Phenomden - Von einem der auszog, den Reggae zu lernen

10.7.2012; Text: Monthy, Bilder: Partyguide.ch
Phenomden am Openair Frauenfeld - Bilder Partyguide
Vor dem Interview und nach dem Auftritt im Mekka der nationalen Urban Music stelle ich mit gütiger Mithilfe Dennis' fest, dass es doch schon sechs Jahre her sind, seit unserem letzten persönlichen Aufeinandertreffen. Anders als ich für den die Festivals mit den Jahren nicht mehr wirklich zu unterscheiden sind, hat mein Gesprächspartner sogar noch das Jahr des Auftritts - damals am Open Air Zürich - im Kopf: 2006... In dieser Zeit habe ich dank unserem News-Network immer mal wieder was von Dennis - oder in dem Zusammenhang dann eben von Phenomden - gehört. Besonders interessiert hat mich, wie der Mundart-Act mit jamaikanischer Musik, schliesslich seinen Weg ins gelobte Land gefunden hat. Überrascht waren wir darob eigentlich nicht... "Das war tatsächlich fällik", eröffnet Dennis und entsinnt sich kurz, "Das erste Mal war ich 2008 unten, hatte im Vorfeld auch jemanden aus Jamaika kennengelernt und mit ihr eine Europa-Tournee im Vorprogramm gemacht. Sie spielt übrigens morgen auch hier - Lady Saw... Sie hat mich dann zu sich und ihrem Mann eingeladen und seither bin ich immer wieder gegangen. Einmal war ich ein Jahr am Stück unten, dann wieder vereinzelte Aufenthalte. Momentan ist es so 50/50 - vier Monate hier, dann wieder vier Monate unten."
Nun wird es wohl ein ziemlicher Unterschied sein, ob man Jamaika als Tourist ber
Nun wird es wohl ein ziemlicher Unterschied sein, ob man Jamaika als Tourist bereist oder länger dort bleibt und dementsprechend tiefer eindringt, oder? - Dennis: "Es ist ein Riesen-Unterschied! Ich habe auch deshalb so lange gewartet, weil ich unbedingt jemanden kennen lernen wollte, bevor ich dorthin reise. Ich kenne und liebe die Musik von dort schon so lange, dass ich eben keinen 'Abfuck' erleben wollte. So war's dann genau richtig - ich war in Kingston die meiste Zeit und hatte gute Leute um mich." In seinem letzten Song am Openair Frauenfeld hat Dennis spezifisch auf seine Roots hingewiesen, was bei Reggae-Sängern ja gang und gäbe ist. Ich hake nach, ob die Bedeutung von "Roots", also Wurzeln sich mit dem Besuch von Jamaika wesentlich verändert hat. Dennis zeigt sich erst ein wenig irritiert, aber nur weil der Song eben schon älter ist. "Im Song geht es ja eigentlich darum, dass Roots mehr heisst als wo du herkommst oder deine Familie. Dass es dein Alltag ist, dass womit du dich umgibst, das dann eben zu deinen Wurzeln wird." So gesehen, müsste auch der Begriff seiner Wuzeln mit dem Doppelleben ja erweitert worden sein. "Ja und Nein", windet sich Dennis in meinem Fragengestrick, "Es gibt Dinge, die ich so erfahren habe wie ich es mir vorgestellt hatte - einfach noch geiler weil man es auch wirklich fühlen und nicht nur aus den Lyrics und der Musik heraus interpretieren konnte. Es gab aber auch ein paar eher desillusionierende Dinge."
