Toni Vescoli: „Musik ist heute kein Ereignis mehr.“

Text: Sandy
Bilder: Ursula Oester
Toni Vescoli und Les Sauterelles auf dem Liveschiff.ch
1958 stand Toni Vescoli zum ersten Mal auf der Bühne - um seinem älteren Bruder nachzueifern, der scheinbar mit seiner Musik Erfolg bei der Damenwelt hatte. So steht es in der mehrseitigen Biographie des berühmten Schweizer Musikers. Den grossen Durchbruch schaffte Toni Vescoli mit der Band Les Sauterelles. Über 40 Jahre sind die vier zusammen unterwegs: Düde Dürst (Schlagzeug), Freddy Mangili (Gitarre), Peter Glanzmann (Bass, Gesang) und Toni Vescoli (Gitarre, Gesang). Und genau diese Alt-Meister laden nun zu Liveschiff.ch,einer Schifffahrt auf dem Thunersee, ein. Viele eher ältere Gäste packen diese einmalige Gelegenheit beim Schopf, lassen sich in alte Zeiten versetzen und frischen die Erlebnisse von damals wieder auf. Anstatt „stonewashed" Jeans tragen die Damen ihre Sommerröcke und die Herren lassen es sich auch nicht nehmen, sie richtig zum Tanz zu bitten. Ungewöhnlich ist, dass die gestandenen Musiker zuerst die Schiff-Bühne betreten und dann der etwas jüngeren Vorband, den „Repeatles“ die zweite Konzerthälfte überlassen. Der „Beat", der Spass an der Musik und die Zufriedenheit nach dem gelungenen Konzert sind bei den Sauterelles immer noch spürbar.
Toni Vescoli und Les Sauterelles auf dem Liveschiff.ch
„Ich habe schon mehrmals auf einem Schiff gespielt, bereits in den 60iger Jahren. Es ist eine ganz andere, aber sehr schöne Atmosphäre", schwärmt Toni Vescoli nach dem Auftritt; vorne auf der Holzbank am Schiffbug. Er habe unzählige Konzerte gegeben und in der vergangenen Zeit eine wesentliche Veränderung erfahren: „Musik ist heute gar kein Ereignis mehr. In jedem Lift, in jedem WC - überall läuft Musik. Sie ist fast zu einem Hintergrundgeräusch geworden.“ Jetzt wissen es nur noch wenige Leute, wenn es in ihrem Dorf Live-Musik gibt. Früher seien bei einem solchen Anlass alle gekommen. „Heute gibt es sture Abgrenzungen der Geschmacksrichtungen: Hip Hop, House. Für mich tönt alles irgendwie gleich, aber von den Leuten werden sehr grosse Unterscheidungen gemacht", stellt Toni fest. Nur die persönlichen Favoriten werden akzeptiert. Er vermisst auch seine Generation: „Die Leute, die mit mir alt geworden sind, denken sich, die Musik sei sowieso zu laut und so kleben sie lieber daheim in ihren Sesseln." Des Weiteren weiss der Schweizer Musiker zu erzählen: „Heute geht man an die Events, um gesehen zu werden. Was vorne auf der Bühne passiert, ist für viele gar nicht so wichtig."
Toni Vescoli und Les Sauterelles auf dem Liveschiff.ch
Toni Vescoli ist einer, der es mit der Musik geschafft hat. Er könnte sich locker zurücklehnen und das Musikmachen sein lassen. „Ich bin kürzlich 65 Jahre alt geworden und somit eigentlich pensioniert", sagt der Rentner. Für ihn gebe es aber kein Aufhören, weil ihm die Musik Spass mache. Dafür müsse man auch fit bleiben, wie ein Velorennfahrer. „Wenn ich einen Monat nicht gespielt habe, muss ich mir das wieder antrainieren. Am ersten Tag so fünf bis zehn Minuten singen und dann jeden Tag ein bisschen mehr. Sonst werde ich beim Konzert heiser", erzählt Toni. Bei Vescoli laufen fünf verschiedene Projekte parallel. Er spielt seine Songs solo, im Duett oder mit der ganzen Band. Hank Shizzoe und seine Leute gehören da dazu. Das vierte Projekt sind seine legendären Sauterelles. Und dann gibt es noch eine Ethno-Country-Rock-Show zusammen mir Rolf Raggenbass und seiner Country Band. Dort spielen auch Volksmusiker wie Carlo Brunner, mit. „Das ist eine sehr lustige Verbindung. Wir spielen Country-Nummern, welche die Ländlerfreunde solo beginnen, denselben Song beendet dann der Lead-Gitarrist mit seinem Elektroinstrument", erzählt Vescoli. Das sei ganz eine abwechslungsreiche Show, mit Duetten und eben mit Parts von Toni Vescoli.
