Peer Seemanns abgefahrene Reise
Text: Monthy
Bilder: Peer Seemann/Trespass
Seemänner konnten dem Ruf des Meeres ja eigentlich noch nie widerstehen. Das bekräftigt nun Peer Seemann mit seinem zweiten Album, bezeichnenderweise "Partenza" genannt. Es sei eine Reise von der Nordsee zum Mittelmeer, lässt der Promotext wissen und ruft damit in mir mehr Fragen hervor denn Klarheit. Wenn nämlich ein Seemann, der italienisch singt, eine Reise von Hamburg nach Genua unternimmt, dann stellt sich die Frage, wieviel das mit Peer ganz persönlich zu tun hat... Peer Seemann: "Schon ein bisschen. Beispielsweise hat mein Urgrossvater in Triest an der Adria ein Kaffehaus betrieben. Der Überlieferung nach sind die Männer damals nur zum Heiraten nach Hause gekommen und gleich wieder nacht Italien abgehauen. Sie haben auch alle italienisch geredet. Das hat dann via Onkel sprachlich auch auf mich abgefärbt. Die Sprache begeleitet mich von jeher. Wie auch die verschiedenen Kulturen - mein Vater stammt denn auch aus Deutschland..." Daher wird er wohl auch seinen "Hansenamen" haben, oder? Peer: "Korrekt, der kommt ursprünglich von Norddeutschland her..."
Etwas ketzerisch frage ich Peer ob denn nun diese Reise eigentlich zur See abgehalten wurde oder über den direkten Landweg. Immerhin finden sich auch Länder wie der Senegal im Zweitlings Werk Seemanns wieder. Er muss kurz überlegen und entscheidet sich dann für die zweite Option: "Eigentlich eine Landreise... und zwar hauptsächlich wegen dem Tessin, wo wir nicht nur viel gespielt haben, sondern auch einige der Geschichten von 'Partenza' von dort stammen. Angefangen bei der stillgelegten Schokoladefabrik im Blenio-Tal, in der ein DJ ganz laute Musik macht und den wirtschaftlichen Niedergang nicht akzeptieren will und damit das halbe Tal wieder zum Leben erweckt." Solche Geschichten finden sich standardgemäss in Seemanns Werk. Daher meine Frage, ob er ein sensibler Mensch sei? - Peer: "Ich denke, ich habe beide Seiten. Einerseits bin ich sensibel, andererseits gibt es auch eine harte Seite - den Kickboxer in mir. Und die brauche ich wohl schon auch..."
Die Frage kommt natürlich nicht von ungefähr. In unserem medialen Überangebot wo jeder sofort über You Tube die neuesten Stories zu glauben kennt, sind Seemanns Geschichten kleine Bijoux und wahre Trouvaillen. Die Frage ist doch, wie man solche Parabeln des Alltags findet - oder wird man von ihnen gefunden? Peer: "Beides... Du musst aus deinem Umfeld raus! Wenn ich hier in Wiedikon ins Coop gehe, dann hat halt jeder, der dort sein Brot einkauft, die Matur gemacht. Gehe ich hingegen schon nur nebenan zum Pakistani wie heute morgen, dann sehe ich dort einen Fisch, mindestens einen Meter lang. Ich habe mir dann überlegt, wie würde ich den schon nur nach Hause bringen? Und wie wollte ich ihn kochen...? Daraus könnte eine Geschichte werden." Es beginnt also meistens damit, dass Peer etwas auffällt. Oder jemand. So wie der Boxer, der sich dazu entschliesst, das Heiligenbild seines Schutzpatrons Padre Pio in seinen Boxhandschuhen zu bewahren - selbst dann noch, wenn er kämpft... Bezeichnenderweise war das in San Giovanni Rotondo. Denn meistens drehen sich Seemanns Geschichten tatsächlich leicht im Kreis, um dann etwa dort aufzuhören, wo sie zuvor begonnen hatten. Auch der "postmoderne" DJ, der einer Fabrik mit seinem Lärm das Leben zurück gibt oder die drei afrikanischen Söhne, die von ihrem Vater aufgeteilt wurden, um dann am Schluss doch alle in Zürich zu landen, schlagen in diese Kerbe.
Ein normaler Erzähler hat eigentlich nur das Wort zur Verfügung, um seine Geschichte zu erzählen. Peer Seemann verfügt zusätzlich auch noch über die Musik. Ich erfrage, ob er quantifizieren könne, wieviel von seinen Geschichten über die Worte und wieviel über die Musik vermittelt wird. Seemann: "Live erzähle ich die Geschichte dazu meist vorher. Daran musste ich lange arbeiten, weil du als Musiker tendenziell nur etwas brummelst vor dem Song. Danach folgt die Musik. Dort würde ich schon sagen, ist das Verhältnis zwischen Text und Musik halb-halb. Wenn ich die Songs schreibe, fange ich aber schon meistens mit den Worten, der Geschichte an." Von Natur aus deckt die Musik ja eher den Rahmen ab. Ist das auch bei Peer so? - "Ja, die Musik transportiert das. Darüber hinaus kann sie aber auch einen Kontakt zwischen Künstler und Publikum schaffen. Du hast bei meinem ersten Album als einer der wenigsten festgestellt, dass ich 'Katz und Maus' mit den Leuten spielen würde. Dazu brauche ich die Musik." War es beim Debut "Vita chiara" noch ein Wechselspiel zwischen Freude und Melancholie, so ist die Reise "Partenza" eher inspiriert/nachdenklich.
Und wo wir schon bei diesem Vergleich sind. Peer Seemann hat eigentlich für sein neues Album die Instrumente gewechselt, aber nicht den Stil. Dieser wurde früher als "Electronica/Ambient" ausgewiesen. Nur hat Seemann für "Partenza" hauptsächlich auf akustische Musikwerkzeuge gesetzt. "Es ist schon irgendwie ein anderes Spielen - viel physischer als vorher. Die Erschaffung von elektronischer Musik ist sehr aufwändig, wenn du alle fünf, sechs Takte anders tönen willst. Bei den Instrumenten kommt eigentlich eh immer ein leicht anderer Klang, wenn du spielst. Dadurch verändert sich auch die Musik immer ein wenig. Ich fand, es lebt so mehr, hat einfach mehr Dynamik." Nun hat ja jeder Erzähler so seine Macken - auch wenn die nicht bei allen so spezifisch sind wie bei "Totemügerli" Franz Hohler oder der Märlitante Trudi Gerster. Was ist die Charakteristik des Erzählers Peer Seemann? - "Das wichtigste bei meinen Geschichten ist wohl schon der Schalk, ein gewisser Humor...", holt er aus und erklärt so wie es am besten geht, nämlich mit einer Geschichte, "...wie beim Käser der sich nicht wie alle anderen dazu entschliesst, in die Stadt zu gehen, sondern im Dorf zu bleiben und schlussendlich mit seinen Produkten so erfolgreich wird, dass er sie en masse in die Stadt 'exportieren' kann. Anstatt selbst zu gehen, schickt er quasi seinen Käse in die Stadt. Solches findet sich in all meinen Geschichten. Wenn ich das nicht hinkriege, dann kann ich auch die Geschichte nicht bringen. Ich habe zum Beispiel schon nachmittage lang in Internet-Cafes gesessen, wo ja auch Telefonkarten verkauft werden. Und dann höre ich den Afrikanern zu, wie sie nach Hause telefonieren. Das ist teilweise sehr traurig, von Leuten die ein halbes Leben lang auf der Flucht sind. Das ist dann zum Teil schon schwer verdaubar und wird kaum von mir verarbeitet."