Die Toten Hosen kehren "In aller Stille" zurück
Text: Monthy
Bilder: Die Toten Hosen
Die Toten Hosen kehren zurück, und zwar "In aller Stille". Ob der Titel sich eher aufs anlaufende Weihnachtsgeschäft bezieht oder ironisch darstellt, dass die Hosen eigentlich traditionell die lautesten sind, sei mal dahingestellt. Was er aber anregt, bestätigt sich für mich in den ersten fünf Songs des Pre-Listenings im Zürcher Rohstofflager. Dort höre ich zwar eindeutig Die Toten Hosen, aber irgendwie anders - roher, härter... Bassist Andi zeigt sich von meiner Einschätzung überrascht: "Das empfindest du so. Ich sehe das ein bisschen anders. Du hast wohl dahingehend recht, dass es anders tönt, weil wir erstmals mit einem anderen Produzenten gearbeitet haben, der eine neue Herangehensweise einbrachte. Diesen Unterschied hört man wohl. Mit den Liedern hat das aber nichts zu tun. Die kommen natürlich trotzdem von uns. Und ich glaube auch, dass sie ziemlich nahtlos an ältere Hosen-Sachen anknüpfen. Auf eine Art und Weise, die bis auf zwei Aufnahmen sehr hart ist. Ich kann es also nicht ganz nachvollziehen. Aber Geschmäcker und Deutung sind ja verschieden. Ich finde zum Beispiel, dass ein Lied wie 'Strom' absolut im Kontext eines Hosen-Liedes steht."
In meinen Ohren ist es vor allem die Singstimme, die im ersten Teil von "In aller Stille" anders daherkommt. Weniger zum Sich-Voll-Reinhängen und Mitgrölen, weniger voll am Anschlag. Campino - so scheint mir - singt mehr als früher... Andi: "Im Umkehrschluss würde das heissen, er habe früher nicht so richtig gesungen...? Ich finde, er singt sehr gut auf der Platte. Tatsächlich besser denn je. Ich glaube auch, dass ein Lied wie 'Disco' sich zum Mitsingen eignet. Getestet haben wir's aber noch nie. Und ich muss zugeben, dass ich auch schon überrascht worden bin. Dass ein Song, den ich als unproblematisch empfand, beim Publikum gar nicht angekommen ist. Im Gegensatz dazu haben sich einige Lieder entwickelt, wie man das nie geglaubt hätte. 'Freunde' beispielsweise hat lange gebraucht, bis es da war, wo es jetzt ist. Manchmal weiss man das halt nicht. Es ist aber niemals Absicht. Die Platte knüpft für mich irgendwie an 'Auswärtsspiel' an. Mir gefällt sie bisher sehr gut. Allerdings hab ich die Songs so oft gehört, dass mir der Abstand dazu ein bisschen fehlt. Es ist also schwierig zu beurteilen. Ich glaub aber schon, dass sie wesentlich besser ist als 'Zum Glück'. Im Nachhinein betrachtet hätten wir damals ein bisschen mehr Zeit darauf verwenden sollen."
Mein Eindruck mag daher stammen, dass ich hinsichtlich Hosen immer noch an Alex-Horrorschow und Opel-Gang denke. Deshalb sind die ersten fünf Tracks für mich anders. Bei Nummer 6, "Leben ist tödlich", macht es dann: "DAS sind meine Hosen!" Der Kracher bringt für mich den ursprünglichen Hosen-Spirit wieder an die Oberfläche - und hält sich bis zum Ende der vermeintlich stillen Platte. Für mich macht diese gefühlte Zweiteilung die Aussage: "Wir müssen euch nicht unbedingt das liefern, was ihr wollt - wir können aber immer noch..." Andi erzählt mir ein wenig aus dem Entstehungsprozess des neuesten Werks: "Wir hatten ungefähr so dreissig Lieder, die fürs Album in Frage kommen. Davon haben wir etwa fünfundzwanzig auch aufgenommen. Wir haben lange diskutiert, welche Songs nun aufs Album drauf sollen. Aber nicht unter dem Aspekt Erwartungen - ausgenommen bei einem Stück, das wir schliesslich nicht mit rauf nahmen. Das war einfach, weil wir es besser finden, wenn am Schluss der Eindruck besteht, dass es eigentlich noch weiter gehen könnte. Dafür haben wir nun ungern aber trotzdem einen Song geopfert. Wenn wir diskutieren, welche Songs wir wollen, geht es einerseits darum, was ein gutes Stück ist und andererseits muss die Platte auch zusammen passen. Wir hatten beispielsweise sechs tolle langsame Stücke - die können wir nicht alle auf die Platte nehmen. Das geht von unserem Empfinden her nicht. Das wichtigste ist aber die Frage: Funktioniert das Stück? Du kannst das auch daran ersehen, dass wir dieses Mal beispielsweise kein Trinklied drauf hatten. Das ist für uns kein Muss, heisst aber auch nicht dass wir es nie mehr machen..."
