We invented Paris - Die Bedeutung von "Kollektiv"

26.07.2013; Text: Monthy, Bilder: Mathias Keller
We invented Paris auf der Gurten-Waldbühne 2013
"Man liest ja Sachen über euch - unglaublich...", leite ich das Gurten-Interview mit dem europäischen Künstlerkollektiv We invented Paris ein. Was das heisst, erklären mir der deutsche Fabian und der Basler Flavian im Laufe des Gesprächs. Konkret will ich zuerst wissen: Nehmen euch die Leute nicht trotzdem einfach als Band wahr? Flavian: "Ich denke, die meisten sehen uns tatsächlich als eine Band. Die Musiker haben das ganze auch iniziert und sind gewissermassen der Mittelpunkt. Wir haben halt den Anspruch, wenn es um Artwork oder Videos geht, nicht einfach ein Produkt zu kaufen, sondern vertieft mit den Künstlern zu arbeiten." Fabian präzisiert: "Alles was die Leute sehen und hören, ist in seiner Gesamtheit We invented Paris. Die Leute gehören zur Band dazu." Ich kann mir vorstellen, dass das für einen Graphiker oder Maler nicht ganz einfach ist. Die Musik ist in der Kunst so etwas wie der Fussball im Sport - dem Rest meilenweit entrückt. Sich dann zugehörig zu fühlen, stelle ich mir schwierig vor. "Es geht mehr so um ein Familiengefühl", erklärt Fabian den ausgeweiteten Bandbegriff, "Dass alle irgendwie Teil der Sache und mehr als eine Band sind, dass wir auch miteinander abhängen können und sich das Ganze wie ein Gemeinschaftsding anfühlt."
We invented Paris auf der Gurten-Waldbühne 2013
Das geht so weit, dass man sogar die Fans mit einbezieht - "Ja, mit dem Crowdfunding...", nimmt Sänger Flavian, der lange mit seinem Namen solo unterwegs war, meinen Faden auf und spinnt ihn weiter, "Es ist halt schon länger so, dass es mit der Musikindustrie bergab geht. Und wir machen das Ganze ja nicht für uns sondern für die Fans." Dass sich die ihrer Verantwortung auch ein bisschen bewusst werden, daran arbeiten We invented Paris hart. Basis ihres Schaffens ist laut Flavian die "ehrliche und authentische Musik", die sich machen würden. Diese Voraussetzung muss ja auch fast gegeben sein, damit sich die Fans stärker mit We invented Paris identifizieren können als mit anderen Bands, die heute eben doch oft nur noch Abziehbildchen auf der Bühne und viel weiter weg sind, als man das meinen könnte. "Wir singen über Sachen, die uns beschäftigen und wir meinen und leben das, was wir singen.", lautet das Rezept für Nähe. Als Vergleich führt Flavian die Headliner des Tages auf - Hurts - und spielt damit meiner nächsten Frage haargenau in die Karten.
We invented Paris auf der Gurten-Waldbühne 2013
Denn die Ansage auf der Gurten-Waldbühne lautete für das hoffnungsvolle Ensemble so in etwa: "Geniesst sie jetzt noch hier auf der kleinen Bühne - bald spielen sie als Headliner!" - wäre ich in dem Moment hinter der Bühne gestanden, ich hätte erstmal leer geschluckt und dann gedacht: Das sehen wir dann noch... Flavian erlebt den Hype hingegen als: "...gesundes Wachstum. Wir haben keine sprunghafte Entwicklung gemacht, sondern uns in den letzten drei Jahren den Allerwertesten abgetourt und die Fangemeinde kontinuierlich aufgebaut." Fabian spricht von "etwas Längerfristigem" und Flavian meint noch so: "Wir wollen nicht schnell, schnell auf den Mond und dann runter klatschen sondern nachhaltig Musik machen." - Im Grunde gewonnen wären sie gerne das Gegenteil eines One-Hit-Wonders, allerdings mit Hit... Die Musik von We invented Paris ist im Pop/Rock-Sektor zuhause und wird von mir als feingliedrig eingestuft. Akustische Instrumente erhalten den Raum, den sie benötigen und die Spuren sind ziemlich aufgetrennt und einzeln heraus zu hören. Speziell am Künstlerkollektiv ist auch, dass nicht immer alle dabei sind. Ich frage mich, ob sie dann jeweils auf einzelne Songs verzichten oder ob alle alles können? - "Wir haben die Songs schon komplett arrangiert. Aber jeder einzelne bringt so seine Farbe mit ein.", erklärt Flavian die Funktionsweise der Band als Regenbogen. Abhängigkeiten von einzelnen Instrumenten wollen die beiden denn auch nicht richtig zugestehen. "...so ein bisschen... Aber wir haben es auch immer hingekriegt, wenn es nicht so war", meint Fabian und Flavian findet das spannend: "Bei uns müssen die Songs im Kern stimmen. Man muss sie zu zweit zum Klingen bringen können und sie sollen auch zu sechst interessant daher kommen. Beides muss Platz haben."