Toni Vescoli und Les Sauterelles auf dem Liveschiff.ch
1999 hat der vielseitige Musiker in Austin seine CD „Tegsass" produziert. Als Gastmusiker figurierten Stars wie Flaco Jimenez, Augie Meyers, Joe Ely oder Tish Hinosoja. Kürzlich hat er wieder in Austin das Album „66" aufgenommen, das anfang 2008 erscheinen wird. „Das ist eine Fortsetzung. Musikalisch bin ich statt auf der TexMex-Spur nach Süden, nun ostwärts nach New Orleans und Louisiana gereist." Wiederum konnte Toni Gäste empfangen, dieses Mal den Gitarristen Sonny Landreth, Jo-Él Sonnier an der Handorgel und eine fantastische Fiddlerin aus New Orelans. „Amanda Shaw ist erst 17 Jahre alt und habe bereits mit Zwölf ihre erste Platte aufgenommen. Eine ganz verrückte ‚Nudle‘ und super gut“, schwärmt der Alt-Star von der jungen Geigerin, die gerne für einige Konzerte in die Schweiz kommen möchte. Die CD werde eher bluesiger und rockiger, aber auch sehr ernst. „Seit ‚Tegsass‘ ist in meinem Leben einiges passiert, das mich nicht nur zum Lachen gebracht hat. Solche Sachen verarbeite ich in meinen Songs", sagt er. Das Toni seine CDs in Amerika produziert hat, habe ganz einen einfachen Grund: Seine Musik brauche TexMex, Country und Cajun. Er möchte nicht nur stur Rock spielen. Vor sieben Jahren sei diese Musik bei uns noch sehr stark eingegrenzt worden. „Das ist Rock. Das ist Country. In Amerika wird das nicht gemacht. Ry Cooder zum Beispiel, der macht Americana: Eine Mischung aus Blues, Rock, Country und TexMex - alles zusammen. Und das spielt dort keine Rolle", erzählt Vescoli. Darum sei er in die USA gegangen und habe mit Leuten zusammen gespielt, die darin keine Differenzen erkennen. „Ich will mich doch nicht immer rechtfertigen, wenn meine Musik ein wenig nach Country tönt", sagt der Musiker.
Toni Vescoli und Les Sauterelles auf dem Liveschiff.ch, Peter Glanzmann
„Die Ereignisse 2005 in New Orleans haben mir irgendwie einen Knick gegeben", verrät Toni. Er habe alles bereits gebucht gehabt und dann sei 'Katharina' über die Stadt gefegt. So habe sich seine Reise um ein Jahr verschoben. Vescoli erzählt: „Dort bemüht man sich krampfhaft, das Image wieder herzustellen und zu erhalten. Zwei Drittel der Leute sind weg. Vor allem diejenigen, die der Stadt das Herz gegeben haben.“ Er habe darüber einen Song geschrieben, der heisse „New Orleans Walz“. Ein langsamer und trauriger Walzer, welchen er zuerst in Deutsch und dann in Englisch zusammen mit Jo-Él Sonnier singe. „New Orleans war die Mutter von uns Musikern, die Wiege der Kings of Blues and Rock‘n‘Roll, und jetzt liegt sie da und ist am sterben. Sie kommt mir vor wie ein Zombie, der auf Befehl lächelt", stellt Toni fest. Die Musik lebe nur teilweise und sei irgendwie eine Alibiübung. Es sei wie die Volksmusik im Zürcher „Chindli", einem Ort für Touristen, die dort die Landes-Folklore geniessen können. Toni versucht aber auch aus seinen persönlichen Negativ-Erkenntnissen, Hoffnung zu erspähen. „Trotzdem wird diese Stadt unsterblich bleiben." Die Bemühungen in New Orleans seien stark, so dass der Ursprung wieder kommen könne. Es entstehe ein Quartier, wo Musiker leben können. Dort werde es auch eine Musikschule und Auftrittsmöglichkeiten geben.
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