Tommy Vercetti: "Hiphop fristet leider noch immer ein Dasein in der Jugendkultur"
10.7.2011; Text/Bilder: Monthy
Der Berner Tommy Vercetti gilt als einer der talentiersten Rapper der Schweiz und durfte deshalb 2011 vollkommen zurecht im Mekka des Schweizer Hiphops, dem Openair Frauenfeld, auf die Bühne. Im Interview auf der Tribüne der Pferderennbahn auf deren Gelände das publikumsträchtigste Festival des Landes abgeht, sprach ich ihn erstmal darauf an - allerdings inklusive Bemerkung, es gebe ja durchaus erfolgreichere Exponenten der Szene als ihn. "Was Verkaufszahlen angeht, erhalte ich mir lieber eine realistische Perspektive", tut er mein Kompliment mit einem Undrstatement-Kopfnicken ab, "Dabei geht es nicht darum, dass ich auf Teufel-komm-raus nicht erfolgreich sein will. Aber ich weiss, woran das Musik-Business heutzutage ist und keine meine Szene. Ich freue mich natürlich, wenn sich etwas verkauft, aber vor allem, weil mir das Freiraum gibt, weiter meine Musik zu machen."
Dass jeder Erfolg haben will, ist zwar logisch und natürlich, aber will trotzdem auch gut überlegt sein, wie ich mir von Tommy bestätigen lasse. "Man muss es sich sehr gut überlegen... Ich muss allerdings auch sagen, dass mich das nie wirklich beängstigt hat, weil meine Musik eher in einem tieferen Bereich herumdümpelt, was auch vollkommen ok ist. Ehrlich gesagt, möchte ich mit niemandem tauschen." Die Anspielung auf seine Musik und deren Möglichkeiten lasse ich ihm natürlich nicht durchgehen ohne nachzuhaken. Warum glaubt Vercetti genau, dass seine Musik nicht für Grosserfolge prädestiniert sei? - Tommy: "Um wirklich hoch hinauf zu kommen, musst du ein gewisses strategisches Denken an den Tag legen. Du musst Faktoren beachten wie: Welches Publikum kauft heute überhaupt noch CDs? Du musst gewisse Images bedienen. Es ist eine Ideologie, fast schon ein Lebensstil, den ich nicht ganz auf die Reihe kriege. Wie soll ich das sagen - ich habe gar keine Zeit für solche Überlegungen..." Als Aussenstehender mit rückenlangem Haar darf ich es vielleicht anders formulieren - ist Tommy dafür nicht oberflächlich genug? - "Das ist jetzt sehr böse gesagt. Die Musik ist ein Teil meines Lebens, der mir sehr wichtig ist und den ich nicht missen möchte. Aber es muss auch noch andere Teile geben. Auf unserem Niveau ist der Tag schon gefüllt, wenn wir es schaffen, gute Musik zu machen." Mit Niveau meint Tommy übrigens nicht unbedingt die Skills, sondern die Tatsache, dass er "nebenbei" auch noch einen ganz normalen Job hat.
Bereits beim ersten Review, den ich vor Jahren über Vercetti verfasst habe, bezeichnete ich den Mix aus Jugendsprache und gehaltvollen Texten als "nicht der schlechteste", worauf sich auch meine nächste Frage bezieht. Geht er mit der festen Absicht an ein Album heran, seinem Publikum verschiedene Arten Songs zu bieten? - Tommy: "Prinzipiell eigentlich nicht. Bei den Mixtapes beispielsweise ist wirklich das drauf, was gerade ready ist. Da machst du einfach mal und wenn du zwanzig beisammen hast, geht es raus. Beim Album habe ich mir schon sehr gut überlegt, was drauf kommt. Obwohl es kein Konzeptalbum ist, entstand es so ein bisschen am Reissbrett. Ich habe mir auch viele Überlegungen zur Sprache gemacht. Ich will nicht Rap-Slang reden, den die Hälfte da draussen nicht versteht, ich will nicht unnötig und übermässig fluchen. Das ist auch eine Frage der Ästhetik."