We invented Paris auf der Gurten-Waldbühne 2013
Zu den anfangs angesprochenen "unglaublichen" Sachen, gehören zum Beispiel die Speed-Konzerte - 30 Gigs wollen We invented Paris bereits an einem Tag gespielt haben! - "Geht ja gar nicht", locke ich die beiden unnötigerweise aus dem Busch. Flavian erklärt: "Das war in Heidelberg und wir haben dort tatsächlich an dreissig Orten in der Stadt gespielt. Immer so zwei, drei Songs und dann weiter. Von der Bäckerei zum Gewürzladen, vor dem Supermarkt usw. Das ganze sollte die Leute aktivieren, um am Abend an unser erstes offizielles Konzert in Heidelberg überhaupt zu kommen." Frei nach dem Motto: Nächste Hausecke, nächstes Konzert... Das Strassenmusikanten-Gen haben Flavian und seine Truppe allerdings noch weit mehr verinnerlicht. So sah ich auf der Facebook-Seite der Band etwa ein Foto mit dem Titel "Busking in London" und dem typischen geöffneten Gitarrenkoffer. Flavian: "Ich habe viel Strassenmusik gemacht früher. Dann aber lange nicht mehr. Und als wir mit unserem Manager in London waren und ich die Gitarre dabei hatte, wollte ich mal schauen, ob ich uns ein Znacht verdienen kann." Fabian sieht Gemeinsamkeiten zwischen der von We invented Paris gelebten Form und der Strassenmusik: "Das trifft sich eben genau dort, wo die Songs auch ganz simpel dargebracht funktionieren müssen..." Das Feedback ist - so sagt man - auf der Strasse denn auch viel direkter... Flavian: "Ja, wobei ich auch festgestellt habe, dass Leute auf Musik, die sie nicht kennen, ganz anders reagieren als auf Musik, die sie kennen. Viele laufen an Strassenmusik relativ ignorant vorbei. Wenn sie es aber vom Radio kennen, finden sie es toll. Vielleicht weil sie sich nicht die Zeit nehmen dafür..." Auch Weglaufen sei ja ein Feedback, füge ich lapidar an, aber das passiert natürlich bei We invented Paris nicht.
We invented Paris auf der Gurten-Waldbühne 2013
Allgemein erscheint der Eindruck, We invented Paris würden einfach alles ein bisschen anders machen als die anderen. Marketing, Songwriting, Artwork usw. Ich frage, ob man das als Charakterzug der Band bezeichnen könne, was die beiden nickend beantworten. Flavian: "Es geht ja darum, die Leute zum Zuhören zu bringen. Deshalb haben wir schon den Anspruch, auch in diesem Bereich kreativ zu sein. Wie wir auf uns aufmerksam machen..." - Fabian: "Man steht ja heute viel mehr alleine da - das Musikbusiness geht den Bach runter und so muss man sich halt seinen Weg suchen und kreativ sein." Wohingegen ich oft das Gefühl habe, bei Musikern höre die Kreativität auf, wenn sie von der Bühne runter sind. Dort zeigt sich das "Ganzheitliiche", wie Fabian es ausdrückt. Auch der Manager und die Leute, die die Homepage machen, gehörten eben zu dieser Familie und die Kreativität kommt unter Freunden vielleicht noch viel mehr zum Tragen. Ich frage etwas ketzerisch, ob sie denn dieses Kollektiv auch erhalten könnten, wenn der grosse Erfolg käme, was Fabian mit "Dann könnten wir die Leute endlich mal richtig bezahlen" kontert. Flavian gibt zu, dass das durchaus schwierig ist: " Man muss auch innerhalb der Gruppe sehr viel kommunizieren. Selbst die Leute, die nahe an uns dran sind, denken vielleicht: Jetzt spielen sie auf dem Gurten, da müssen sie doch reich werden. Ihnen zu erklären, was das alles bedeutet und was dabei raus kommt, ist deshalb unumgänglich. Wir verlassen uns da auf Ehrlichkeit und Transparenz. Wenn wir diesen Boden nicht hätten, würde es tatsächlich nicht funktionieren."
Copyright trespass.ch [br] Source: https:// https://www.trespass.ch/de/bands-a-z/w/we_invented_paris/we_invented_paris_die_bedeutung_von_kollektiv.htm