20 Jahre Mokka: Showdown im Kultlokal
Interview: Mick Gurtner/Ko:L
Text: Mick Gurtner
Bilder: Markus Hubacher, Spiez
Züri West in Thun Mitte: Vor 20 Jahren feierte das Café Mokka Eröffnung – mit einem Züri-West-Konzert. 20 Jahre später sind Lokal und Band Kult. Wir luden Sänger Kuno Lauener und «Mr. Mokka» Pädu Anliker in Thun zum Gespräch. Über alte Zeiten, verunsicherte Kids, die Zukunft – und Fische in Usbekistan...Treffpunkt: Die Künstlergarderobe im Café Mokka, ein liebevoll-skurriles Sammelsurium aus Konzertplakaten, Plastik-Spielzeug, Heiligenstatue und knallgelbem Sofa. Züri-West-Sänger Kuno Lauener und «Mokka»-Patron Pädu Anliker begrüssen sich mit einer herzlichen Umarmung. Kein Wunder: Ihre Wege kreuzten sich in der Vergangenheit immer wieder. Genau 20 Jahre ist es her, dass in Thun das Jugendhaus an der Allmendstrasse 14 nach einem von Maurer Anliker geleiteten Umbau zum Mokka wurde. Genau 20 Jahre ist es her, dass zur Eröffnung Züri West die Bühne enterten. Seither wurden Züri West zur Kulttruppe mit Breitenwirkung, das Mokka zum bis über die regionalen Grenzen hinaus geliebten Kultlokal. Grund genug, mit Anliker und Lauener zurück und nach vorne zu blicken.
Kuno Lauener, Pädu Anliker: Wie war das damals am 29.11.1986?
Pädu Anliker: Ich weiss noch, dass ich am Abend zuvor, als das Mokka offiziell eröffnet wurde, gar nicht da war. Als Handwerker erträgst du das nicht, nachdem du zwei Monate allein warst mit dem Objekt. Ich ging nach Lausanne ans Konzert von Joe Jackson.
Kuno Lauener: Aber als wir spielten, warst du da. Und ich weiss noch genau, dass vor uns eine Band spielte, bei der Reeto von Gunten dabei war...
Anliker: ...und die haben ein riesiges, stinkiges Segel gespannt!
Lauener: Das fand ich Horror: Da geht ein neuer Club auf, der schon damals schön gemacht war, bunt, mit Blumen und allem. Und diese Band kleistert alles mit einem Riesentuch zu. Eine komische Aktion. Aber es waren die 80er, da hatte man ja auch komische Frisuren und alles war leicht schräg «geschwurbelt»! Man hat sich ziemlich wichtig genommen, auch wir.
Ihr habt die Musikszene 20 Jahre lang miterlebt. Ist die Szene von heute mit jener vor 20 Jahren noch vergleichbar?
Lauener: Ich weiss nicht, ob ich «up to date» bin. Aber mir fällt auf, dass es heute hart ist. Unser Vorteil war, dass man damals vielerorts spontan spielen konnte. Heute ist es viel schwieriger.
Gibt es denn heute mehr Bands oder weniger Clubs?
Anliker: Es gibt mehr Clubs. Aber: Heute brauchst du sichere Werte. Wenn Züri West spielen, wollen die Leute ihre Lieblingssongs hören, am liebsten genau so gespielt wie auf der Platte.
Lauener: Das war doch schon immer ein bisschen so. Aber das Ausgehverhalten hat sich verändert. Bands hatten vor 20 Jahren einen anderen Stellenwert. Heute wird mal einer vorausgeschickt mit dem Handy, um zu schauen, ob es cool ist. Und man wechselt drei Mal am Abend die Location. Die Leute sind heute nicht mehr so risikofreudig.
Anliker: Wie sollen die Kids wissen, was Musik ist, wenn sie konsumiert werden kann, ohne etwas dafür zu tun?
Lauener: Es gibt eine Zeit vor und nach MTV. Zu den Mokka-Anfangszeiten musstest du Musik suchen gehen. Heute wirst du ja quasi zugeschissen mit dem Zeug. Es ist alles überhitzt.
Früher war also alles besser...
Lauener: Nein, ich meine das nicht so. Die Erwartungen waren anders. Man ging wegen der Musik. Beim Wunschkonzert am Radio wünschen heute alle, was eh schon in der Hitparade ist. Vor 20 Jahren hast du das Instrumental der B-Seite der Platte, die niemand kennt, gewünscht. Du wolltest dich abgrenzen. Heute willst du dazugehören, das ist ein Riesenunterschied.
Anliker: Das ist der entscheidende Unterschied. Früher bist du bewusst gegen den Strom geschwommen.
Kuno Lauener, stresst Dich als Musiker diese Entwicklung?
Lauener: Wir haben das Glück, dass wir ein breit gefächertes Publikum haben. Viele Fans sind mit uns älter geworden. Junge Bands, die hip sind und sonst nichts, müssen sich unglaublich schnell wieder neu erfinden.
