hab ihn verpasst?'. Aber gleich um die Ecke hatte ein Beizchen geöffnet, der Typ bat uns herein und servierte herrlichen Fisch und Wein. Es war lebhaft und warm. Diese völlig gegensätzlichen Bilder haben sich bei mir eingebrannt und ich wusste: Das setze ich irgendwann musikalisch um.“ Als dann noch dieser Traum, in welchem Büne an einem opulent gedeckten Tisch sass und neben ihm der grosse Fellini, der ihm sagte: „Dein Album sollte 'The Rimini Flashdown' heissen.“
CD-Cover: Patent Ochsner - Ther Rimini Flashdown pt I
Manchmal braucht es wenig, um viel auszulösen. Einen Traum – oder ein Rückblick. „Wir haben das Album komplett analog aufgenommen“, erzählt Büne, „mit alten Bandgeräten und so Zeugs. Irgendwann merkten wir, wie sich der ganze Produktionsprozess extrem entschleunigt; etwa wenn man warten muss, bis die Bänder zurückgespult sind. Wir suchten authentischen Klang, schöne runde Bässe und samtene Höhen, und fanden plötzlich eine ganz neue Gelassenheit.“ Das Leben ist nicht immer planbar. Doch so sehr Büne diese Spontaneität und die Offenheit für die Überraschungen des Lebens zelebriert, so sehr kann er auch planen und hoch pokern. Und traut sich heute sogar, dazu zu stehen. „The Rimini Flashdown“ ist mit dem Zusatz „Part One“ ergänzt. „Es ist mir wichtig, dass ich jetzt sage: Diese CD ist der erste Teil einer Trilogie!“, stellt Büne klar – und begründet, warum er das so deutsch und deutlich sagt: „Nach 'Gmües' musste ich mir immer wieder anhören, 'Ja ja, schon gut, im Nachhinein kannst du schon sagen, die drei Platten seien als Trilogie gedacht.' Aber es ist so: Die ersten drei Platten 'Schlachtplatte', 'Fischer' und 'Gmües' waren von Anfang an als Trilogie konzipiert. Bloss traute ich mich damals noch nicht, das im voraus bei der Veröffentlichung des allerersten Patent Ochser-Albums überhaupt so anzukünden. Heute kann ich sagen: Es gibt drei Rimini Flashdown-CDs. Ob sie auch so heissen, ist noch offen. Aber ich komme nicht drum herum; es ist meine Zukunft.“
Patent Ochsner
Gegen den Eindruck, „The Rimini Flashdown pt I“ sei ein relativ trüber, introvertierter und wenig positiver Auftakt zu einer Trilogie, ein Herbst-Album, wehrt sich Büne energisch: „Fuck, ist das so?!“, sagt er – und beginnt dann aufzuzählen: „'Tiger' ist nicht Herbst. 'Angelina' ok. 'Farfromdasea' ist wirklich nicht trüb; 'Globetrotter' und 'Boca Chica' auch nicht. 'Rimini' ist trüb. 'Schtürchle & Schtogle' ist angetrübt, aber ungeheuer mutig mit der Feststellung: 'Wir stürcheln und stolpern aber hey, wir fallen nicht!'.“ Ok, kein Herbst-Album – aber eines, das einen emotional ambivalenten Eindruck hinterlässt. „Schau, ich bin 46. Ich habe die Midlife-Crisis hinter mir und stehe auf der Sonnenseite des Lebens. Vielleicht kann ich mich deshalb wieder den Schattenseiten des Lebens zuwenden, weil ich den Mut habe, zu sagen, 'Hey, da stehe ich, da bin ich, so ist es.“ Und Büne fährt fort mit seiner Aufzählung: „'Brautstrauss' ist eine Instrumentalnummer einer trunkenen Hochzeitskapelle, 'Happy' ist ein Statement.