Phenomden am Openair Frauenfeld - Bilder Partyguide
Nun ist Reggae-Musik ja der Inbegriff von Frieden in der heutigen Musikwelt - Bob Marley und die Mythen von Business-freier Welt lassen grüssen. Gerade die Wuzeln der Musik, der Ska der vierziger Jahre, war aber von den sogenannten "Rudeboys" geprägt und teils wurden eigentliche Bandenkriege musikalisch vorbereitet. Das hat auch Dennis natürlich mitgekriegt und vermittelt mir gerne die Zusammenhänge: "Jamaika ist das Land mit der zweithöchsten Mordrate weltweit. Es hat auch sehr viele Waffen im Land, weil die Amerikaner in den 70er/80er Jahren befürchtet hatten, Jamaika könnte seiner Nähe zu Kuba wegen kommunistisch werden. Diese Waffen sind noch heute im Einsatz und prägen das Bild des anderen Jamaika. Jamaika ist in Bezirken aufgebaut, sogenannten Don-Ships, wo die Dons auch eigene Gesetze anwenden und eine Art eigener Polizei betreiben. Daneben machen sie aber auch viel für die Bevölkerung - Kindergärten, Schulen, medizinische Versorgung - weshalb auch die Bevölkerung eigentlich hinter ihnen steht. Als vor einem Jahr einer der grössten Dons verhaftet wurde, haben sich die Dinge ein bisschen in Bewegung gesetzt."
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Meine Doppelfrage, die ich als geistigen Aufhänger mitgenommen hatte und die ich nun umso mehr stellen will, beantwortet sich damit eigentlich von selbst - jedenfalls der erste Teil: Was schätzt du hier am meisten und was dort? - Dennis wenig überraschend: "Hier schätze ich, dass ich einfach irgendwohin gehen kann, friedlich irgendeine Strasse entlang schlendern kann. Das schätze ich jetzt mehr als früher... Auch dass wir immer zu Essen haben, die Kinder in die Schule schicken können - solche Sachen waren früher total selbstverständlich und heute nicht mehr. Ich finde auch gut, dass die Leute durchaus kritisch betrachten, was man ihnen vorsetzt. Auch wenn das noch ausgeprägter sein dürfte." Dennis muss es ja wissen. Denn seine Texte greifen auch immer wieder sozialkritische Themen auf und geben den Leuten damit überhaupt erst die Chance, sich damit auseinander zu setzen. Den zweiten Teil der Frage unterschlage ich selbst, weil ich das Thema mit Zwischenfragen ausgedehnt habe. Dass Dennis aber das Lebensgefühl auf der Karibikinsel dort ganz besonders schätzt, wage ich einfach mal zu behaupten.
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Seit 2006 hat Dennis, dem man einst nachsagte, er singe nicht richtig und rappe auch nicht recht, besonders am Mikrofon zugelegt. Als ich ihm das offenbare, bedankt er sich artig und bemerkt: "Das ist ein Prozess, der vor zwei, drei Jahren eingesetzt hat. Ich habe gespürt, dass ich mehr singen will. Songs, die einen richtigen Melodieverlauf und eine Hookline haben. Früher bin ich da mehr in meinem Sprechgesang-Schema geblieben. Ich habe in Jamaika viel gesungen und auch Gesangsunterricht genommen. Das andere werde ich aber trotzdem immer auch beibehalten, den Sprechgesang." Auch dafür wirkt Jamaika ja sicher positiv. Denn Reggae ist ja dank Toasting eigentlich auch der Ursprung von Hiphop. "Total...", strahlt Dennis und fügt an, "Jamaika ist für mich ganz allgemein hinsichtlich Songwriting eine enorme Inspiration. Themen, Leute, Sprache und Wortzwitz faszinieren mich. Diese Lebendigkeit ist einfach so ansteckend. Die Leute verstehen es dort, sich trotz vieler Sorgen immer wieder gegenseitig aufzubauen." Dennis als weisser Schweizer wurde übrigens "erstaunlich gut" im "schwarzen" Jamaika aufgenommen. "Überraschenderweise habe ich viele sogenannte Forwards erhalten", plaudert er aus dem Nähkästchen und erklärt, "das heisst, du musst als Musiker wegen Szeneapplaus den Song abbrechen und nochmals anfangen. Als ich an einem Abend auch mal einen englischen Song zum Besten gab habe ich drei Forwards nacheinander erhalten! Und das ist dann schon extremer Zuspruch..." Den gaben ihm auch die Fans in Frauenfeld, die längst bemerkt haben, wie tief Phenomden unter die Haut geht.
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