Wie ist das im Mokka? Gibt es noch Leute, die vor 20 Jahren hier verkehrten und heute noch regelmässig vorbeikommen?
Anliker: Nein. Als Haus, das am Puls der Zeit ist, haben wir immer Junge – das ist auch unsere Aufgabe. Heute grenzen sich die Jungen ab 20 schon ab und sagen: «I chume nümm i ds Mokka – hey, immer die Kids da!» Und die Kids haben zum Teil ein Sozialverhalten, das du nicht nachvollziehen kannst. Alle sehen gleich aus, sprechen gleich, sind gleich besoffen. Wenn ich vor dem Wurzel-5-Konzert auf die Bühne gehe und sage: «Ich bin der Abwart hier, ich bin schwul, und war in der ‹Chlyklass›, aber damals war sie noch nicht so berühmt.» Die kommen nicht mehr mit! Die sind völlig verunsichert, können nicht mit schrägem Zeugs umgehen. Damit habe ich ein Problem: Die Kids verlieren ihre Individualität.
Wir haben jetzt einige Punkte angesprochen, die in diesem Business nicht spassig sind. Was motiviert, trotzdem in diesem Haifischbecken zu kämpfen?
Anliker: Ich war kürzlich in Usbekistan. Dort war auf einem Markt einer, der hatte ein grosses Becken mit Fischen drin. Die Fische waren ein wenig «tilt». Wenn er wollte, dass sie schwimmen, trat er gegen das Becken. So dachten die Leute, die Fische seien fit, und haben sie gekauft...
Lauener: ...und als Veranstalter musst Du auch einfach ans Becken treten! (Gelächter)
Anliker: Genau, das ist mein Job! Im Ernst: Wir sind einfach reingerutscht. Und wir haben uns unsere Existenzen damit aufgebaut. Was soll ich den Job an den Nagel hängen und sagen, jetzt übernimmt ein Junger – und der machts genau drei Monate. Einen Club zu betreiben, jeden Tag – da zahlst du einen hohen Preis. Du hast zwar die ganze Welt zu Besuch, aber du verlierst sehr viele soziale Kontakte.
Kuno Lauener, was ist für Sie das Spezielle am Mokka?
Lauener: Wir haben sehr oft hier gespielt. Wir waren nicht immer gut, das Publikum war nicht immer gut, aber Pädu war immer gut. In der Schweiz gibt es keinen Veranstalter, der diese Konstanz erreicht. Ich weiss gar nicht, ob Thun Pädu verdient!
Pädu, wärst Du denn nicht zu Höherem berufen?
Anliker: Was soll ich denn in irgendeiner Stadt irgendeinen Club betreiben? Nach dem Motto «Ist dein Ruf mal ruiniert, lebst du völlig ungeniert» kann ich hier machen, was ich will. Die Buchhaltung muss stimmen, das ist in der Schweiz das höchste Gut. Aber sonst sagt mir niemand, was ich machen soll. Das sind riesige Freiheiten.
Trotz den Freiheiten, die Ihr beide habt: Wird es manchmal zuviel? Oder anders gefragt: Kann man zu alt für Rock’n’Roll sein?
Lauener: Nenei. Aber früher haben wir 100 Prozent gearbeitet, am Abend geübt, dann irgendwo zwei Shows gespielt und auf der Bühne gepennt. Das tönt total romantisch, und das war es auch. Jetzt bin ich 45. Da merke ich, dass es nicht mehr drin liegt, voll abzudrücken, und am nächsten Abend solltest du wieder eine Show spielen.
Anliker: Wir sind so oft und lange im Mokka präsent – da sagen wir der Band halt auch mal um 2.30 Uhr: Jetzt ist Schluss!
Lauener: Dann leiden die Kunden also auch unter deinem Alter, Pädu! (beide lachen)
Anliker: Sicher! Ich gehe auch nicht mehr runter in die Disco im Keller um zu repräsentieren.
Lauener: Als ich das letzte Mal nach einem Konzert im Mokka in die Disco ging, sagte der erste an der Tür: «Grüessech!» Ich war dann relativ schnell wieder oben. Das ist für mich heute eine Welt, wo ich nicht das Gefühl habe, ich müsse jetzt da noch lässig an einen Pfosten stehen.
Letzte Frage: Wo werden Pädu Anliker und Kuno Lauener in nochmals 20 Jahren sein?
Anliker: Keine Ahnung. Wichtig ist, dass es auch in Zukunft Orte wie das Mokka gibt. Orte mit einem Inhalt – das fehlt heute oft. Das Mokka hält mich fit, das ist für mich noch nicht gegessen!
Und Kuno Lauener? Wirst Du 2026 wieder zwei jungen Journalisten erzählen, was in den letzten 20 Jahren alles passierte?
Lauener: Das ist zu befürchten. Das mit dem Alter, das sieht man heute ja nicht mehr so eng!