Sina's AllTag
Text/Bilder: MonthyChristo
"Alltag ist für mich ein Sonntagswort", dreht mir Sina auf meine freche Frage ebendiese gekonnt im Mund um. In bezug auf ihr neues Album AllTag wollte ich von der Wallisserin wissen, ob sie es denn so genannt habe, weil der Nachfolger eines erfolgreichen Werkes - das festtägliche Marzipan - in der Schweiz fast zwangsmässig kritisiert werde? Sina schmunzelt: "Eigentlich heisst es ja ´jeder Tag´ und jeder Tag hat wieder neue Facetten zu bieten. Von den blauen Flecken, die man abkriegt, den Seifenblasen und rosaroten Wolken, die herumschweben, hat es viel in AllTag drin". Die neue Scheibe bringt den Sina-typischen Mix von "kleinen Wundern und auch ein paar Dramen" nach drei Jahren zurück. Ich stelle in den Raum, übrigens die Mühle Hunziken in Rubigen, dass Sina´s Alltag ja auch nicht der repräsentativste wäre, um daraus zu berichten... Sie kontert charmant. "Wahrscheinich einer der Interessantesten... Die Leute wollen immer wissen, wie so ein Musikerleben ist. Was wir machen und ob wir wirklich immer bis Mittag schlafen und in die Nacht hinein leben...", nimmt Sina meine versteckte Frage auf. Ich bestätige. Ja das tun sie, die Musiker. "Sie brauchen - jedenfalls in meinem Fall - einfach acht Stunden Schlaf", präzisiert Sina.
Die Auswahl eines Albumtitels ist schwieriger als man denkt. Ist Sina eher der konzeptionelle oder der Last-Minute-Typ? "Das ist für mich etwas vom schwierigsten. Es ist für mich wichtig, ein Wort zu haben, welches zum Soundtrack passt. Auch dieses Mal wars wieder dasselbe, ein Hin und Her, bis wir uns kurz vor der Pressung zu AllTag durchringen konnten." ´Lady Mundart´ kommt zu diesen Ausführungen in Fahrt, was dann in sympatischem Originalton etwa so tönt: "Was ich eis liidu bis ich en Name gfundä ha..." Zu den Songs sagt Sina: "Es sind Songs aus den letzten drei Jahren, in denen ich einfach mit offenen Augen durchs Leben gegangen bin. Zum Teil haben die Lieder auch mit mir zu tun, "Warum" ist zum Beispiel eine wahre Geschichte. Und dann hat´s da auch diese Geschichten aus dem Tram. Also wenn du ein Pärchen Hand in Hand siehst und fünf Minuten später, wenn du sie wiedersiehst, liegen sie sich in den Haaren." Was das für Geschichten sind, die das Leben schreibt, will Sina auf AllTag wissen. "Da spielt aber dann auch immer viel Fantasie und Interpretation hinein", erklärt die Wallisserin wie sie den Blick auf den Alltag ihrer Umwelt richtet. Die Texte sind heute etwas weniger pointiert und war Marzipan himmelhochjauchzend - zutodebetrübt, schwebt auf AllTag auch Mitgefühl mit. "Weil ich eher ein Mensch des Tons und weniger des Wortes bin, habe ich mir auch die entsprechenden Leute zum Texten geholt. Ralf und Sybille konnten auf Basis meiner Ideen frei drauflostexten und was zurück kam, hat mir sehr gepasst", teilt Sina die Blumen mit ihrem Team. Mit Sibille Rauch arbeitet sie schon länger zusammen, Ralf Schlatter kommt vom Poetry-Slam "und weiss also, wann Worte grooven." Auch bei "Du seisch", Sina´s Duettt mit Plüsch-Ritschi, hatte letzerer seine Feder im Spiel. "Der Song war zuerst nur für mich gedacht. Das Duett kam zustande, nachdem ich Ritschi im Studio traf. Ich als Sängerin - er als Schreiner..." verrät Sina
