Sina schwört auf Kontinuität, Büne und "Wallisserdiitsch"

24.2.2011; Text: Monthy, Bilder: Sina
Wenn man aufs Cover der neuen Sina-Scheibe "Ich schwöru" schaut, kommt man sich vielleicht ein bisschen vor wie im Kino bei Benjamin Button. Das ist der von Brad Pitt gespielte als alter Mann auf die Welt gekommene und immer jünger werdende Typ aus dem gleichnamigen Kinofilm. Bei Sina liegt es aber ganz sicher nicht an einer seltenen Krankheit. Schon eher an der Frisur, die auf dem vorderen Album für meinen Geschmack etwas streng war. Heute strahlt die schöne Wallisserin in jugendlichem Glanz. Sina's neues Album ist "wie ein Lieblingstape für die besten Freunde", wie mir das Factsheet schon vorab verrät. Ganz besonders kann man diese Aussage an den Radiosongs aufhängen, die sich früher doch merklich von Sina's Lieblingssongs unterschieden. Meine erste Frage bezieht sich denn auch darauf. Der konkrete Vergleich ist jener von "Propeller" ab dem Frühwerk "Marzipan" verglichen mit einem der Songs von "Ich schwöru", der sich in meinen Ohren durchaus fürs Radio eignen würde. Denn auch "Bonbons" beinhaltet diese kompromisslose Fröhlichkeit, die man von Sina schon immer via Äther serviert erhalten hatte. Der grosse Unterschied - auch wenn er eigentlich ein feiner ist - liegt in der Musik des Songs. Pop ist das allemal immer noch, aber irgendwie etwas tiefgründiger, etwas niveauvoller gestaltet, woran auf dem ganzen Album Streicher und Bläser massgeblichen Anteil haben. Sina selbst steht quasi über meinen Überlegungen. "So spannend ich diese Interpretationen finde", eröffnet sie bestimmt und doch charmant, "mache ich dabei selbst nicht mit. Ich mache einfach Lieder, die mir am Schluss gefallen oder mich berühren - oder eben nicht. Mehr ist da gar nicht. Was die Leute rundherum damit anfangen, ist zwar höchst spannend, hat aber mit der Entwicklung des Songs eigentlich nichts zu tun." Mir scheint aber schon, dass sich das Endprodukt Sina laufend verfeinert. Oder hängt dies vielleicht mehr an der Kontinuität im Produzententeam? - Sina: "Thomas Fessler ist ja schon seit 17 Jahren mein Produzent. Pelle Loriano ist diesmal zum zweiten Mal dabei und Markus Kühne begleitet das Ganze auch schon bald 15 Jahre in irgendeiner Form. Ich denke, je länger man auf diesem Planeten weilt, desto intensiver ist auch die Auseinandersetzung mit der Sache. Gott sei Dank hat es heute mehr Tiefe, hat sich etwas entwickelt, seit ich mit 27 Jahren angefangen habe. Und zum Glück muss ich heute 'Propeller' nicht mehr singen - lieber 'Bonbons'..."
Wie der Ton so das Bild - alles ist feiner und sanfter geworden bei Sina
Will man bekannt werden, kommt aber eben kaum um gewisse Dinge wie Chart-fähige Songs herum. Gehören nun trotzdem alle Songs ganz zu Sina oder gibt es da den einen oder anderen, den sie heute lieber verschweigen würde? - Sina denkt sichtbar nach und fragt fast rhetorisch: "Welchen musste ich wohl machen...?" Ich werfe ohne wirkliche Überzeugung den Song des Durchbruchs ein, "Dr Sohn vom Pfarrer"... Sina: "Den musste ich überhaupt nicht machen. Das ist so ein super Song - leider nicht von mir - der mir nie zuviel wurde.Und den ich bis heute in mannigfaltigsten Ausführungen präsentiert habe und immer noch gerne darbringe. Er passt halt einfach ganz enorm gut in meine Wallisser-Welt. Weil die Love-Story eigentlich eben nicht sein darf. Der Song war für mich ein Glücksstart ins Musikgeschäft. Der erste Song überhaupt, mit dem ich mich bei einer Plattenfirma vorgestellt habe, war übrigens 'Hei, chum hei' - eine Eigenkomposition mit allen Wünschen, Erwartungen und Gefühlen, die ein 27jähriges Mädchen so hat. Auch den habe ich immer extrem gerne gespielt. Überhaupt musste ich eben nie müssen!" Eigentlich weiss man aber bei Sina im ersten Moment nie so genau, ob nun der ganze Song von Sina selbst stammt oder nur der Text - oder ob sie eigentlich einen Song von jemand anderem singt. Klar bietet das Booklet Transparenz in dieser Hinsicht. Trotzdem baut das ganze Gebäude Sina auf mehreren Pfeilern. Spielt das für Sina eine Rolle, ob der Song von ihr selbst oder von jemand anderem ist? Oder ist das nur ganz am