“ Aber zeugt nicht genau „Happy“ - die Geschichte von einem der sich damit abgefunden hat, happy zu sein und die Ambition, glücklich zu werden, aufgegeben hat – von einer gewissen Resignation dem Leben gegenüber? „Es muss nicht allen so gehen, aber ich glaube, das Leben hinterlässt immer wieder Geschichten, mit denen du zwar umgehen kannst, die du aber nicht wirklich verdaust. Vielleicht hinterlässt das Leben Spuren und Narben und ich werde die unbeschwerte Glücklichkeit aus meiner Kindheit nie mehr erleben – weil ich mehr weiss, weil ich mehr Geschichten mit mir rumschleppe, die mich halt auch tatsächlich bisweilen traurig stimmen. Es ist meine Realität, dass ich aus meinem Leben Narben mitgenommen habe, die mich prägen. Sie schränken nicht mein Handeln ein oder traumatisieren mich. Aber sie prägen mich.“
Patent Ochsner
Dann schlägt Büne gleich selber den Bogen zu 'Chäuer', dem nächsten Song auf der trüben und doch nicht trüben Scheibe, der die Frage stellt, ob man sich wirklich damit zufrieden geben will, im sicheren aber düsteren Keller zu hausen – oder ob die tolle Aussicht, aber dafür exponierte Lage auf dem Dach nicht doch faszinierender wäre. „Ich musste mir auch selber sagen, 'Huber, mit 46 bist du verdammt noch mal nicht am Punkt, an dem du die Hände in den Schoss legen und sagen kannst, geht mich alles nichts an. Du bist ein Teil dieses Lebens und dieses Leben läuft, lass dich bitte schön noch treffen und be-treffen.' Ich will, dass mich etwas aufregt, ich will, dass mich etwas glücklich macht. Ich will, dass mich etwas interessiert.“ Dabei gesteht Büne auch freimütig, dass er nicht immer selber der Antrieb ist, vorwärts zu blicken, zu machen und zu gehen: „Ich habe eine Tochter, die da ist, die ins Leben vorstösst, die es wissen will. Da kommt vieles auf mich zu, das für mich auch neu ist.“ Plötzlich schreibt Büne nicht nur Geschichten aus dem eigenen Leben, sondern betrachtet auch andere.
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Und schon dreht sich das Gespräch um das Leben im 21. Jahrhundert, geprägt von der strikten Dualität, Schwarz und Weiss, Gut und Böse. Die analoge Studio-Romantik, die oben erwähnt ist, ist für Büne ebenso Realität, wie der digitale Alltag. „Wir arbeiteten beim Mischen mit Geräten aus den fünfziger, sechziger Jahren – völlig strange – und haben gleichzeitig topmoderne digitale Gerätschäften. So wird das Ganze nicht doktrinär.“ Genau so wenig, wie die technische Komponente in der Entstehung von „The Rimini Flashdown pt I“ eine klare Richtung vor- oder rückwärts vorgibt, genau so wenig lässt sich die Platte auf der musikalischen Zeitachse von Patent Ochsner einordnen. Würde 'Farfromdasea' perfekt neben den 'Chnocheschlosser' auf 'Fischer' passen, könnten Songs wie 'Tiger' oder 'Chäuer' genauso gut dem letzten Album 'Liebi, Tod u Tüüfu' entsprungen sein. „Das stimmt. Wahrscheinlich werden hier verschiedene Sprachen, welche diese Band schon gesprochen hat, zusammen vermengt. Gleichzeitig sind in einer technischen Retro-Ecke zumindest für mich auch bahnbrechende Neuigkeiten passiert. Und das finde ich extrem spannend.“ So ist aus diesem Mix aus lange Vergangenem und noch zu Kommendem ein Album entstanden, dass am Ende eben doch durch und durch Patent Ochsner ist. Und die Reise führt zurück nach Rimini: „Diese Szene mit dem lebendigen und warmen Restaurant in der fast ruinienhaften Geisterstadt hatte für mich etwas von Aufbruch, etwas Frühlingshaftes, das klar macht: Da gedeiht und wächst es schon wieder.“
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