Vera Kaa - 50 Wege, den Blues zu singen
15.4.2011; Text: Monthy, Bilder: Vera Kaa
Mit "50 Ways" veröffentlicht Vera Kaa heute ihr bereits elftes Album. Der Titel beischreibt nebenbei, worüber man bei einer Frau nicht spricht, und hauptsächlich, was die Lady der Schweizer Musik so macht. Sie singt den Blues in ebensovielen Farben und Formen. Einige davon sind traditionell, wie man es von ihr und von einer Blueserin erwarten würde. Andere wiederum überraschen. Gleich zu Beginn des Albums singt Vera etwa das titelgebende Intro ohne Instrumentierung und mit dem in der Stimme, was man eben einfach hat oder nicht. Dann aber übernehmen Cello, Saxophon und eine juchzende Jodlerin. "10 Minute" ist ein Lied aus Veras Jugend und fast ein bisschen sentimental. Eine rührende Melodie mit sanftem Jodlerchor im Background des Refrains. Und doch - vor allem zum Ende hin - immer mehr ein Blues. Abgesehen von der unerwartet funkionierenden Mischung fasziniert mich vor allem der Ursprung solcher Dinge. Ich frage Vera deshalb zuerst, ob man so etwas von Anfang an als Gesamtes höre oder wie bei einem Puzzle einzelne Teile zusammen setzen muss? - Vera Kaa: "Erstmal ist es schön, dass du mit dem Song anfängst. Für mich persönlich ist es nämlich der wichtigste Song auf dem Album. Ich weiss auch, dass er in der Presse nicht gross Thema sein wird, weil er speziell ist und nicht wirklich kommerziell verwertbar. Ich habe sehr lange an dem Song gearbeitet. Nach all den Jahren habe ich nun auch einmal einen Song für mich geschrieben. Einen Song für das Kind, das ich war. Ein Resumée des Weges, den ich gemacht habe. Ich bin ja auf dem Land in Luzern aufgewachsen - und deshalb ist auch dieser Kirschbaum wichtig, der im Song vorkommt. Der Kirschbaum, der Pilatus, die Berge überhaupt machten mir irgendwie gleich klar, dass da ein Jodel mit rein muss. Und auch dass zu diesem Song eine kindliche Stimme gehört. Mit Karin Streuli habe ich jemanden mit genau so einer unschuldigen Stimme gefunden. Ich finde das Intro auch wirklich wunderschön. Auch weil ich Cello sehr mag und Daniel Pellizotti, der auch bei Vollenweider spielt, ein toller Cellist ist. Das habe ich alles ziemlich sofort gehört. Auch Melodie und Text waren schnell da. Nur der Refrain, der wollte mir lange nicht einfallen. Da musste ich dann schon etwas basteln. Fürs Intro war mir wichtig, dass es eine Mischung aus traurig und heiter ergibt - und das ist meiner Ansicht nach wirklich gelungen." Den Jodlerchor im Refrain spreche ich auch noch an - und erfahre dabei zu meinem Erstaunen, dass Vera ihn selbst eingesungen hat. Ich bemerke, er komme mir vor, als sei er konzipiert wie ein Instument. "Ich sehe, du hast den Song verstanden", lächelt mich Vera an und fügt fast dankbar hinzu, "Es wird wahrscheinlich das einzige Mal bleiben, dass ich über den Song reden darf. Obwohl meine Frauen ihn sehr gern mögen." Die Verbindung von Schweizer Folklore mit Blues scheint mir nicht einmal unlogisch. Blues könnte man schliesslich als die Folklore des Rocks bezeichnen. "Solche Gedanken mache ich mir darüber nicht. Ich höre einfach etwas und möchte es dann so umsetzen. Ob es aber aus Honolulu oder sonstwoher kommt, ist mir egal. Ich denke, wir haben nur World-Music auf der ganzen Welt.", zeigt sich die Musikerin in Vera und sie bekräftigt, dass sie keine Berührungsängste kenne.
Das gilt insbesondere für den nächsten Song, den ich anspreche. Auf der Singleauskopplung "Einisch z Viel" kommt die eher seltene Mischung Blues/Rap zum Zug. Der Song beschreibt den Moment des Verliebens. Hiphop als junge Musik und eine reife Frau - ein Schelm wer Böses dabei denkt. Denn der junge Mann ist in Tat und Wahrheit Vera's Sohn. "Wir hatten den Song bereits gemacht und ich fand ihn gut, aber noch nicht Wow!", erzählt sie mir die Geschichte des Songs, "Also musste noch etwas rein. Viele Männer in meinem Alter haben ja jetzt junge Freundinnen und verlassen ihre Familien. Umgekehrt ist es aber immer noch seltener, dass eine fünfundvierzig jährige Frau mit einem fündundzwanzig jährigen Jüngling etwas anfängt. Und es geht ja um Vibes in dem Song. Ich wollte dann eben extra eine junge Stimme dafür. In dem Moment lief mein Sohn vor dem Studiofenster vorbei. Ich bat ihn, das mal für mich zu machen, damit ich hören konnte, wie es so tönt. Und er hat es so toll gemacht, dass wir es so gelassen haben." Dass Hiphop eine trendige, hippe Musik ist, spielte dabei gar keine Rolle. - Vera: "Das ist ja schon gar nicht mehr so hip. Und für mich auch nichts Neues. Ich selbst habe schon 1997 bei 'I'm just a woman' mit Hiphop experimentiert. Bevor die Musik hier eigentlich richtig ankam. Ich finde Sprechgesang als Element sehr interessant." Dass Vera Kaa mit verschiedenen Stilen spielen kann, ohne ihre Identifikation im Blues je zu verlieren, könnte ja daran liegen, dass sie sich dort einfach zuhause fühlt. Allerdings... "Eigentlich komme ich ja vom Punk", gibt sie einen Einblick in ihr Repertoire, "ich habe Tango gesungen, deutsche Musik, harte Rockmusik. Auch so ein Sehnsuchtsprogramm von 'Brecht bis Blues'. Ich habe immer alles ausprobieren wollen. Wie ein Maler wollte ich nicht mit einer Farbe malen sondern mit dem ganzen Malkasten. Das passierte immer sehr organisch. Ich brauchte immer ein neues Projekt, damit mir nicht langweilig wurde. Und ich kann mir nicht vorstellen, einen Song zu singen wie vor dreissig Jahren. Das hätte ich in Deutschland an einer Gala machen sollen. Aber ich kann jetzt nicht mehr 'Schuld war nur der Bossanova' singen, das ich damals im Minirock auch schon als Verarschung gesungen hatte. Da bin ich auch konsequent..." Im Blues ist sie aber nicht schlussendlich gelandet, sondern war niemals wirklich weg davon, wie sie es ausdrückt. "Janis Joplin war für mich immer eine prägende Musikerin. Und ich finde auch, dass viele meiner Sachen bluesig angehaucht sind. Auch wenn ich 'Stets i Truure' singe, glaube ich, das sei ein Blues. Dabei ist es vierhundert Jahre alt. Was ich am Blues so schätze, ist, dass du dort Gefühle zeigen darfst, ja dass es sogar verlangt wird."
