Züri West – Schlaflos und nimmermüde

16.10.2012; Text/Bilder: Monthy
Züri West im Kongresszentrum Rondo, Pontresina (Voices on Top 2012)
Am zweiten Wochenende im Oktober liegt der Fokus in Pontresina auf dem Gesang. Das Voices on Top Festival - dies Jahr zum dritten Mal und erfolgreicher denn je - ist eigentlich ein Singer/Songwriter-Event. An diesem Samstagabend im Kongresszentrum Rondo ist hingegen alles ein bisschen anders. Mit Kutti MC tritt zuerst der einzig wahre Freestyler des Landes an. Er spricht zwar rhythmisch, hat aber mit dem Credo des Events sonst nicht viel am Hut. Und danach übernimmt die nationale Institution Züri West, eine der ganz wenigen Bands, die nicht nur Mundart machen, sondern auch Rock. Für den Gesang waren ZW aber bisher eigentlich nicht sooo berühmt, erfreche ich mich gegenüber Gitarrist Küse Fehlmann im Interview ein bisschen provokativ zu bemerken. Fehlmann widerspricht mir: "Es gibt doch niemanden, der so singt wie Kuno..." Ich stochere weiter und frage, ob er das tatsächlich mache oder ob er nicht eher so etwas wie ein Vorvater des Hiphops sei. Fehlmann: "Das hat er tatsächlich Ende der 80er Jahre in seinen Stil einfliessen lassen. Er hat sicher nicht die Range eines Opernsängers, aber in einigen Songs singt er doch ganz konkrete Melodien."
Züri West im Kongresszentrum Rondo, Pontresina (Voices on Top 2012)
Und unrecht hat er damit ja nicht. Ausserdem kann man es auch anders sehen. Voice = Stimme - und Kuno's ist schon einzigartig. Er erinnert mich oft an die Radio-Reibeisen-Stimme von Dan Bömle oder François Mürner. Auf dem Äther gibt es solche heute schon längst nicht mehr. Der konstante Erfolg von Züri West und Kuno's Stimme beweisen eigentlich, dass die Radios falsch liegen mit ihrer Reduktion auf Stimmen, die nicht anecken. "Ich weiss auch nicht genau, woran das liegt. Einen Dänu Bömle kannst du irgendwie eben gar nicht ersetzen. Ob die sich einfach nicht mehr bewerben oder ob in den Radios halt einfach nur noch die Gute-Laune-Stimmen gefragt sind. Die Moden ändern sich halt...", beantwortet Küse meine Kuno-Frage, die ich ihm stelle, weil Kuno's Stimme nach mehreren Zugaben gerade etwas Erholung braucht und er deshalb nicht zum Interview erschienen ist. "Eigentlich finde ich das als Radiohörer ein bisschen schade", bemerkt er auch noch und spricht mir damit aus dem Herz.
Züri West im Kongresszentrum Rondo, Pontresina (Voices on Top 2012)
Ich gestehe meinem Interviewpartner, dass ich eigentlich kein ZW-Fan der ersten Stunde bin. Ich kam 1994 mit "I schänke dir mis Härz" mit ihnen in Berührung, wie es wohl den meisten geht. Schon bald aber interessierte mich das Frühwerk der Band wesentlich mehr, vor allem ihr erstes Album "Sport u Musig" mit dem ultrapunkigen "Sörfbrätt", meinem ZüriWest-Lieblingslied. Die Band spielt heute zwar weniger Punk und mehr Rock'n'Roll - aber den ursprünglichen Spirit spüre ich auf der Bühne auch nach all den Jahren noch. Küse: "Kuno und ich sind ja die letzten noch übrig gebliebenen aus dieser Zeit. Und immer wenn es eine 'brättige' Gitarre im Song gibt, schlagen unsere Herzen höher. Aber es ist halt schon so, dass man älter wird, auf andere Ideen kommt, andere Songs schreibt... Jeder bringt sich ein und gestaltet mit. Früher hatten wir vielleicht klarere Vorbilder und dementsprechend gehen die expressionistischen Höhenflüge heute vielleicht ein bisschen weniger hoch."
Züri West im Kongresszentrum Rondo, Pontresina (Voices on Top 2012)
"Wir versuchen ja immer wieder, alte Songs neu aufzugleisen und ins heutige Setup zu integrieren. Manchmal gelingt das besser, manchmal schlechter", nährt Küse meine Hoffnung, das "Sörfbrätt" irgendwann mal live von ZW um die Ohren gehauen zu kriegen, "Wir haben ja sehr viele Mid-Tempo-Nummern und versuchen doch immer, eine Dramaturgie in unser Lineup zu kriegen. Viele unserer Songs laufen in einem ähnlichen Tempo ab und das muss man zwischendurch schon immer mal wieder aufbrechen mit etwas, das fetzt und auch mal drei Gitarren breit daher kommt." Konkret gibt es aber noch eine Einschränkung, denn: "Wir haben auf der letzten Tour mal versucht, das 'Sörfbrätt' umzusetzen. Manchmal scheitert das nur daran, dass uns keine zündende Idee kommen will und dann nicht alle den Rank damit finden. Ich habe manchmal auch Mühe - gerade bei so einem Song - ein anderes Riff zu erfinden als das ursprüngliche. 'Sörfbrätt' habe ich damals zusammen mit Kuno geschrieben. Wenn dann keiner der anderen mit einem Geistesblitz kommt, dann bleibt er vielleicht halt eben auf der Strecke." Dass der Song einfach so gespielt wird wie damals und es vielleicht doch wieder ins Repertoire schafft, will Küse zumindest nicht ganz ausschliessen.
