Semantik: „Strassen-Rap wird nicht akzeptiert“

Interview: Bäumli
Bilder: semantik.ch
Wir sitzen in Wiedikon bei Z Pro im Studio. Gran Purismo nimmt mit Kosimo und BIG S.E. einen Song für sein kommendes Album auf. Bevor Sema seinen Part schreibt und dann gleich recordet, gibt er mir Zeit, mit ihm über sein aktuelles Album "Willkomme Diheime" zu sprechen.
CD-Cover: Semantik - Willkomme Diheime
Was kannst Du mir zu den Beats auf „Willkomme Diheime“ sagen?
Die meisten Beats stammen von Tibner. Beattechnisch ebenfalls auf dem Album vertreten sind DJ D-One, DJ Desperado und Da Mos. Zu TZA gibt’s folgendes zu sagen: Wenn ich bei ihm im Studio bin, hab ich eine derart grosse Auswahl an Beats, das ist schon fast „unanständig“. Wenn man als MC freie Hand bei der Auswahl dieser Beats hat, ist das natürlich Luxus.
Wie war das Zusammenspiel zwischen TZA und Dir? Hast Du ein Rezept, wenn Du textest?
Zum Teil bin ich schon mit Textideen angekommen. Manchmal habe ich einfach ein bestimmtes Gefühl, das mir ein Beat gegeben hat, versucht, auf Papier zu bringen. Wir haben uns zusammen Beats angehört, ab und zu hab ich gleich zum Stift gegriffen und geschrieben, ab und zu habe ich aufgrund bereits geschriebener Raps einen bestimmten Beat dazu ausgewählt. Ich habe kein Rezept, was das Texten anbelangt. Vieles kommt einfach so aus dem Bauch heraus. Was ich auf „GTA“ häufig gemacht habe, ist der „Step-in-Style“. Das heisst, du gehst ins Studio, hörst dir den Beat an, schreibst in einer halben Stunde den Rap dazu und nimmst diesen gleich anschliessend auf, ohne Korrekturen am Text vorzunehmen. Das verleiht der Angelegenheit Frische.
Cool: Semantik
Was gibt es zu den Features zu sagen?
Ich habe erstaunlich wenige Features auf „Willkomme Diheime“, nur Declique, Kevlar von Defstar und Gran Purismo sind Gäste am Mic. Zum Feature mit Declique gibt es anzufügen, dass dies ein Wunsch von mir gewesen ist, weil ich schon lange mit ihnen zusammenarbeite. Wir sind alle Broken Mental. Wir achten darauf, dass wir uns gegenseitig Plattformen bieten. Das Kevlar-Feature war insofern Ehrensache, als dass Defstar die Crew war, mit der alles angefangen hat. „Willkomme Diheime“ ist mein Baby und wahre Klassiker haben sowieso nicht viele Featurings.
Ich werde Dir jetzt ein paar Tracknamen von „Willkomme Diheime“ an den Kopf werfen, in der Hoffnung, dass Du mir etwas zu eben diesen Tracks sagen wirst. Lass uns mit „Suizid Schwiiz“ beginnen.
Es geht um dieses „True Talk Rap-Ding“. Battlerap-Aditude wird mit hartem Delivery gepaart. Das ist die Sema-typische Art des Raps. Zu „Suizid Schwiiz“ muss ich wohl nicht viel sagen. Der Titel spricht für sich. Der Song ist gesellschaftskritisch, es geht um den „Mind-Fuck“ bei und in der Schweiz. Klassen- und Werteunterschiede ist das, was mich am meisten beschäftigt. Es geht darum, die Wahrheit zu sagen. Weisst du, dieses Zelebrieren von Sex, Drugs and Rock’n’Roll ist schon cool, aber die Leute vergessen, dass Rock’n’Roll eben auch Rebellion war.
Weiter im Text mit dem Track „Kids uf de Kurvä“.
Strassen-Rap ist in der Schweiz nicht akzeptiert. Die Leute sagen, es sei nicht echt. Ich kann nur so viel dazu sagen: Ich weiss, von was ich rede, ich erzähle keinen Schwachsinn, wenn ich rape, ich erzähle vom Leben hier. Es gibt bei uns in der heilen „sauberen“ Schweiz schwerwiegende Drogenprobleme und Kriminalität. Ich represente dies bis zu einem gewissen Grad, verherrliche solche Dinge aber nicht, ich reflektiere, was ich sehe. Entweder sehen die Leute das ein oder eben nicht.
Und was gibt’s zum Titeltrack „Willkomme Diheime“ zu sagen?
„Willkomme Diheime“ ist ein sehr spezieller Song, ich kann fast nichts sagen dazu. Der Track ist poetisch. Die Jungs vom Block haben mir gesagt, dass sie nicht wirklich verstehen, was ich mit dem Track sagen will. „Willkomme Diheime“ ist verschachtelt und lässt viel Spielraum für Interpretationen offen. Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters.
Zu guter letzt wenden wir uns noch dem letzten Track des Albums zu. Was kannst Du mir über „Fühl di guet“ sagen?