Hiphop ist zu grossen Teilen immer noch die Musik der Jugendlichen. Die Acts aus der Szene, die ich in Interviews habe, sind aber zumeist in meinem Alter oder zumindest zwischen 25 und 30. Spürt Tommy diese Lücke, wenn er auf der Bühne steht? Oder gibt es da irgendein Verständnis zwischen Künstler und Fans, bei dem das Alter keine Rolle spielt? - "Man spürt das Gap natürlich. Schon nur, wenn du die Leute siehst, die an dein Konzert kommen oder wenn du nach dem Gig im Gelände angesprochen wirst. Hiphop fristet von jeher so ein Dasein in dieser Jugendkultur. Teilweise ist das auch berechtigt, weil viele Acts es auch nicht schaffen, erwachsen zu werden. Andererseits gibt es auch eine Ignoranz von Seiten der Öffentlichkeit und insbesondere der Medien. Um aber auf die Frage zurück zu kommen: Ich überlege mir das nicht beim Texten. Es muss dann ganz einfach für mich Sinn machen und ich denke, dass auch Jugendlichen es durchaus schätzen, wenn sie es zehnmal hören müssen, um es ganz zu erfassen. Das gibt dem Ganzen auch eine Langlebigkeit."
Spezifisch im Hiphop finde ich, dass Künstler und Fans die Chance haben, gemeinsam zu wachsen. "Das fände ich natürlich schön und ich spüre das durchaus auch. Besonders mit dem Album hat es einen Schub gegeben. Leute, die sich bei dritten, vierten Mixtape etwas von mir abgewendet hatten, sind mit 'Seiltänzer' zurück gekommen. Ich beobachte aber auch, dass deutlich mehr ältere Leute mich auf meine Musik ansprechen. Und das ist besonders schön." - Eine Entwicklung, die bei Vercetti also schon im Gang ist, dem Gros der Szene, wie mir scheint, aber eigentlich noch bevorsteht. "Dann musst du den Anspruch dafür haben. Nicht unbedingt Erwachsenen-Musik zu machen, aber für dich selbst gute Musik zu machen und durch dein eigenes Wachsen diesen Anspruch einzubringen."
Tommys Aussagen faszinieren mich ziemlich. Und wenn ich schon einen kommunikativen Hiphopper mit Subsanz vor dem Mikrofon habe - von denen gibt es übrigens hierzulande auch immer mehr und mehr - will ich seiner Kunst ein bisschen auf den Grund gehen. Ich weiss beispielsweise, dass Sänger jeden Tag üben müssen, um ihre Stimme geschmeidig zu halten. Wie sieht das bei den Rappern aus? Skillen sie ihr Mundwerk täglich mit einer halben Stunde "Fischer's Fritz..."? - Vercetti lacht: "Ich kam mit 17, 18 Jahren in diese Musik hinein und habe anfangs einfach viel gefreestylt und Spass mit den Jungs gehabt und viel gerappt. Damals ergab sich das ganz natürlich. Mittlerweile habe ich manchmal ein wenig Angst, wenn ich lange kein Konzert mehr hatte und dazwischen nicht wirklich geübt habe. Man sollte es zugegebenermassen wohl professioneller pflegen..." Das beste Training wäre also, regelmässig aufzutreten, nehme ich die Musikszene und die Möglichkeiten mit in die Pflicht. "Seit dem Albumrelease haben wir durchschnittlich alle zwei Wochen einen Gig. Dann ergibt es sich ganz gut. Gerade weil ich daneben noch arbeite, beschäftige ich mich in Wellen mit meiner Musik. Es gibt Phasen, wo ich im Film bin und viel übe. Dann gibt es wieder Zeiten, in denen ich drei Monate nichts mache."
Entstehen Tommy's Songs aus Dingen heraus, die ihn schwer beschäftigen oder gibt es Dinge, über die er sowieso nicht schreiben würde? - "Ja-Nein... Es sind schon Sachen, die mich beschäftigen. Allerdings nicht gerade im Eminem-Stil, der sein Leben so therapiert, wofür ich zwar viel Respekt habe, aber es doch als sehr exhibitionistisch ansehe. Ich wurde halt auch früh politisiert und mache mir sonst viele Gedanken. So geschieht es ziemlich automatisch. Aber es muss mich halt schon irgendwie packen..." Ich frage nach, ob es denn im Hiphop - insbesondere auf der Bühne - ein Kompromiss zwischen Ehrlichkeit und Show sei? - "Es kann ja auch eine ehrliche Show sein", wählt Tommy den Mittelweg, "Als Rapper musst du aber irgendwie schon ein extrovertierter Mensch sein. Du musst dich auch damit wohl fühlen, im Mittelpunkt zu stehen. Dahingehend ist es schon sehr ehrlich. Was die Songs angeht, haben wir eine gewisse Narrenfreiheit, weil wir ja eh nichts verkaufen... Also machen wir einfach, wozu wir Lust haben und das ist einfach cool."