Züri West im Kongresszentrum Rondo, Pontresina (Voices on Top 2012)
Und wenn wir schon von Repertoire reden - dasjenige von Züri West ist nicht nur wegen der mittlerweile dreizehn Alben riesig - die Band hat viele Hits und noch viel mehr Geheimtipps. "Wenn wir uns auf eine Tournee vorbereiten, wählen wir so an die 50 Nummern aus, die wir uns vorstellen können. Dann hören wir sie uns mal an und reduzieren erst mal auf etwa 35 Stücke, die wir dann intensiv proben. Am Schluss bleiben so etwa 25 Songs übrig, mit denen wir die Tour bestreiten. Dazu behalten wir ein paar Songs in der Hinterhand, damit wir einzelne auswechseln können, wenn die Tour dann ein bisschen länger dauert. Heute war beispielsweise 'Überrede' ein Song aus dieser Kategorie." Auch als Musiker braucht man mit der Zeit also ein bisschen Abwechslung.
Züri West im Kongresszentrum Rondo, Pontresina (Voices on Top 2012)
Die Themen und Texte - schon wieder eine Kuno-Frage - haben sich auch ein bisschen verändert. Kuno wirkt zwar auf die Frauen immer noch so wie früher - sie auf ihn aber vielleicht nicht mehr so ganz. Jedenfalls scheinen mir die Frauengeschichten in den neueren Songs eher spärlicher und die philosophischen Texte eher mehr zu werden. In Pontresina war der Verhältnis, wenn wir die Songansagen als Massstab nehmen, 3:2. Wobei 3 X die Eifersucht das Thema war und 2 X die Schlaflosigkeit. Küse sagt, dass zwar alle Bandmitglieder die Musik von Züri West machen, aber Kuno die Texte. Und er schreibt es dem Reifeprozess zu, den jeder Mensch mit der Zeit durchmacht, dass die Themen vielleicht etwas breiter gestreut sind als früher. Das Image bleibt davon aber unberührt. Genauso wie man Züri West beispielsweise seit "Radio zum Glück" immer wieder vorwirft, sie würden nicht mehr an die Erfolge des kultigen "gelben" Albums heran kommen. Ich finde es hingegen stark, dass sich eine Band auch nach so langer Zeit nicht auf ihren Meriten ausruht, sondern weiter produziert. "Wenn es etwas gibt, das dich in der Musik jung und frisch hält, dann das Erarbeiten neuer Songs. Der Prozess ist auch heute noch so spannend wie er immer war."
Züri West im Kongresszentrum Rondo, Pontresina (Voices on Top 2012)
Dementsprechend widerspricht mir Küse auch, als ich überspitzt frage, ob man als gesetztere Band Konzerte für die Leute gebe und CDs für sich selbst mache? - Küse: "Nein, das würde ich nicht unterschreiben. Denn als Musiker hole ich mir einen Grossteil meines Lohnes - also den nicht monetären Teil - am Konzert ab. Wir verdienen so ja nicht einfach nur Geld, sondern es tut gut, das den Leuten zu präsentieren und mit ihnen zu interagieren. Studioarbeit wird mit einer viel grösseren Lupe betrieben. Oft geht es dabei um einzelne Töne. Für mich ist beides herausfordernd und lohnend." Dabei hatte ich gerade während den letzten Alben immer mehr das Gefühl, Züri West könnten machen, was sie wollen - die Leute würden sie genauso einfach immer noch mehr lieben. Diese Einstellung wäre aber wohl Gift für die Band selbst. Küse: "Wir denken gar nicht in eine solche Richtung. Und wenn wir eine neue Platte präsentieren, sind wir immer sehr unsicher. Man trägt das Zeugs so lange mit sich herum und kann es schon fast nicht mehr hören. Je länger man dabei ist, desto höher werden auch die Ansprüche. Du möchtest dich immer weiter entwickeln und das ist gar nicht so einfach." Fies ist dahingehend, dass ein Musiker immer mit seiner Sternstunde verglichen wird. Küse: "Für viele Leute gibt es halt wohl einfach nur dieses gelbe Album und wir werden nie mehr dorthin kommen. Aber das muss für mich persönlich ja nicht stimmen..."
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