Bei "Disco", um mal mehr auf die einzelnen Songs einzugehen, ist mir eine Textzeile aufgefallen, die auf der Toilette eines Clubs spielt. "Ich kann's nicht fassen - wieviele sich hier vögeln lassen", konstatiert Campino lapidar und regt in mir die Frage an, ob die Gesellschaft die Toten Hosen hinsichtlich "schlimme Finger" rechts überholt hat? Andi: "Das ist natürlich total ironisch. Wenn man da den Humor nicht raushört... Es ist eigentlich eine Beschreibung, was in einer Disco so abgeht. Das haben wir ja alle schon erlebt. Es ist eine Beobachtung mit Seitenhieb zum Schmunzeln. Die musikalischen Disco-Referenzen haben uns im Studio übrigens einen Heidenspass gemacht. Ich muss da einfach lachen, bei diesen 70er Jahre Tracks, die eigentlich nur Banane sind..." Die Gesellschaft, stimmt mir Andi aber zu, hat sich in der Zeit der Existenz der Band enorm verändert - "Dramatisch... Als wir uns gegründet haben war Deutschland noch ein geteiltes Land mit ganz anderen Problemen als heute. Über so einen Zeitraum ist Entwicklung normal, was übrigens auch für den einzelnen Menschen gilt. Die Ängste oder Sorgen in den 80ern waren ganz einfach andere als die heutigen. Einige Songs würden wir heute sicher ganz anders schreiben. Leider gibt es aber auch Themen, die nie weggegangen sind. Als wir anfingen, war die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland ein Thema - und sie ist es heute noch! Leider..."
Ebenso unbestritten ist eine musikalische Veränderung im neuen Werk - hinsichtlich des Songs "Auflösen". So ein Jazz-Accoustic-Stück haben die Hosen nun wirklich noch nicht gemacht. Andi sucht erstmal eine Bezeichnung für den Stil im Song: "Ich weiss gar nicht, in welche Kategorie das fallen würde... Du hast recht, es ist sehr untypisch für uns. Campino hat in Berlin in der Dreigroschenoper mitgespielt und traf dort auf die Österreicherin Brigit Mindigmeier, die auch viele Gesangsparts hatte. So kam es zustande, dass die beiden im Duett singen, was es bei uns sonst ja gar nicht gibt. Mag sein, dass damit nicht alle etwas anfangen können. Mir persönlich gefällt das Lied aber ausgesprochen gut. Besonders interessiert mich auch, wie Andi an so einen Promotag rangeht. Die Situation ist ja spannend - jetzt kommen Journalisten und geben den Künstlern via Fragen eigentlich auch Feedback. Oder ist doch alles nur Routine, Andi? - "Nee, gar nicht... Es gibt natürlich solche Journalisten und solche. Die einen sagen, was sie meinen. Bei anderen fragst du dich, mit wem sie eigentlich das Interview gemacht haben. Wenn aber eine ehrliche Meinung kommt, ist das hochinteressant. Denn du bist natürlich irgendwo auch ein wenig unsicher. Zwar spielen wir die neuen Sachen zuerst guten Freunden vor, die uns offen und ehrlich sagen, was sie davon halten. Aber die Journalisten haben die Gewohnheit und hören sehr viele Dinge. Wenn dann so jemand etwas zu sagen hat, dann ist das wertvoll. Auch Kritiken, die ich gerne lese, übrigens. Deshalb muss man nicht alles für bare Münze nehmen. Wenn also einer das Zeugs in den Himmel lobt, ist das genauso wenig ein Grund abzuheben, wie man Trübsal blasen sollte, wenn einer die Platte zerreisst... Was du anfangs gesagt hast, war beispielsweise neu für mich. Das hat noch keiner gesagt." - Man hätte Andi vielleicht vorwarnen sollen von wegen: The Full Monthy...
Bevor ich für den nächsten Journalisten Platz machen muss, will ich noch wissen, was die Hosen eigentlich wissen - und zwar von ihren Schweizer Fans... Andi: "Ich bin immer supergern in der Schweiz gewesen, ohne hier jetzt schleimen zu wollen. Für uns war die Schweiz schon immer ein Abenteuer. Wir haben hier in beide Richtungen extreme Abende erlebt - Abstürze und Erfolge... Wir wollten uns sogar mal nach einem Schweizer Gig auflösen, weil der so katastrophal war. Wir konnten zum Teil auf der Bühne die Instrumente nicht mehr festhalten, weil wir so viel gefeiert hatten. Das war hier im Volkshaus. Zürich war das letzte Konzert der Tournee. Ich weiss noch, dass wir Wölli die Schlagzeugstöcke mit Klebband an den Händen festgemacht hatten..." Auf der anderen Seite hatten wir hier auch eine ganze Reihe Super-Konzerte. Ähnliches könnte auch am 1. Dezember beim einzigen Schweizer Gig der "Manchmal Lauter Tour" wieder geschehen. Allerdings ist das Konzert schon lange ausverkauft - wie ein Grossteil der ganzen Tournee, die sich mit über einer Viertelmillion abgesetzter Tickets übrigens die grösste Konzertreihe Europas nennen darf.