Dass Sina Fremdtexte verarbeitet hat seit dem ´Pfarrerssohn´ oder seit dem Papa, der ein ´Chorbi´ war Tradition. Immer wieder singt sie zudem französische Chansons und mit "Aber zärtlech bisch du nid" auf Marzipan auch eine Tucholsky-Adaption aus dem Hochdeutschen. Beim Soundcheck erinnert sie mich: "D Sunne schinnt nümm, wenn är geit", aber erstens schneit es ja und zweitens will ich das gar nicht. Ich kann zwar nicht zum Gig bleiben, übrigens dem zweiten von Sina in der Mühle an diesem Wochenende und zum zweiten Mal ausverkauft, aber die einstünige Privatvorstellung inklusive Einüben eines neuen Duett-Teiles mit Ritschi vor dem Gespräch gibt mir interessante Einblicke in Sina´s Alltag. Auf das Covern angesprochen, meint sie: "Polo hat mir standardgemäss wieder einige Tips gegeben, was ich sehr schätze. Aber wir hatten diesmal so viel Material aus der eigenen Küche, dass ich gerne darauf verzichtet habe. Und bei zwölf Songs plus Bonustrack ist ja auch mal genug..." Beim Wort Bonustrack kommt Sina ins Ueberlegen: "Der dreizehnte Song entstand auf Basis eines Textes von Jack Brautigan, einem leider zu jung verstorbenen einglischen Autor mit wunderbar schwarzem Humor. Er hat als Beschreibung fürs älter Werden statt Falten und so gesagt: Meine Nase wird alt." Das "halbe Cover" bestätigt einmal mehr, dass Sina wie sie selbst sagt "nicht immer der Chef sein muss. Wenn jemand etwas besser kann, herzlich willkommen. Was zählt ist am Schluss das Resultat. Ich bin nicht so das Alpha-Tierchen, eher jemand, der mal eine Idee hat und gerne mitmacht."
Die Sichtweise von AllTag ist irgendwie emotional intelligent. Ich frage Sina, ob man sie in den vielleicht alltäglicheren aber deswegen nicht weniger attraktiven Songs mehr suchen müsse als auf Marzipan. "Es ist noch lustig, die Leute sagen mir, dass sie mich mehr spüren denn je, zum Beispiel im Song "Fisch", der auch musikalisch aus meiner Küche stammt." Sina hat sich ein Musikprogramm installiert und kann jetzt zuhause hantieren, "und das geht recht gut. Eine Gitarre, die ich einspiele, wie ein Saxophon ertönen zu lassen, ist heute ja nur noch ein technisches Problem. So kann ich Arrangements entwickeln, die zwar rudimentär sind, aber mich doch inrgendwohin führen. Ich mache so auch Sachen, die ich sonst nicht machen würde oder Sachen, bei denen ich mich zu sehr von anderen beeinflussen liesse." Musikalisch schliesst AllTag fast nahtlos an seinen Vorgänger an, wobei das Pop-Bett Sina und Band immer wieder und songweise Ausflüge in einzelne Musikrichtungen erlaubt. Beim Soundcheck bringt Sina eine Salsa-Einlage, die CD zeigt auch jazzige Seiten und der Sound ist frisch und weltoffen. "Es ist ja so, dass ich am Anfang mit dem ´Pfarrerssohn´ in den Charts war, ohne einen Band zu haben. Die Schmetterband, Züri West oder Patent Ochsner wurden immer als Gremium, als Band wahrgenommen. Bei mir war das anders, ich war immer der zu begleitende Solo-Act. Trotzdem feiert Orlando Ribar jetzt auch schon das zehnjährige Bandjubiläum und ich glaube, dass es immer eine musikalische Weiterentwicklung gab." Sina´s Arbeit in verschiedenen Projekten war mit ein Grund dafür, dass die neue Scheibe etwas auf sich warten liess, aber die Begegnungen, die sie in dieser Zeit hatte, bereichern AllTag. "Die meisten Zusammenarbeiten kommen bei mir durch Begegnungen zustande. Dass ich eine CD höre, denke: ´der spielt jetzt gut, den rufe ich mal an´ kommt eigentlich nicht vor", sagt Sina Campbell, wie sie sich ursprünglich in Anspielung auf ihre Heimat genannt hatte und gibt damit den Hinweis auf kommenden August. Am OpenAir Gampel werden Sina und Trespass.ch ausführlich am Radio talken. Eine Probe von AllTag und Monthys Eindrücke von der Begegnung gibts schon in unserer Sendung vom 21.3.05, 20 - 22 Uhr Livestream / Radio Emme