Textlich gilt Vera Kaa als eine, die die Dinge auch einmal in Frage stellt. Dahingehend fielen mir zwei Songs auf "50 Ways" auf. Einerseits "Blues ain't for the sissies", den Vera für "die nicht botoixierten Frauen" geschrieben hat und der kickende Countrysong "Chilbi Ziit". Auch wenn dort alles etwas zwischen den Zeilen steht, sind die Songs nicht frei von Gesellschaftskritik, beispielsweise auch an der Facebook-Generation. "Ich möchte immer noch mindestens mit den Leuten telefonieren oder sie sehen, wenn ich mit ihnen rede. Einen Kaffee zu trinken, und das auf Facebook der Welt kundzutun, ist nicht so mein Ding. Ich merke, wie einige Leute sich so enorm vom Leben zurück ziehen. Aber sie haben 7000 Freunde online... Das ist also schon als Anti-Statement zu verstehen", stellt Vera klar und nimmt mich ein Stück zurück in der Zeit. "Ich war ja früher eine ganz Wilde und Zornige - und wir mussten das auch. Unsere Gesellschaft hat zornige Leute gebraucht. Wir mussten den Sädel erkämpfen, die Rote Fabrik - wir gingen ins Tränengas für diese Kleinkultur, die wir jetzt glücklicherweise haben. Jetzt mit fünfzig kann ich aber auch über mich selbst lachen oder auch einmal etwas mit einem weinenden und einem lachenden Auge sagen. Die Verbissenheit von früher habe ich nicht mehr so. 'Chilbi Ziit' ist in dem Sinn zwar schon ernst zu nehmen, aber nicht allzu ernst..." Ob die Jungen denn heute auch vielleicht wieder mehr kämpfen müssten? - Vera: "Unbedingt! Ich finde es beispielsweise mega tragisch, was mit den Frauen mittlerweile passiert. Wie junge Frauen sich von Schönheitsidealen vereinnahmen lassen, so dass nur noch das zählt. So versauen die Frauen von heute das, was die vordere Generation hart erkämpfen musste. Das finde ich wirklich nicht gut." In Vera's Alter darf man das aber auch mal sagen. "Dieses Recht nehme ich mir auch heraus", meint sie entspannt, "ich glaube auch, dass ich das machen muss. Es braucht einfach Leute, die ein bisschen reflektieren und es freut mich, dass ich diese Rolle jetzt habe. Mit 50 habe ich eine Art Narrenfreiheit erlangt. Das ist viel besser als mit 40, wo man irgendwie auch noch mittendrin steckt und einen auf ganz jung machen muss."
Der letzte Song von "50 Ways", den ich ansprechen will, ist etwas heikel. Auch über den wird sie vielleicht nicht viel reden müssen. "Maple Winds" ist nicht nur musikalisch speziell und jagt mit mitreissendem Chorus Schauer über den Rücken, sondern sticht mit einer Widmung in der Songliste heraus. Der Song ist Marco Scagliola gewidmet, welcher 2009 verstorben ist. Ich würde es wohl nicht thematisieren, wenn der Song nicht ganz so stark wäre. Aber der Tod gehört halt zum Leben und gerade eine Bluessängerin wie Vera verleiht mit ihrer Stimme einer solchen Hymne eine tiefe Würde, die einen auch als Aussenstehenden betroffen macht. "Marco war einer meiner besten Freunde und musste sehr schnell gehen", sagt sie mit melancholischer Stimme und fügt an, "das verlangte jetzt einfach nach einer Hymne... Dass das auch traurig macht, muss leider so sein. Es ist traurig, wenn jemand gehen muss. Und im Leben wie auf meiner CD hat es Höhen und Tiefen. Ohne die Tiefen gäbe es auch die Höhen nicht. Und Emotionen kann man auch nicht anders rüber bringen. Ich mag diese Emotionen ja auch nicht. Ich stehe am Morgen lieber mit einem Lächeln auf. Das Lied wurde unter sehr vielen Tränen geschrieben und ging sehr nahe. Auch als wir es aufgenommen haben und seine Kinder noch auf dem Song mitgesungen haben. Ich kriege auch jetzt schon wieder Hühnerhaut... Das waren tief gehende Momente und dieser Song hat für mich sicher einen sehr speziellen Wert."