Stess zweite Wiedergeburt: Renaissacne II
6.10.2011/Text: Ko:L, Bilder: Promo
Wir steigen direkt in den Talk ein und konfrontieren Stress mit unserer Meinung: „Renaissance II“ ist ein langweiliger Albumtitel. Ist Stress die Fantasie ausgegangen? „Hast Du die Platte schon gehört?“, hält er entgegen. Touché, lautet die Antwort als Geständnis... „Eben“, sagt Stress, „dann wüsstest Du, warum der Begriff Wiedergeburt noch viel besser zu 'Renaissance II' passt, als er damals auf das Album 'Renaissance' zutraf.“ Nun – mittlerweile hallen Stress' neue Songs tatsächlich in den Gehörgängen und es wird fühl-bar, was der Lausanner meinte, als er sagt: „Das erste Renaissance-Album war sehr stark politisch geprägt und der Albumtitel spielte auf eine Erneuerung meiner Schweiz an. Jetzt geht es um mich ganz persönlich, meine musikalische, aber auch meine körperliche Wiedergeburt.“
„Nach fünf Alben hatte ich das Gefühl, ich sei musikalisch festgefahren“, sagt der erfolgreichste Schweizer Rapper aller Zeiten. „Es lief zwar alles toll, ich hatte eine eingespielte Crew um mich herum und wir wussten, was nötig war, dass mein Sound nach Stress klingt.“ Doch dem Künstler Stress, dem unbändig Kreativen, ist diese Routine zum Gefängnis geworden. „Ich wusste, dass ich die ganze Produktion neu angehen wollte.“ Also mietete man ein Haus in der Zentralschweiz, holte zum Teil neue Leute an Bord und bunkerte sich ein. „Es ist ein ganz anderes Arbeiten, wenn du am Abend jeweils wieder nach Hause gehst – oder eben 18 oder mehr Stunden am Tag nur Musik machst und hast“, bilanziert Stress. Das Resultat: Ein Album, das mit dem sich der Romand endgültig von gängigen Schemen verabschiedet uns seinen eigenen Sound - „Ich gehöre weder in eine Rap-, noch in eine Pop-Schublade – ich bin meine eigene Schublade“ - weiter verfeinert und zum Teil überraschende Wege geht.
Natürlich sind pure HipHop-Tracks wie „Animal Juice Music“ oder Bouncer wie „Baby Please!“ zu finden – aber auch dieser Track kokettiert mit Electro-Elementen. „À mes côtés“ fährt in höchstem Pop-Speed. „Cassaõ“ zeigt Stress' Affinitiät zu World-Music. Das Tempo und die Konsequenz in Stress' Stimme in den Strophen zu „Saturé“ würden auch mancher Alternative-Truppe gut anstehen „Dream“ deutet an, dass der Romand definitiv vom Rap- zum Pop-Superstar mutiert. Emotionales Highlight ist die Ballade „Libre“ - während Stress mit „Young & Hungry“ ein äusserst intimes Glanzlicht setzt und zeigt, wie persönlich seine „Renaissance II“ tatsächlich. „ Die „Drama Queens“ tänzeln zwischen 80ies-Disco und knackigen Gitarren-Soli, während „Elle“ mit einer Südstaaten Bluesharp aufhorchen lässt. Während Superstar Andrea Martin dem ersterem die Stimme leiht, ist es auf zweiterem Pegasus' Noah Veraguth.
Auffallend: Beide erwähnten Gäste singen ihre Zeilen in Englisch. Der Verdacht liegt nahe, der frankophone Stress wolle neue Märkte erschliessen. „,Mit französischen Texten sind deine Markt-Möglichkeiten tatsächlich limitiert“, sagt er – betont aber im selben Satz: „Ich habe echt keine Ambitionen, meine Karriere im Ausland gross zu pushen. Da steckt eine enorme Arbeit dahinter – schon nur in Sachen Promo.“ Er weiss: „Wenn du ein Album in einem Land richtig rausbringen willst, dann musst du auch präsent sein“, und fragt sich, wo er die Zeit dafür noch nehmen soll. „Jetzt bin ich wochenlang unterwegs, um die neue Platte in der Schweiz zu promoten. Dann folgt eine Tour – und schon ist ein Jahr vorbei. Und dann beginnt schon wieder die Arbeit am nächsten Album, damit dieses etwa zwei Jahre nach dem jetztigen Release wieder rauskommen kann. Jetzt sag mir, wann ich noch ins Ausland reisen sollte, um dort richtig Gas zu geben?“ Hinzu komme sein Drang, immer wieder neue Songs zu machen. „Wenn ich 50 oder 60 Gigs mit den selben Songs bestritten habe, will ich nur noch eines: Neue Songs machen. Ich kann mir nicht vorstellen, zwei, drei Jahre lange mit dem selben Programm auf Tour zu sein – und bewundere jene Weltstars, die das immer und immer wieder machen!“
„Renaissance II“ ist für Stress aber auch persönlich eine Art Wiedergeburt – weil er überhaupt wieder Musik machen kann. Eine Diskushernie hatte seinen Rücken im Griff und machte ihm das Leben über Monate zur Hölle. „Ich konnte nicht stehen, ich konnte nicht sitzen, ich konnte nicht liegen. Der Schmerz war das einzige, das ich noch fühlte. Ich wusste nicht ein, ich wusste nicht aus, ich wusste nicht weiter.“ Bis er auf eine Yoga-Therapie aufmerksam wurde, mit deren Hilfe es ihm gelang, einen Weg zu finden, den Schmerz zu besiegen, ohne den Rücken operieren zu müssen. „Heute mache ich diese Übungen – und bin ein freier Mensch. Dafür bin ich dankbar!“ Stress betont, er habe in den letzten Jahren auch gelernt, bewusster zu leben. „Wenn du kreativ sein willst, ist das wichtigste, das Kind in dir zu bewahren“, sagt der Mann, der nicht nur Musik macht, sondern auch Kleider designt. Und diese kindliche Unbeschwertheit hat schlussendlich auch wieder den Weg auf sein neues Album gefunden. „Waren die letzten Platten zum Teil sehr schwermütig und von einem übersteuerten Verantwortungsbewusstsein geprägt, so deckt 'Renaissance II' das ganz Gefühls-Spektrum ab. Da wird gelacht, da wird gefeiert, da kann man weinen, da kann man melancholisch sein. Und von allem hat es genau so viel drauf, wie ich es im Moment empfinde.“