Anfang eine Problemstellung? - "Eigentlich ist es gerade umgekehrt", lächelt Sina und lässt meine Theorien zusammen fallen wie ein Kartenhaus, "Leute die für mich schreiben, wissen genau, welche Thematik mich interessiert. Ich selbst bin Vokalisitin, arbeite an meiner Stimme und versuche mich in der Hinsicht weiter zu entwickeln. Wie ein Sportler der im Kraftraum Muskelmasse aufbaut. Alles rund um mich sind Profis, die mich unterstützen." Es kann also durchaus sein, dass sich Sina in den "fremden" Songs fast heimischer fühlt. "Die Kompositionen sind allerdings ein Gemeinschaftswerk und werden normalerweise im Studio zusammen erarbeitet. Da gibt es also keine Demos von anderen, auf deren Basis wir dann weiter arbeiten. Die Melodien kommen meistens von mir, fast zu hundert Prozent. Bei den Texten liefere ich dagegen eher Ideen, die ich dann meinen Songschreiber-Freundinnen vermittle und ihnen erkläre, wie ich es mir so vorstelle. Die schreiben dann etwas darüber. Das geht seit fast zehn Jahren so. Ich kann meinem eigenen Anspruch literarisch nicht wirklich genügen. Und weil ich nicht so gut bin, wie ich sein möchte, gebe ich das jemandem, der es besser kann. Aber es sind alles Themen, die ich selbst in die Runde werfe." Beispiele auf dem neuen Album, die Sina während ihrer frappant offenen Aussage erwähnt, sind "Parfum", "Nit cool enough" oder das Single-Duett "Ich schwöru" mit Büne Huber.
Sina's neue - das Single Cover
Natürlich läuft aber nicht immer alles so reibungslos ab, wie hier kurz umrissen. So kommt es logischerweise auch vor, dass Sina einzelne Textpassagen beanstandet oder gar zurückweist. Sina: "Dass ist ein Prozess. Da wir hin- und hergeschoben, verfeinert und von mir angepasst, insbesondere was den Dialekt angeht. Bei 'Nit cool enough' fehlt so beispielsweise eine Strophe, dafür habe ich den Refrain umgeschrieben.Ganz selten passiert es aber auch - wie bei 'Ich schwöru' - dass ein Text und eine Melodie von aller Anfang an perfekt zueinander passen. Ich habe daran nur etwa drei Worte geändert." Schön dass Sina den Song erwähnt. Mir selbst fiel daran vor allem eines auf, wobei ich ein wenig ausholen muss. Seit ihrem Bekanntwerden ist Wallisserdeutch in der Schweizer Musikszene Sina - und Sina ist Wallisserdeutsch. Das propagiert sie unter anderem, indem sie ein Wallisserdiitsch - Schweizerdeutsch Wörterbuch ins Booklet einbaut. Als Berner liegt mir der Dialekt irgendwie nahe. Über den aktuellen Titel allerdings stolpere auch ich ein wenig. Berndeutsch wäre das Endungs "-u" so ein Laut zwischen e und ä, für den es in unserem Alphabet gar kein Schriftzeichen gibt. Bei "Ich schwöru" ist das -u denn auch praktisch stumm. Und wenn man Sina und Büne so zuhört, dann ist der sprachliche Unterschied doch eher klein. "Aber ER singt 'ich schwöre'..." wehrt sie sich gegen meine Empfindung und singt mir die feinen Unterschiede im Bahnhof Stadelhofen vor, wo wir unser Interview fast öffentlich abhalten. "Es ist schon nicht betont... Ich habe bei dem Song aber eigentlich nur einen Kompromiss gemacht - in der letzten Zeile, als wir im Zweiklang singen, ist etwas nicht aufgegangen. Ich habe mich da aber gefügt und singe ganz kurz Berndeutsch." Eine weitere Frage, die ich im Zusammenhang mit der Sprache schon länger mit mir herumtrage, ist folgende: Spielt das Wallisserdeutsch und seine starken Worte schon relativ früh im Prozess eine Rolle? Achtet Sina gar darauf, dieses oder jenes tolle Wort explizit in einen Song einfliessen zu lassen? Sina ist zwar noch ein bisschen bei Büne und meiner letzten Frage, die Antwort ist aber trotzdem interessant. "Ich weiss gar nicht, warum das mit Berndeutsch so gut zusammen geht. Mit einem Freiburger wie Gustav hätte ich wohl mehr Sprachprobelme. Wörter suche ich eigentlich nur, wenn welche fehlen...", antwortet Sina dann auch noch kurz auf meine Frage bezogen, kehrt aber sogleich wieder zum "Schwöru" zurück, "Dieser Text stammt aus dem Hochdeutschen und wurde fast 1 : 1 übersetzt, von mir ins Wallisserdeutsch und von Büne ins Berndeutsche. Der Song hat sich so organisch und ohne Geknorze ergeben... - und glaub mir, ich kenne es auch anders..."
