Vescoli - Alter schützt vor Jugend nicht
Text: Monthy
Bilder: Monthy/Booklet
Toni Vescolis neues Album steht vor der Tür und nennt sich schlicht "66". Da ich den einen von unseren beiden "Alten Männern der Mundart" mit gebührendem Respekt, sprich nicht direkt auf sein Alter ansprechen will, konstruiere ich mir eine Assoziation. Das müsse sich ja bei ihm praktisch auf die Route 66, die legendäre US-Südstaatenroute zwischen Atlantik und Pazifik, beziehen, schmunzle ich los. Vescoli erwidert mein Spiel mit den Mundwinkeln und erklärt: "Nein, das ist nicht so. Ich werde 66, wenn das Album nächstes Jahr rauskommt. Das andere darf hinten durch klingen. Ich spiele oft ein wenig mit den Worten. Bei 'Augie und ich' (sprich: Oogi, die Red.) wusste ich genau, dass die Leute es dann fälschlicherweise auf den damaligen Bundesrat Ogi beziehen würden. Das habe ich eigentlich so geplant und es war ganz lustig. Ein Albumtitel soll für mich immer kurz und prägnant sein. Deshalb 'Sechsundsechzig' oder 'sixty-six' - wie man das auch aussprechen will. Es ist ja auch so, ich werde nächstes Jahr 66..." Momentan wird Toni also wohl etwas öfter auf sein Alter angesprochen als üblicherweise, oder? - Toni: "Ja, das ergibt sich natürlich. Allerdings auch dadurch, dass ich immer noch viel unterwegs bin. Da überlegt man dann schon mal, wann was genau war und wie lange man es schon macht."
Für Männer ist das Altern eher ein einfacheres Thema als für Frauen. Toni Vescoli hat keine Probleme damit und sich vom Jugendwahn längst verabschiedet. "Es sind so Stufen", leitet er ein und streift mich mit einem warmen Blick, "Mit etwa 45 merkst du an irgendetwas - vielleicht an den Händen oder am Hals - dass du älter wirst. Und dann fühlt man sich alt. Als ich 50 geworden bin, habe ich mich aber noch gar nicht alt gefühlt, auch nicht als ich 60 wurde. Heute denke ich nicht mehr darüber nach. Glücklicherweise schaust du aus dir heraus. Wenn du in deiner Stube sitzt, siehst du ja auch nicht, ob die Fassade abbröckelt. Das merkst du erst, wenn du dich damit beschäftigst - also in den Spiegel schaust." Und jung bleibt man ja innerlich, stelle ich lapidar fest, was Vescoli auch findet. - "Es gibt Leute, die sind mit 20 schon alt - in ihrer ganzen Haltung und Lebenseinstellung. Ausserdem mache ich auch einen Unterschied zwischen jung und jugendlich, beziehungsweise kindlich und kindisch. Ich finde es schön, wenn man als Mensch kindlich bleiben kann. Das heisst für mich, auch mal naive Vorstellungen zu haben, Ideen, Freude an irgendetwas zu haben. Das Kindische hingegen mag ich nicht besonders." - Ein Vorwand zum Herumblödeln, definiere ich es für mich und Vescoli lächelt. "Ja, so wie gewisse Radiomoderatoren am Morgen..."
Der Opener von Vesoclis "66" heisst "De Berg" und leitet über zum seriösen Teil. Da man über den Berg normalerweise drüber muss, frage ich, ob es diese Situation in der Produktion auch gegeben habe? Ob er den Satz "Da musst du durch" irgendwann zu sich gesagt habe? Allerdings erfasse ich das Thema des Songs beim Reinhören nicht richtig - ist auch kein Wunder. Schliesslich bin ich in meiner Primarschule bis heute immer noch der einzige, der es geschafft hat, im Religionsunterricht keine 6 zu kriegen... Toni Vescoli: "Der Berg ist ja im Prinzip Gott. Alle meinen, sie müssten ihm einen anderen Namen geben, dabei ist er eigentlich überall derselbe, nur von verschiedenen Seiten betrachtet. Der Weg auf diesen Berg sind die einzelnen Religionen, die glauben, sie hätten diesen Berg nun gepachtet. - Zu deiner Frage: Die ganze Zeit war hart für mich. Der Weg zu dieser Produktion. Als es mit der letzten so richtig angelaufen war, hatte ich einen schweren Autounfall. Das hat mich absolut auf Null zurück geworfen. Ich brauchte auch Zeit, um zu regenerieren. Vor dreieinhalb Jahren ist mein Sohn schwer verunfallt. Das hat mich alles gebremst, gebremst, gebremst... Dann fand ich, ich wolle doch wieder eine CD machen und bin nach Amerika gegangen. Aber ich hatte keine gute Zeit dort. Meine Frau war nicht dabei, ich war fünf Wochen allein, kam auf den Moralischen und habe an allem gezweifelt. Schliesslich habe ich mich dann doch zum Vertrauen durchgerungen und es ist auch gut heraus gekommen."