„Fühl di guet“ war für mich der passende Abschluss für „Willkomme Diheime“, weil es der persönlichste Song von allen ist. Ich bin aufgewachsen in den Plattenbauten von Adlikon bei Regensdorf und habe dort meine ziemlich verrückte Teenager-Jugend verbracht. Der Song ist ein Gruss an all die Leute aus dieser Zeit. Mit „Fühl di guet“ wollte ich sagen: Hey Leute, auch wenn wir uns lange nicht gesehen haben, ihr bleibt ein Teil von mir. Und ich hoffe, dass jeder dieser Jungs, der diesen Song hört, wenigsten für diese fünf Minuten fühlt, was wir damals gefühlt haben, was wir damals hatten.
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Wie sieht es aus bezüglich Erfolgschancen und Erwartungen an Dein Album?
Ich habe die Erwartung, sicher Break-Even zu gehen, das heisst, ich will, dass meine Auslagen für „Willkomme Diheime“ gedeckt sind. Ich habe die Hoffnung, dass ich sogar ein wenig was einnehme mit den Verkäufen. Konzerte zu geben, ist aber die sicherere Einnahmequelle. Ich wäre glücklich, mit einer Top 100 Chartsplatzierung mit dem Album. Allzu grosse Hoffnung diesbezüglich hege ich aber keine, da man es als Artist auf einem Indie-Label doch sehr schwer hat, was die Promo betrifft. Was heisst hier Indie-Label. Ich bin das Label! (lacht) In der Hip Hop-Szene selber bin ich schon Gesprächsthema, man schätzt mich und meine Musik, man hatet mich auch ein wenig. Aber das ist okay so, denn das zeigt mir, dass ich gewisse Dinge richtig mache.
Geht es um die Erfolgschancen eines einheimischen Acts, spielen die Medien eine entscheidende Rolle.
Es gibt ein Schlagwort: Es gibt nichts schlimmeres, als wenn die Medien schweigen. Ich habe ein Story-Angebot von einer Wochenzeitung bekommen. Aber für Promo-Stunts bin ich nicht zu haben. Ich finde, dass dies nichts mit Hip Hop zu tun hat, denn Hip Hop ist die Musiksparte, die für ihre Unabhängigkeit steht. In der Zeitung muss nicht stehen, dass mein Zimmer nicht aufgeräumt ist, das interessiert keine Sau, mein Zimmer hat auch keine Sau zu interessieren. An Medien heranzukommen ist immer ein Abwägen, wie sehr man sich darum bemüht, Druck macht und sagt, komm mach was. Man muss die Bereitschaft haben, mit den Medien zu reden. Aber wenn die Medien schweigen, weil sie lieber darüber berichten, dass Paris Hilton in den Knast muss, weil sie besoffen Auto gefahren ist, dann sollen sie eben über diesen Scheiss schreiben. Das ist ein Armutszeugnis für die Medien, nicht für mich.
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Ich habe in der Pendlerzeitung 20 Minuten ein kleines Interview mit Dir gelesen, in dem Du folgendes gesagt hast: „Ich fühle mich ohnehin falsch verstanden, wenn man mich in die Gangster-Rap-Ecke drückt.“
Ja, ich fühle mich falsch verstanden, wenn man mich in die Gangster-Rap-Ecke drückt. Dies hat einen einfachen Grund: Keiner dieser Leute, die so was behaupten, haben eine Ahnung davon, was Gangster-Rap ist. Gangster-Rap checkt nur jemand, der sich mit Hip Hop auseinander setzt. Dasselbe gilt für Battle-Rap. Jemand, der das MC-Ding und was dahinter steht nicht kennt, der kann einen Battle-Text nicht richtig interpretieren. Grandfathers of Gangster-Rap, NWA, die machen eben die Gangster-Mukke. Aber hey, habt ihr mal genau hingehört und verstanden, was die Jungs eigentlich erzählen? Diese Texte haben Aussage, Concious Rap, einfach mit einem rohen Wortschatz. Die Leute verstehen mich nicht besser, wenn sie mich schubladisieren. Sie verstehen mich besser, wenn sie mit offenem Herz und offenen Ohren meine Musik hören.
In diesem 20 Minuten-Interview bin ich auch auf folgende Aussage von Dir gestossen: „Strassen-Rap ist wie Politik, ziemlich kriminell.“
Ja genau, Strassen-Rap ist wie Politik, ziemlich kriminell. Politik ist Gangsta. Das steckt in der ganzen Dialektik der Politiker. Positiv-Negativ-Resignierendes Spannungsfeld, das ist der Christliche Dualismuss. Ich sage eines und Gott ist mein Zeuge: Jedes grosse Reich in der Geschichte hat sein Ende gefunden, ob jetzt die Römer oder sonst irgendjemand. Aussenpolitik, die auf Krieg basiert, funktioniert auf lange Sicht nicht. Amen.
Die Plattentaufe für "Willkomme Diheime" wird am Samstag den 28.07. im Moods im Schiffbau in Zürich über die Bühne gehen. Sema wird auf der Bühne von seiner BM-Crew Unterstützung erhalten. Ebenfalls live on stage werden Tomy Vercetti & Dezmond Dez sowie das TripleNine-Kollektiv sein. Zürich-Bern-Basel connect!
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