Sina kann im Gespräch genauso hübsch lächeln wie im Fotostudio
Der Song steht nicht zu Unrecht im Fokus und bedeutet Sina wohl ziemlich viel im Ensemble der 12 aktuellen Songs. Wenn man aber ein bisschen weiter hört und sich auch mit Patent Ochsner ein wenig auskennt, fragt man sich ob Büne noch mehr beigetragen hat, als "Ich schwöru". Die Instrumentierung im Song "Giburtstag" bringt diese Frische mit, die ich seit dem Ochsner-Durchbruch mittels "Schlachtplatte" kaum mehr je gehört habe. "Das freut mich und nehme das Feedback gerne entgegen...", lacht Sina, offenbar echt geschmeichelt von meiner nicht spezifisch als Kompliment gemeinten Feststellung. "Hintergrund sind wohl fast eher die Projekte, die während den letzten Jahren so nebenbei gelaufen sind", rückt Sina den Fokus zurecht und spielt dabei beispielsweise auf das Swiss Jazz Orchestra oder die befreundete Nosil Brass Band an. Deren "trümliges Ostblock-Gefüge" stampfe und mache einfach gute Laune drückt es Sina bildlich perfekt aus und setzt gleich noch einen drauf: "Die Idee dahinter war eigentlich: Eines saufen und noch lauter singen - dann tut das Älter-Werden nicht so weh..." Die gutgelaunten Songs des Albums bauen zum Beispiel auf diesem Brass-Band-Effekt auf. Oder bieten ein bisschen Varieté-Style. Bei den nachdenklicheren sorgen Streicher und Bläser für die Sensibilität, die Sina's Stimme fast in Watte packen. "Melancholie und Fröhlichkeit - das bin ich...", sinniert sie und erklärt weiter, "was ich gar nicht wollte, war irgendein Konzeptalbum abliefern und dann erklären, wieso dieses und jenes nun so tönt wie es tönt. Die Konstanten auf diesem Album sind eigentlich nur meine Stimme und meine Sprache. Das hat mir diesmal auch gereicht. Das ursprüngliche Demo gilt es möglichst lange zu behalten. Nur ja nicht den ersten Ideen nachgeben, sondern dem widerstehen und mit der Zeit dann mal überlegen, was diesem Song noch gut stehen könnte. So haben sich auch die Streicher ergeben." Wobei diese Spuren dann wiederum jemandem ganz besonders zu verdanken sind. "Phillip Henzi vom Swiss Jazz Orchestra, den ich für einen richtigen Arrangeur halte, hat richtige Partituren geschrieben für die Songs. Das war ein ziemlicher Brocken im Studio. Jede Note war festgeschrieben. Und von hier aus betrachtet, verleiht das dem Album tatsächlich sehr schillernde und schöne Farben."
Startbild des aktuellen Videos von Sina und Büne
Das hört man bereits mit dem ersten Ton, einem fast dramatischen Kontrabass plus Trommelwirbel, der "Ha gmeint" einleitet. In dem Song setzt sich Sina damit auseinander, dass die Welt auf niemanden wartet. Das ist ohne Frage Popmusik. Und doch schwingt in dem Wort auch immer eine gewisse Geringschätzung mit. Pop ist in erster Linie Hitparade, konzipierte Retorte usw. Bei Sina ist einfach das musikalische Niveau enorm hoch, fast schon in den Sphären klassischer Musik. Und auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: "Ich schwöru" ist von meinem Bauchgefühl her einfach näher bei Sina als viele seiner Vorgänger. "Ich bin froh, so etwas einmal von einem Journalisten zu hören", adelt mich Sina und fordert meinen Widerspruch heraus. "Eigentlich bin ich ja ein Blogger", wage ich eine Korrektur und treffe damit einen Punkt. "Dann sind es eben die Journalisten, die immer noch an den ursprünglichen Attributen hängen - Rocksängerin mit Löwenmähne, Mundart-Sängerin... Dabei bin ich mittlerweile eigentlich meilenweit davon entfernt." Weil wir irgendwann, es sind schon bald 15 Minuten Gespräch auf dem Diktiergerät, dann doch wieder aufhören müssen, habe ich mir eine Schlussfrage zurecht gelegt. Beantworten können die nur Künstler, die schon ein paar Alben veröffentlicht haben - Wird es mit der Zeit eigentlich immer schwieriger, neue Songs zu schreiben oder erwarten die Leute eh einfach nur etwas Neues von Sina und ist es deswegen fast einfacher? - Sina: "Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass den Leuten am meisten gedient wäre, wenn sie einfach die Schublade aufmachen könnten und immer ein Pfarrersohn oder Propeller heraus käme. Aber die interessieren mich nicht." - Den folgenden Satz muss ich nun einfach in Dialekt schreiben - "Ich will guslu (oder -ä, oder -e...), ich hocku dri und will wisse was da no isch - da inne na..." sie hält die Hand aufs Herz und holt aus zum abschliessenden Wort: "Darum machi Müsig - nid für Kopie vo mir azfertigu..." - Wenn das mal nicht mehr funktioniere, suche sie sich einen Bürojob - oder komme zu Trespass bloggen. Und spätestens jetzt strahlen meine Augen genauso hell wie ihre.
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