Dass Toni in Amerika produziert hat Tradition, lässt sich aber auch ganz einfach aus den Namen seiner Musiker heraus lesen. Sind das langjährige Beziehungen oder neue Leute? Vescoli wählt das erste: "Angefangen hat es in den neunziger Jahren. Ich musste bei Vescoli & Co immer kämpfen, wenn ich irgendetwas in Richtung Country machen wollte. Für mich ist das nie ein Fremdkörper gewesen. Ich habe das nie so vom Rock getrennt, wie man das hier macht. Gewisse Rockmusiker belächeln das sehr. Wobei es sich auch schon verändert hat. Ich hatte einfach genug davon, mich dafür zu rechtfertigen. In Amerika wird darüber gar nicht diskutiert. Man macht einfach. Ob das jetzt etwas mehr so oder so tönt, spielt keine Rolle und auch die Auswahl der Instrumente ist unproblematisch. Da darf ohne weiteres auch eine Geige mit rein. Für mich ist es eigentlich ein Armutszeugnis, wenn man den Rock von seinen eigentlichen Wurzeln losgelöst sehen will." Und das lässt sich ohne weiteres beweisen - das verbindende Element von Rock und Country heisst konkret Blues und ist seit Jahren Vescolis Trampelpfad. Das mag jetzt so ein wenig ausgelatscht klingen, aber so ist der Blues. Etwas Neues kann man da nur schwer erfinden. Trotzdem scheint mir "Wäge Dir", der dritte Song auf Vescolis "66", mit einer hell solierenden Gitarre durch die Strophen so ein seltenes Blues-Werk zu sein. Es spricht mich mit einer Beschwingtheit an, die ich sonst eher bei einem Polo vermutet hätte. Toni Vescoli hält die Erklärung genau so einfach wie den Song: "Für mich ist es ein Rock-Song mit relativ einfachem Schema. Es ist meine Geschichte, die ich mit dem Rock'n'Roll erlebt habe. Ziemlich eins zu eins. Ich bin zuerst total darauf abgefahren. Aber dann nach einiger Zeit, meinte ich, ich muss das nicht mehr haben. Es wurde mir zu hart. Also habe ich die Folk-music entdeckt und viel auf solchen Festivals gespielt. Da habe ich auch die Mundart entdeckt. Ich habe mich ja nie als Chansonnier oder Liedermacher gesehen, sondern als Mundart-Folkie. In dieser Zeit war ich total weg von der Rockmusik. Jahrzehntelang. Ich habe während rund achtzehn Jahren ohne Verstärker gespielt! Anfang der 70er fand ich den Weg zurück zum Rock und den elektrischen Gitarren." Nebst Rock und Country gibt es aber noch eine weitere Vescoli-typische Musik - Toni: "Etwa 1990 hatte ich ein weiteres Schlüsselerlebnis. Ich wollte in Montreux Bob Dylan und Ry Cooder sehen, die ich beide sehr mag. Ich kam mit dem Zug und dachte eigentlich, ich sei früh dran. Als ich aber im Auditorium ankam, spielte bereits eine Band. Und zwar war das die Vorband Texas Tornados. Und dieser Flacco Jimenez ist mir eingefahren! Da kam die ganze Jugendzeit in mir hoch, weil ich als Bub vier Jahre in Peru aufgewachsen bin. Diese Musik treibt mir noch heute die Tränen in die Augen." TexMex als fröhliche Alternative zum Blues also? Toni, der richtig ins Erzählen gekommen ist, fährt fort: "Ja, aber auch in dieser fröhlichen Musik hat es melancholische Elemente drin. Das ist in der Folklore ja immer so. Ich habe dann in Teneriffa erstmals eine solche CD aufgenommen und es hat mich auch nicht mehr ganz losgelassen."
Bei der kürzlich abgehaltenen ersten Staffel Der Grössten Schweizer Hits auf SF DRS spielten zwar auch die Sauterelles, der Name des Solokünstlers Toni Vescoli blieb hingegen genauso unerwähnt wie derjenige von Nella Martinetti, die als Autorin von "Ne partez pas sans moi" ja durchaus auch zum Gelingen der Schweizer Musik beigetragen hatte, dies nicht gewürdigt sah und sich bitterlich beklagte. Auch bei der zur Erklärung vorgeschobenen Publikumswahl hätte man da sicher Mittel und Wege finden können. Vescoli allerdings gewinnt dem ganzen auch sein Gutes ab. Toni: "Wir durften mit den Sauterelles und unserem 'Heavenly Club' eine Sendung gewinnen und damit auch im Finale dabei sein. Aber ich habe mich schon etwas gewundert, dass in den fünf Sendungen, die ich alle komplett gesehen habe, meine ganze Mundart-Zeit mit keinem Wort erwähnt worden ist. Das tut auf der einen Seite schon auch etwas weh. Andererseits bin ich irgendwie auch ganz froh. Meine Mundart wurde ja zum Teil auch belächelt zur Zeit und wenn dann jemandem eine unglückliche Bemerkung rausgerutscht wäre, hätte es wieder zu so einer Verniedlichung des ganzen kommen können. Es ist also vielleicht gar nicht schlecht, wenn der Mythos der guten alten Zeiten auf die Sauterelles beschränkt bleibt." Wobei ich zum Abschluss noch feststellen möchte, dass Toni Vescoli der eigentliche Vater der Mundart ist. Sein "Wilhelm Tell" dürfte anno dazumal der erste in Dialekt vorgetragenen Song eines Künstlers - ausser Volksliedern selbstverständlich - gewesen sein.