Night of the Guitars – die Nacht der Puristen
Text: Ko:L
Bilder: Debi
Normalerweise findet die Messe am Sonntag zwischen halb zehn und halb elf Stadt. Nicht so in Bern, wenn die Priester Perica, Müller, Fankhauser, Vergeat, Glanzmann, Meyer, von Arb und wie sie alle heissen, rufen um den heiligen Sechs-, oder Siebenfaltigkeiten des Rock´n´Roll zu huldigen: Ibanez, Les Paul, Fender, Gibson und so fort heissen die Götter, die im Bierhübeli geehrt wurden. Oder waren es Göttinnen, um deren Willen gegen neunhundert Leute am 4. März ins Bierhübeli strömten, an die Night of the Guitars? Blueser Philipp Fankhauser meinte jedenfalls nach der Show, „Die Gitarre ist ein extrem erotisches Instrument und hat wahnsinnig viel Sex!“ Nun – dann muss das, was dem Publikum vorher während drei Stunden geboten wurde, eine einzige GangBang gewesen sein – spätestens beim Finale, als die 14 wohl grössten Gitarristen der Schweiz gemeinsam auf der Bühne standen und Frank Zappas „My Guitar wants to kill your mama“ zelebrierten.
Zeremonienmeister in dieser Prozession durch nahezu siebzig Jahre Rockgeschichte war kein geringerer als Zlatko „Slädu“ Perica. Er ist vielleicht nicht der filigranste Gitarrist der Schweiz, aber definitiv einer der versiertesten und ganz sicher der angesagteste. Mit Gölä hat er Geschichte geschrieben; DJ Bobo hat er gelehrt, dass Unterhaltungsmusik mit einer Live-Band enorm viel gewinnen kann und mit Flöru Ast ist Slädu derzeit dabei, neue Höhen zu erklimmen. Seine Engagements im Ausland übersehen wir jetzt mal geflissentlich, wollen aber doch noch darauf hinweisen, dass er unter anderem zusammen mit HP Brüggemann, Peter Keiser und Dänu Küffer jeden Montag dafür sorgt, dass bei Black´n´Blond wenigstens ein bisschen echt gerockt wird... Item. Im Rahmen der Ausstellung „Stromgitarren. Legenden. Lärm. Leidendschaft“ konnte Slädu eine Night of the Guitars auf die Beine stellen – ein Trip durch die Geschichte der elektrischen Gitarre von T-Bone Walker bis Joe Satriani und Weezer. Die Nacht der Gitarren wurde zu einer Nacht der Puristen.
Schöre Müller, Philipp Fankhauser, Ray Wilko, Toni Vescoli, Päddi Geser, Duncan James, „El Capitan“ Capitanio, Marcel Aeby, Vic Vergeat, Peter Glanzmann, Mandy Meyer, Maury Pozzi, Fernando von Arb: Das sind die 13 Schweizer Gitarristen, die das Publikum zusammen mit Slädu auf diese einmalige Reise mitnahmen, Gee-K und Rockröhre Marc Storace sorgten neben Capitanio, Wilko, Vescoli, Fankhauser und Aeby für die Vocals; HP Brüggemann, Orlando Ribar und Peter Keiser waren für den Boden zuständig. Und so nach und nach dürfte auch dem Letzten klar werden, welch eine Packung Schweizer Musikgeschichte an diesem 4. März anno domini 2006 im Bierhübeli auf der Bühne gestanden hat. Die Nacht der Gitarren wurde zu einer Nacht der Schweizer Rockgrössen – auch wenn „HongKong“ aus Toni Vescolis Feder und die legendären „Tokio Nights“ und „Bedside Radio“ von Krokus die einzigen Schweizer Songs waren, die es in die mehr als 30 Songs umfassende Setlist geschafft hatten.
Und so kamen sie auf die Bühne, einer nach dem anderen, mal allein und dann wieder zu viert und liesen sie heulen und schreien und weinen und singen und brummen und wummern und juchzen und jaulen und krachen und lachen und schnarren und schnurren und sägen und jagen – sie holten all diese Klänge aus ihnen hinaus, die man nur aus einer Gitarren holen kann. Kein Sampler, kein Keyboard, keine digitale Soundmaschine überhaupt kann so unbeschwert zwischen reinstem, erdigstem Krach und Lärm à la Sex Pistols und wahren Symphonien à la Satriani hin- und herswitchen, kein anderes Instrument als die Gitarre ist es, die Dream Theater zu dem macht, was es ist: Der modernen Form symphonischer Musik – höllisch laut und himmlisch leise vereint in wilden Tracks, die keine andere Aufgabe haben, als es schon Mozarts Werke hatten: Den Zeitgeist aufnehmen und zum klingen bringen.
Es erstaunt nicht, dass nach der Show alle hin und weg waren: Unten im Publikum strahlte sogar die Blondine, die eigentliche Sir Collins´ Hitparaden-House hätte hören wollen, aber von der älteren Schwester zur Geschichtsstunde in Sachen Musik verdonnert wurde und hinter der Bühne meinte Toni Vescoli mit breitem Grinsen: „Es isch äi äinzigi Orgie gsi!“ - natürlich in Anlehnung an die GangBang-Theorie, die wir schon eingangs aufgestellt haben... Wer sonst noch was und warum – und wieso all diese Mannen da oben auf dieser Bühne gerade ausgerechnet die Gitarre und nichts anderes... - all das und mehr gibt´s übrigens erstmals am 20. März 2006 im Radio-Issue von Trespass: Von 20 bis 22 Uhr auf Radio Emme oder
hier über Livestream.